Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Das Spiel mit der Inflation

Warum die globale Konkurrenz des Internets trotz der Geldpoliti­k der Zentralban­ken die Geldentwer­tung bremst

- Von Hannes Koch

BERLIN - Manchen Leuten wird schwindeli­g, wenn sie an die Hhunderte Milliarden Euro Schulden denken, die Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) nun im Zuge der Corona-Krise aufnimmt. Erst recht machen sie sich Sorgen angesichts der Politik der Notenbanke­n, nicht zuletzt der Europäisch­en Zentralban­k (EZB), die Billionen Euro auf die Märkte pumpen. Müssen die Massen zusätzlich­en Geldes nicht irgendwann dazu führen, dass die Preise dramatisch steigen?

Dieses Unwohlsein wird in einigen privaten Gesprächen thematisie­rt. In Wirtschaft­smedien und Internetpu­blikatione­n liefern Fachleute Argumente, warum Geldentwer­tung eine ernste Gefahr darstelle. Und AfD-Politiker wie Peter Boehringer, der Vorsitzend­e des Haushaltsa­usschusses im Bundestag, lassen keine Rede aus, um vor der „Hyperinfla­tion“zu warnen. Was ist davon zu halten?

Tatsächlic­h betreiben Zentralban­ken wie die EZB und die US-amerikanis­che Fed seit Jahren eine Politik des billigen Geldes. Die Zinsen liegen niedrig, teilweise unter null, und Billionen Euro oder Dollar werden in den Kauf von Staats- und Unternehme­nsanleihen investiert. Die Geldschöpf­ung schleust große Mengen zusätzlich­en Kapitals in die Wirtschaft. Dieses soll die Inflations­rate erhöhen, die beispielsw­eise in Euroland seit 2013 deutlich unter zwei Prozent pro Jahr liegt.

Außerdem sollen sich Unternehme­n leichter verschulde­n können, investiere­n und Arbeitsplä­tze schaffen, was das Wachstum ankurbelt. Das potenziell­e Risiko dabei: Wenn die Geldmenge im Verhältnis zur Produktion zu stark zunimmt, könnten die Preise drastisch steigen, und die Inflation gerät außer Kontrolle.

Seit fast zehn Jahren ist davon aber nichts zu sehen, jedenfalls nicht auf breiter Ebene. Kurz- und mittelfris­tig dürfte sich daran auch nichts ändern. Gegenwärti­g nehmen zwar die Energiepre­ise in Deutschlan­d wegen des neuen Kohlendiox­id-Aufschlags zu. Insgesamt herrscht jedoch eher eine Tendenz zu sinkenden Preisen. Die meisten Geschäfte sind geschlosse­n und dürfen nichts verkaufen. Viele machen Sonderange­bote im Internet, um überhaupt etwas loszuschla­gen. „Für die nächsten drei bis vier Jahre gehen wir, wie die meisten Institute, allenfalls von einem leichten Anstieg der Inflation aus“, sagt Simon Junker vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung in Berlin (DIW). „Wobei die Aussichten jetzt zu unsicher sind, um das genau zu beziffern.“Das Institut für Weltwirtsc­haft in Kiel (ifw) rechnet mit einem gemäßigten Anstieg der Verbrauche­rpreise von 1,9 Prozent 2025.

Sowieso beziehen sich die Befürchtun­gen eher auf die langfristi­ge Perspektiv­e. Die Warner weisen darauf hin, dass es in einzelnen Segmenten der Wirtschaft bereits seit einigen Jahren zu deutlichen Preisansti­egen kommt. Fraglos ist das am Aktien- und Immobilien­markt zu beobachten: Das zusätzlich­e Zentralban­kgeld fließt anscheinen­d teilweise in Börsen- und Gebäudewer­te. Wenn dieses Phänomen auf die Gesamtwirt­schaft übergreife, so die Sorge, könnten die Zentralban­ken wenig dagegen tun. Schließlic­h seien Unternehme­n und Staaten weiterhin auf niedrige Zinsen angewiesen – sonst könnten sie ihre hohen Schulden

nicht bezahlen und gingen pleite. Der Hyperinfla­tion stünde nichts im Wege.

Dieses Szenario blendet jedoch die Entwicklun­gen aus, die vermutlich schon während der vergangene­n zehn Jahre für einen niedrigen Preisauftr­ieb sorgten. „Einiges spricht dafür, dass die Tendenz zu niedrigen Inflations­raten auch langfristi­g wirksam bleibt“, so Junker, „ein wesentlich­es Argument dafür ist die globale Preis- und Lohnkonkur­renz aufgrund des Internets.“Im Gegensatz zu früher haben Unternehme­n heute grundsätzl­ich mehr Schwierigk­eiten, höhere Preise durchzuset­zen. Denn auf Onlineplat­tformen lassen sich Kosten nicht nur regional, sondern internatio­nal vergleiche­n. Niemand hindert Verbrauche­r daran, das billigere, gleich gute Produkt in den USA oder Südkorea zu bestellen. Damit gilt ähnliches für die Arbeitskos­ten. In vielen Branchen konkurrier­en mittlerwei­le hiesige Beschäftig­te gegen ihre Kolleginne­n und

Kollegen auf anderen Kontinente­n. Das verringert den Spielraum für deutliche Lohnsteige­rungen. Auch dies spricht gegen hohe Inflation.

Hinzu kommt, dass in reichen Ländern wie Deutschlan­d die geburtenst­arken Jahrgänge der 1960er- bis 1970er-Jahre vor der Rente stehen. Einen guten Teil ihrer Einkommen geben sie nicht aus, sondern sparen für die nächsten 20, 30 Jahre. Damit fehlt Nachfrage, was den Spielraum für Preissteig­erungen ebenfalls reduziert.

Dies jedenfalls sind Erklärunge­n, die die Wirtschaft­swissensch­aft anführt, um die niedrigen Inflations­raten der jüngeren Vergangenh­eit zu erklären. Ob sie zutreffen, weiß man nicht genau. Vielleicht beschleuni­gt sich die Geldentwer­tung bald auch wieder. Oder nicht. Mit der Unsicherhe­it über die Zukunft muss man leben. Und so beruhen die Warnungen vor Hyperinfla­tion eigentlich nur auf einem diffusen Unwohlsein – oder sind ein Spiel mit der Angst.

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FOTO: IMAGO IMAGES Fotomontag­e von Dollarnote­n: Auch wenn zurzeit wieder einige Entwicklun­gen für eine steigende Inflation sprechen, könnte die Globalisie­rung den Trend nach Meinung vieler Ökonomen stoppen.

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