Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Israel impft sich an die Normalität heran

Der „Grüne Pass“bringt Corona-Geimpften und -Genesenen schneller ihre Grundrecht­e zurück

- Von Sebastian Engel

TEL AVIV (dpa) - Sogar in Israel kann es im Winter kühl werden. Gut ein Dutzend Unerschroc­kene hält das an diesem Morgen jedoch nicht davon ab, im berühmten, direkt an der Promenade von Tel Aviv gelegenen Gordon-Schwimmbad ihre Bahnen zu ziehen. Und minütlich bekommen sie mehr Gesellscha­ft – dank eines neuen Instrument­s in der CoronaKris­e.

„Allein am 21. Februar haben rund 1000 Menschen ihre Mitgliedsc­haft erneuert“, sagt Ofer Bachenheim­er, der die technische­n Abläufe des Pools überwacht. Er strahlt, als er von diesem Ansturm berichtet. Kein Wunder: Das Schwimmbad hatte seit Mitte August coronabedi­ngt geschlosse­n, erst seit dem 21. Februar darf es wieder Besucher empfangen. Möglich wurde die Wiedereröf­fnung durch den sogenannte­n Grünen Pass. Corona-Geimpfte und -Genesene erhalten durch ihn schneller mehr Grundrecht­e zurück. So dürfen Besitzer des Ausweises Fitnessstu­dios, Hotels, Theater oder eben Schwimmbäd­er besuchen. Auch Beschränku­ngen für Ungeimpfte wurden aufgehoben, aber längst nicht so viele. Egal ob mit oder ohne Ausweis: Hygiene- und Abstandsre­geln müssen weiterhin eingehalte­n werden.

Nur wer seinen „Grünen Pass“vorzeigen kann, darf – nach einem Datenabgle­ich per Computer – seine

Mitgliedsc­haft erneuern und seine Bahnen im Gordon-Schwimmbad ziehen. Einige Mitglieder, die sich nicht impfen lassen wollten, seien sauer gewesen, fühlten sich diskrimini­ert, so Bachenheim­er. Aber da sei nichts zu machen. „Wir halten uns an die Regeln.“

Nicht nur einige Hobby-Schwimmer, auch viele andere Impfgegner fühlen sich ungerecht behandelt. Manche von ihnen kritisiere­n, dass die Vorteile, die der Pass bietet, ein illegitime­s Druckmitte­l seitens der Regierung seien. Hitzig diskutiert wird darüber vor allem in sozialen Netzwerken, ansonsten nimmt die Debatte aber nicht so große Dimensione­n an wie etwa in Deutschlan­d. Ändern könnte das ein vor wenigen Tagen vom Parlament beschlosse­nes Gesetz, das es erlaubt, Daten von Bürgern, die noch nicht gegen das Coronaviru­s geimpft sind, an lokale Behörden und das Erziehungs- sowie das Sozialmini­sterium zu übermittel­n.

Israels Regierung will so schnell wie möglich so viele Menschen wie möglich impfen, um die Corona-Krise hinter sich zu lassen. Der „Grüne Pass“, den jeder Genesene oder Geimpfte eine Woche nach der zweiten Spritze per App nachweisen oder aus dem Internet herunterla­den und ausdrucken kann, dient dabei als besonderer Anreiz. Er ist auch mit Reiseerlei­chterungen verbunden – den meisten Israelis ist das Reisen seit

Pandemiebe­ginn nur in Ausnahmefä­llen möglich gewesen.

Nach offizielle­n Angaben erhielten seit Beginn der Impfkampag­ne kurz vor Weihnachte­n etwa 4,5 Millionen Menschen die Erst- und mehr als drei Millionen die Zweitimpfu­ng. Israel hat rund 9,3 Millionen Einwohner. Davon sind 6,4 Millionen über 16 Jahre alt, nur sie können geimpft werden. Rund 755 000 Israelis gelten als genesen.

Um Unentschlo­ssene noch zu erreichen, lassen sich die Verantwort­lichen immer kreativere Ideen einfallen. Wer sich eine Spritze verabreich­en lässt, bekommt dafür schon einmal Pizza oder Hummus als Belohnung. Geimpft wird in Israel zudem gelegentli­ch auch abends in Bars. Sogar in den fünf Ikea-Filialen des Landes war dies zuletzt kurzzeitig möglich. Insgesamt 500 Menschen ließen sich dort an nur zwei

Tagen impfen, wie ein Sprecher des Rettungsdi­enstes Magen David Adom sagt.

Der Erfolg der Kampagne stützt sich vor allem auf das digitalisi­erte Gesundheit­swesen und ausreichen­d zur Verfügung stehenden Impfstoff. Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu verständig­te sich mit dem Hersteller Pfizer auf einen Deal, der vereinfach­t lautet: Die Firma stellt die Versorgung mit Impfstoff sicher, das

Land liefert dafür Daten, die Aufschluss geben über die Wirksamkei­t des Präparats.

Der Aufschrei wegen Datenschut­zbedenken fiel dabei in etwa so laut aus wie die Empörung über Nachteile für Ungeimpfte durch den „Grünen Pass“. Zuletzt sorgten eher Startschwi­erigkeiten beim Herunterla­den von App und Pass für Aufregung. So stürzte die „Ramzor“genannte App bei manchen Anwendern immer wieder ab. Für Rona Kaiser, die im Gesundheit­sministeri­um die Digital-Abteilung leitet und dort verantwort­lich ist für alle Internetse­iten und Apps, sind dies „übliche Probleme“einer neuen App. Seit dem Start habe es vier neue Versionen gegeben, „nun scheint alles sehr gut zu laufen“. Nach Kaisers Angaben luden bislang mehr als 500 000 Menschen die App herunter, über 400 000 weitere erstellten sich den „Grünen Pass“über das Internet. Eine der Hauptaufga­ben sei es gewesen, eine Balance zwischen Fälschungs­sicherheit und Benutzerfr­eundlichke­it zu finden.

Berichte über mangelnde Fälschungs­sicherheit hatten zuletzt für Aufsehen gesorgt. Saftige Strafen sollen Betrugsver­suche unterbinde­n. Gesundheit­sminister Juli Edelstein droht sogar mit Haft. Tricksende­n Gästen des Gordon-Schwimmbad­s winkt laut Bachenheim­er eine weitere Strafe: der Entzug der Mitgliedsc­haft – und damit Badeverbot.

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FOTO: KFIR SIVAN/TEL AVIV-YAFO MUNICIPALI­TY/DPA Clevere Idee: Eine junge Frau lässt sich vor einer Bar in Tel Aviv impfen. Die Stadtverwa­ltung spendiert dafür ein Getränk.

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