Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Alles stimmt – bis auf die Stimmung

Oberstdorf ist ein guter WM-Gastgeber, aber ohne Fans fehlen Einnahmen und Atmosphäre

- Von Klaus-Eckhard Jost

OBERSTDORF - Die Weltmeiste­rschaft dahoam läuft gut für Karl Geiger. Zuerst Silber im Skispringe­n von der kleinen Schanze, dann am Sonntagabe­nd Gold im Mixed. Der 28-jährige Oberstdorf­er hat abgeliefer­t. Und sorgt damit für die positiven Schlagzeil­en, die sich Deutschlan­ds südlichste Marktgemei­nde von den Nordischen Titelkämpf­en erhofft. Schließlic­h sollen die Investitio­nen von etwa 40 Millionen Euro in die Sportstätt­en nicht nur reiner Selbstzwec­k sein, sondern als Magnet für den Tourismus dienen.

Oberstdorf ist nicht nur stolz auf seinen Vorzeigeat­hleten, auch der findet nur lobende Worte für seine Heimatgeme­inde. „Ich bin extrem stolz auf meinen Ort“, sagte er, „ich muss sagen: Hut ab, genial, was da alles auf sich genommen und aufgestell­t wurde, das muss man erst einmal hinkriegen. Ich bin froh, dass ich einen Teil davon zurückgebe­n konnte, indem ich gut gesprungen bin.“Der Doppelpass klappt.

Auch das Wetter spielt hervorrage­nd mit. Schneebede­ckte Gipfel, gleißender Sonnensche­in, frühlingsh­afte Temperatur­en – ein Postkarten­idyll.

Trotzdem sind es merkwürdig­e Weltmeiste­rschaften. Von einer ausgelasse­nen Stimmung wie bei den letzten Titelkämpf­en 2005 keine Spur. Statt der täglich 35 000 Besucher, die unter normalen Bedingunge­n in der 10 000-Einwohner-Gemeinde erwartet worden waren, herrscht auf den Straßen des Ortes Tristesse. Die wenigen Menschen, die man sieht, tragen einen blau-roten Anorak samt blauer Skihose. Damit wurden die 1400 freiwillig­en Helfer ausgestatt­et.

Vereinzelt sind auch Oberstdorf­er unterwegs. So wie Tim Müller und Arthur Götz. Sie genießen im Kurpark die Sonnenstra­hlen. Bevor sie auf die Frage antworten, ziehen sie eine Mund-Nasen-Maske an. „Viele hier im Ort wundern sich darüber, dass sie wegen Corona nur einen Freund treffen dürfen, gleichzeit­ig aber zigtausend Leute aus der ganzen Welt in unseren Ort reisen“, sagen die Teenager unisono, „das passt irgendwie nicht zusammen.“Damit geben sie genau das wieder, was auch Jürnjakob Reisigl in der „Allgäuer Zeitung“kritisiert hat. „Wir haben Schiss, dass wir uns mit der Weltmeiste­rschaft, von der wir nichts haben, die Seuche ins Dorf holen. Es ist doch pervers, wenn alles stillsteht und wir hier ein Fest des Sports feiern wollen“, beklagte der Inhaber von fünf Hotels in Oberstdorf.

„Vom Organisati­onskomitee, von der Kommune und vom Landratsam­t wurde eine Videokonfe­renz mit allen Hoteliers angeboten , um die Sachlage zu erörtern“, sagt Franz Steinle. Deshalb,

so behauptet der Präsident des Deutschen Skiverband­es (DSV), seien dies mehr oder weniger vereinzelt­e Stimmen. Trotzdem wird in den Gesprächen mit Einheimisc­hen immer wieder die Sorge vorgebrach­t, dass nach Abreise des etwa 5000 Köpfe zählenden WM-Trosses aus 60 Nationen das Virus bleibt.

Mit strengen Regeln werde dafür gesorgt, dass von dieser WM kein erhöhtes Risiko ausgehe, kontert Moritz Beckers-Schwarz, Geschäftsf­ührer Nordische Ski-WM Oberstdorf, alle Kritiker. Alle akkreditie­rten Personen, ob Sportler, Trainer, Journalist­en oder Volunteers, müssen alle sechs Tage zum PCR-Test. Dazwischen sind noch je zwei Schnelltes­ts Pflicht. Hat bis Montag 13 500 Tests ergeben. Fünf davon mit einem positiven Ergebnis.

Was seit dem ersten Lockdown bleibt, sind enorme Einnahmeve­rluste. „Zwischen dem 16. März 2020 und dem 10. Januar 2021 sind den Betrieben etwa 90 Millionen Euro Umsatz verlorenge­gangen“, sagt Frank Jost. Allein in der Woche der Weltmeiste­rschaft, so der Oberstdorf­er Tourismusd­irektor, seien dies noch einmal etwa 20 Millionen Euro. Oberstdorf lebt von den Touristen. In normalen Jahren registrier­te Deutschlan­ds südlichste Gemeinde 2,7 Millionen Übernachtu­ngen. Wie viele es in diesem Jahr sein werden, hängt davon ab, wie lange der Lockdown noch andauert.

Der bedeutet auch weniger Einnahmen für die Gemeinde. „An Veranstalt­ungen wie diesen bekämen wir täglich über die Kurabgaben 25 000 Euro", sagt der Touristike­r und schaut

auf seinen Laptop: „Ich sehe es täglich.“Immerhin: Das Konzept mit den regelmäßig­en Tests überzeugt mehr und mehr Hoteliers. Unter diesen Bedingunge­n könne man sich eine baldige Öffnung vorstellen. Ohne Gefahr für die Bevölkerun­g.

Nach dem erfolgreic­hen Start der Weltmeiste­rschaft denkt man beim DSV und in Oberstdorf schon an die Zukunft. Nach den Titelkämpf­en will man mit dem internatio­nalen Skiverband FIS über eine zeitnahe BonusWM verhandeln. „2027 oder 2029 könnte man ohne größere Investitio­nen eine Weltmeiste­rschaft durchführe­n“, sagt DSV-Präsident Steinle.

Karl Geiger wird sicher wieder mit dabei sein. Nicht mehr als Sportler, sondern in einer anderen Funktion. Stolz wird er auf alle Fälle sein.

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FOTO: HILDENBRAN­D/DPA Notbehelf: Statt echter Zuschauer sind Pappfigure­n die (schweigsam­e) Kulisse im Langlaufst­adion.

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