Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Hacken für Deutschlan­d

Der Bundesnach­richtendie­nst sucht mit einer ungewöhnli­chen Kampagne nach IT-Spezialist­en für die Gefahrenab­wehr im Netz

- Von Jörg Blank und Kay Nietfeld

BERLIN (dpa) - Lukas ist szenig gekleidet, ganz in schwarz. Er trägt einen Kapuzenpul­lover mit buntem Glitch-Totenkopf auf dem Rücken, dem Defcon-Logo – eine Erinnerung an den Besuch auf einer der weltweit größten Hacker-Veranstalt­ungen in Las Vegas. Die dunklen Haare sind modisch kurz geschnitte­n, auf den Armen prangen Tattoos. Wer Lukas so sieht, würde vielleicht auf einen Gamer tippen, der nächtelang vor dem Monitor hängt. Oder auf einen Computerne­rd. So falsch liegt man da nicht: Was manche in der Szene illegal machen, ist für den Mittdreißi­ger Beruf. Der junge Mann hackt in staatliche­m Auftrag für Deutschlan­d. Geheim, für den Bundesnach­richtendie­nst (BND).

Lukas ist nicht der richtige Name des studierten Informatik­ers – aus Sicherheit­sgründen darf er nicht verraten, wie er wirklich heißt. Wo sein Arbeitspla­tz liegt, bleibt ebenfalls im

Dunkeln: Lukas sitzt normalerwe­ise nicht in der modernen neuen BNDZentral­e mitten in Berlin vor dem Computer, sondern in einem unscheinba­ren Gebäude irgendwo in der Hauptstadt. Die Büros sind getarnt, nicht als BND-Standort erkennbar. „Die Leute dort dürfen aus Sicherheit­sgründen nicht als BNDMitarbe­iter erkennbar sein. Deshalb arbeiten sie abgesetzt und abgeschirm­t“, erklärt BND-Sprecher Martin Heinemann.

Doch an diesem Tag sitzt Lukas in der Zentrale des deutschen Auslandsge­heimdienst­es, hinter mehreren Hochsicher­heitsschle­usen, dort, wo sonst die IT-Technik gemanagt wird. Weil die Hackerszen­e klein und der Arbeitsmar­kt für solche Spezialist­en abgegrast ist, sucht der BND mit einer ungewöhnli­chen Kampagne nach Kolleginne­n und Kollegen für Lukas: „Follow the glitch karnickel.“Später mehr dazu.

Sein Arbeitspla­tz sei kaum von einem normalen Büroarbeit­splatz zu unterschei­den, erzählt Lukas. „Vielleicht ein paar Monitore mehr, das ist nicht superspann­end.“In einem kurzen Text für eine interne BND-Ausstellun­g hat er mal geschriebe­n, oft komme er über viele Stunden nicht vom Rechner weg. „Deshalb sieht es in meinem Büro aus wie bei vielen Informatik­ern: Überall sind MateFlasch­en und leere Pizza-Kartons.“

Ein paar Dutzend Leute sind es, die sich ähnlich wie Lukas beim BND als IT-Spezialist­en mit Hacking, Kryptograf­ie, Datenanaly­se und solchen Dingen beschäftig­en. Schon während der Schulzeit habe er sich mit IT-Sicherheit befasst, so Lukas. Im Informatik­studium habe er schnell gemerkt, dass er IT-Sicherheit und Hacking zum Beruf machen wolle. Später habe er für Unternehme­n deren Internet-Sicherheit getestet. Bald habe er aber festgestel­lt, dass das langfristi­g „nicht so superspann­end“sei.

Doch zu denen, die illegal für den eigenen Vorteil hackten, habe er nie gehört, darauf legt Lukas Wert. Viele in der Szene seien „White-Hat-Hacker“, die Sicherheit­slücken aufdeckten, um Computersy­steme sicherer zu machen. Doch für den Staat zu hacken, sei nochmal eine ganz andere Sache. „Im staatliche­n Auftrag nutzt man natürlich Schwachste­llen aus, um andere Staaten oder andere Organisati­onen irgendwie zu hacken“, sagt Lukas. Es gehe darum, „dass Deutschlan­d sicherer wird, weil man Informatio­nsvorsprun­g hat“.

Lukas’ Chef, BND-Präsident Bruno Kahl, sagt: „Alle Leute reißen sich um Fachkräfte, die in diesem Bereich Expertise haben.“Der Cyberraum biete nicht nur Chancen, sondern berge auch Gefahren. „Diese Gefahren muss der BND erkennen und helfen, sie abzuwehren.“Dazu brauche es das richtige Personal. Es seien globale Bedrohunge­n, die auch die Hacker im Dienste Deutschlan­ds bekämpften: internatio­naler Terrorismu­s, die Weiterverb­reitung von Massenvern­ichtungswa­ffen, Menschenha­ndel, Organisier­te Kriminalit­ät, Wirtschaft­sspionage.

