Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Stress vermeiden: Das kann dabei helfen
Psychologe Andreas Groß erklärt, welche Faktoren zu Stress und innerem Druck führen
LAICHINGEN - 51 Prozent der Deutschen haben ihre guten Vorsätze für 2020 wegen der Corona-Pandemie nicht umsetzen können: Das geht aus einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa hervor, die im Auftrag der DAK-Gesundheit 3510 repräsentativ ausgesuchte Deutsche befragte. Das Ergebnis hält aber nicht davon ab, sich neue Vorsätze für 2021 – ganz nach dem Motto „neues Jahr neues Glück“– zu fassen. Zu den beliebtesten Vorsätzen gehören, wie fast jedes Jahr, mehr Sport treiben und gesund ernähren oder abnehmen. Für 2021 wünschen sich aber auch 65 Prozent der Befragten, Stress abzubauen und Zeit für Familie und Freunde zu haben. Wie der Vorsatz „gelassener durch das Leben gehen“erfüllt werden kann, erklärt Psychologe Andreas Groß im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“.
„Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen Eustress und Distess – also positivem und negativem Stress. Meistens geht es dabei um Überlastung und Überbeanspruchung“, erklärt der Ehinger Psychologe. Positiver Stress kann demnach als sehr angenehm empfunden werden, beispielsweise wenn man sich beim Sport Ziele gesetzt hat und diese erreicht. Viel häufiger sei aber, dass Menschen in negativen Stress geraten, weil sie sich zu viel Aufgaben und Verantwortungen aufladen: „Wir wollen zu viele Dinge gleichzeitig erledigen und dabei geht uns einfach die Puste aus.“
Einerseits kann Andreas Groß bestätigen, dass das vergangene „Corona-Jahr“für alle sehr stressig war, weil viele neue Aufgaben zu erledigen gewesen waren und vieles auch zeitgleich stattfand, was zu normalen Zeiten anders organisiert wird. Andererseits bekomme er aber auch von seinen Patienten zu hören, dass sie viel mehr Zeit für sich und ihre Familie hatten. Diese hätten überwiegend von „Eintönigkeit und Langeweile“berichtet, so Groß.
Übermäßige Aufgaben und Verantwortungen müssen laut Groß gut organisiert werden, um Frust und Verzweiflung zu vermeiden. „Was sicherlich keine gute Idee ist: mit dem Kind auf dem Schoß am Laptop arbeiten und gleichzeitig noch mit einem Kunden telefonieren. Das wird sicherlich nicht gut gehen“, so Groß. Diese Situation bereite für alle Beteiligten Kummer und Stress und führe zu Unzufriedenheit.
Nach Möglichkeit empfiehlt der Experte, solche Situationen erst gar nicht zustande kommen zu lassen, obgleich er weiß, dass es in manchen Fällen nicht vermeidbar ist. Dann sei es hilfreicher, Mehrfachbelastung so gut es geht zu verringern, indem man die Aufgaben entzerrt, mit dem Partner oder Verwandten teilt und Absprachen mit dem Arbeitgeber trifft. Die Suche nach Möglichkeiten stellt laut Groß die erste Instanz bei der Lösung des Problems dar.
Denn die Anforderungen haben sich in der Corona-Krise um ein Mehrfaches gesteigert: Kurzarbeit, Homeoffice, Kinderbetreuung, Homeschooling, Pflege und Versorgung von Älteren und Arbeitslosigkeit sind nur einige der vielen Herausforderungen, die diese außergewöhnliche Zeit birgt. Pauschal alles auf sich zu nehmen und im Nachhinein zu sehen, dass es nicht machbar ist, steigere in jedem Fall die Frust.
„Wenn es keine Lösung für die Verteilung oder Entzerrung der Aufgaben gibt, weil es einfach anders nicht möglich ist, dann muss man Abstriche an allen möglichen Stellen in Erwägung ziehen“, erläutert Andreas Groß. Ob man jetzt die Arbeit nicht mehr im selben Tempo erledigen könne oder den Kindern nicht mehr ganz so gerecht werden kann, wie es vorher der Fall war: Wer Stress vermeiden will, muss Kompromisse eingehen, vertrösten, den Perfektionismus herunterschrauben oder auch Kritik hinnehmen.
Ein Allheilmittel für das Problem kennt auch Groß nicht, denn in den meisten Fällen kommen komplexe Konstellationen gerade deswegen zustande, weil es auf den ersten Blick keinen anderen Weg gibt. „Sicherlich kann es auch helfen, Prioritäten zu setzen und sich zu überlegen, was für den heutigen Tag das Allerwichtigste ist und wie man mit dem Kind Zeit verbringen kann. Dann muss halt mal etwas anderes für diesen Tag liegenbleiben.“
Bei den täglichen Aufgaben realistisch zu bleiben und die vorhandenen Umstände, so wie sie nun einmal sind, zu akzeptieren, kann laut Experte helfen, den Stress gering zu halten. Wo es möglich ist, empfiehlt Groß, einen eigenen Bereich als Homeoffice einzurichten: „Idealerweise hat man ein abschließbares Zimmer, um in Ruhe arbeiten zu können. Wer diese Möglichkeit nicht hat oder sogar ein Kleinkind beaufsichtigen muss, sollte versuchen, im gemeinsamen Raum einen Arbeitsplatz einzurichten.“
Aber nicht immer wird der Stress durch äußere Faktoren hervorgerufen. „Auch innere Faktoren, die wir selbst beeinflussen können, führen zu Frust und Belastung. Da geht es zum Beispiel um persönliche Ansprüche und Ziele, um Dinge, die man nicht loslassen zu können scheint, um Relativierung und vielleicht sogar Verzicht von Zielen“, erläutert Groß. Wer sich mehr Zeit zur Verwirklichung seiner Ziele gibt, realistisch abwägt und gelegentlich lockerlässt oder sogar die Zeit genießt, habe bessere Chancen, das Leben ausgelassener zu leben. „Natürlich kann ich meine Ziele in dem Moment, in dem ich lockerlasse, nicht erreichen, aber da muss man sich eben entscheiden, was wichtiger für diesen Moment ist. Es kann sich lohnen, weil man sich dadurch vielleicht gesünder fühlt oder das Leben eine andere Farbe bekommt“, so der Psychologe.
Wer sich zu oft sehr gestresst fühlt, sollte sich eine Auszeit nehmen und Gedanken über die eignen Ziele und Wünsche machen: „Oft vergessen wir, was wir im Leben schon alles erreicht haben, wie viele Hürden bisher bewältigt wurden und was einen wirklich glücklich macht. Gerne schauen wir immer nach vorne und vergleichen uns mit anderen, die schon Einiges erreicht haben. Dabei beachten wir nicht, mit welchen Voraussetzungen andere gestartet sind oder unter welchen Bedingungen der Erfolg zustandegekommen ist.“
Anstatt unüberlegt in die Konkurrenz zu gehen, rät der Experte, den Blick auf eigene Erfolge zu richten. „Diejenigen, die sich über Stress beklagen, sind meisten auch diejenigen, die sich zu große Ziele in unrealistischen Zeiträumen setzen“, sagt Groß. Manchmal rate er Patienten gerade deswegen auch von Zielen ab, erklärt Groß: „Sie nehmen sich manchmal zu viel vor. Um dem entgegenzusteuern, rate ich auch mal, von einem bestimmten Ziel abzusehen. Es würde zu viel Druck bereiten. Wenn das eine Ziel erreicht ist, kann man immer noch nach dem anderen Ziel steuern.“