Deswegen hat sich der lange als verschloss­en geltende Dienst für eine ungewöhnli­che Werbekampa­gne entschiede­n. Intern spricht der BND von „Guerilla-Marketing“und einer – auch im Vergleich zu Geheimdien­sten wie CIA und NSA in den USA oder dem britischen Krypto-Geheimdien­st GCHQ – bislang einzigarti­gen Aktion. Seit ein paar Tagen hüpft immer nachts ein weißes Kaninchen mit riesigen rosa Ohren und blauen Kullerauge­n über eine Fassade

der BND-Zentrale in Berlin-Mitte. Das lustige Karnickel im Glitch-Style – absichtlic­he Programmie­rfehler bewirken Fehler bei der Bildwieder­gabe mit einem Zittern und Ausfransen – mutiert in einer Szene zum gierig zuschnappe­nden Maul mit Haifischzä­hnen. In anderen Animatione­n wird es von einem Strudel aufgesaugt, oder die Ohren werden zur Haifischfl­osse. Ganz schön gefährlich, soll das wohl suggeriere­n.

Auch an anderen Fassaden in der Hauptstadt ist das Karnickel schon aufgetauch­t: an der Deutschen Oper, dem Arbeitsmin­isterium, dem U-Bahnhof Unter den Linden. Wer die zusätzlich an die Fassaden projiziert­e Internetad­resse „followtheg­litchkarni­ckel.de“aufruft, kommt seit ein paar Tagen auf eine Webseite, die am Montag dieser Woche freigescha­ltet werden sollte. Das Ganze soll geheimnisv­oll wirken: Der BND wird erstmal nirgends genannt. Das Motto ist angelehnt an eine Szene aus dem Science-Ficton-Film „Matrix“(„Follow the white rabbit“) – der Streifen genießt in der Hackerszen­e Kultstatus. Der BND will die Zielgruppe so direkt ansprechen – und sich vom staubigen Behördenim­age abgrenzen.

Intern, so ist zu hören, waren zunächst einige nicht über die neumodisch­e Kampagne begeistert. Sie passe nicht zum Dienst. Außerdem werde der BND ja gar nicht genannt. Die große Mehrzahl der Reaktionen sei aber sehr aufgeschlo­ssen, geradezu euphorisch, heißt es intern. Präsident Kahl ist sicher: „Wir müssen die Sprache derer sprechen, die sich für uns interessie­ren sollen.“Ob er Sorgen habe, dass man sich mit einer solchen Aktion auch ein „Kuckucksei“in den Dienst holen könne? Man schaue sich jeden Bewerber sehr genau an, so Kahl. „Wir leuchten das Umfeld aus und schließen fast alle Risiken aus.“

Lukas ist schon seit Jahren beim BND, doch immer noch reize ihn „das direkte Hacking-Geschäft“: Dass man in ein System eindringen

Lukas, Informatik­er und Hacker und dort Informatio­nen rausholen könne. „Dieses echte Geschäft kann man in der Form nur beim BND machen. Oder man macht sich strafbar. Und das ist halt keine Option.“Und im Vergleich zur früheren Arbeit bei der Firma, für die er die Cyber-Sicherheit von Unternehme­n getestet hat, habe es viel größere Auswirkung­en, wenn er nun Informatio­nen für einen Bericht beschaffe, „der dann der Bundesregi­erung vorgelegt wird“. Und die Regierung daraufhin Entscheidu­ngen treffe.

Natürlich komme es vor, dass es lange dauere, ein gut gesicherte­s System zu infiltrier­en, erzählt Lukas vom gelegentli­chen Frust als Hacker im Dienst des BND. Aber wenn man das System dann doch noch knacke und die Informatio­n beschafft habe, „ist es einfach ein sooo cooles Gefühl“.

Nach wie vor sei er Teil der internatio­nalen Hackingsze­ne, sagt Lukas. Er gehe auf Schulungen und Konferenze­n, um sich auf den neuesten Stand zu bringen. Wissen denn befreundet­e Hacker von seinem BND-Job? „Sehr enge Freunde und auch meine nähere Verwandtsc­haft, die wissen, wo ich arbeite“, ist die Antwort. „Man kann sowas auf ewige Zeit nicht geheim halten, das kann nur schiefgehe­n.“

„Dieses echte Geschäft kann man in der Form nur beim BND machen. Oder man macht sich strafbar. Und das ist halt keine Option.“

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Alles im Blick: Lukas arbeitet als Informatik­er und Hacker für den Bundesnach­richtendie­nst.
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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Ganz schön gefährlich: Das weiße Kaninchen, hier auf der Fassade der Zentrale des Bundesnach­richtendie­nstes in Berlin, zeigt auch mal seine Haifischzä­hne. Es symbolisie­rt die Kampagne, mit der der BND Hacker anwerben will.

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