Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Israel impft sich an die Normalität heran
Der „Grüne Pass“bringt Corona-Geimpften und -Genesenen schneller ihre Grundrechte zurück
TEL AVIV (dpa) - Sogar in Israel kann es im Winter kühl werden. Gut ein Dutzend Unerschrockene hält das an diesem Morgen jedoch nicht davon ab, im berühmten, direkt an der Promenade von Tel Aviv gelegenen Gordon-Schwimmbad ihre Bahnen zu ziehen. Und minütlich bekommen sie mehr Gesellschaft – dank eines neuen Instruments in der CoronaKrise.
„Allein am 21. Februar haben rund 1000 Menschen ihre Mitgliedschaft erneuert“, sagt Ofer Bachenheimer, der die technischen Abläufe des Pools überwacht. Er strahlt, als er von diesem Ansturm berichtet. Kein Wunder: Das Schwimmbad hatte seit Mitte August coronabedingt geschlossen, erst seit dem 21. Februar darf es wieder Besucher empfangen. Möglich wurde die Wiedereröffnung durch den sogenannten Grünen Pass. Corona-Geimpfte und -Genesene erhalten durch ihn schneller mehr Grundrechte zurück. So dürfen Besitzer des Ausweises Fitnessstudios, Hotels, Theater oder eben Schwimmbäder besuchen. Auch Beschränkungen für Ungeimpfte wurden aufgehoben, aber längst nicht so viele. Egal ob mit oder ohne Ausweis: Hygiene- und Abstandsregeln müssen weiterhin eingehalten werden.
Nur wer seinen „Grünen Pass“vorzeigen kann, darf – nach einem Datenabgleich per Computer – seine
Mitgliedschaft erneuern und seine Bahnen im Gordon-Schwimmbad ziehen. Einige Mitglieder, die sich nicht impfen lassen wollten, seien sauer gewesen, fühlten sich diskriminiert, so Bachenheimer. Aber da sei nichts zu machen. „Wir halten uns an die Regeln.“
Nicht nur einige Hobby-Schwimmer, auch viele andere Impfgegner fühlen sich ungerecht behandelt. Manche von ihnen kritisieren, dass die Vorteile, die der Pass bietet, ein illegitimes Druckmittel seitens der Regierung seien. Hitzig diskutiert wird darüber vor allem in sozialen Netzwerken, ansonsten nimmt die Debatte aber nicht so große Dimensionen an wie etwa in Deutschland. Ändern könnte das ein vor wenigen Tagen vom Parlament beschlossenes Gesetz, das es erlaubt, Daten von Bürgern, die noch nicht gegen das Coronavirus geimpft sind, an lokale Behörden und das Erziehungs- sowie das Sozialministerium zu übermitteln.
Israels Regierung will so schnell wie möglich so viele Menschen wie möglich impfen, um die Corona-Krise hinter sich zu lassen. Der „Grüne Pass“, den jeder Genesene oder Geimpfte eine Woche nach der zweiten Spritze per App nachweisen oder aus dem Internet herunterladen und ausdrucken kann, dient dabei als besonderer Anreiz. Er ist auch mit Reiseerleichterungen verbunden – den meisten Israelis ist das Reisen seit
Pandemiebeginn nur in Ausnahmefällen möglich gewesen.
Nach offiziellen Angaben erhielten seit Beginn der Impfkampagne kurz vor Weihnachten etwa 4,5 Millionen Menschen die Erst- und mehr als drei Millionen die Zweitimpfung. Israel hat rund 9,3 Millionen Einwohner. Davon sind 6,4 Millionen über 16 Jahre alt, nur sie können geimpft werden. Rund 755 000 Israelis gelten als genesen.
Um Unentschlossene noch zu erreichen, lassen sich die Verantwortlichen immer kreativere Ideen einfallen. Wer sich eine Spritze verabreichen lässt, bekommt dafür schon einmal Pizza oder Hummus als Belohnung. Geimpft wird in Israel zudem gelegentlich auch abends in Bars. Sogar in den fünf Ikea-Filialen des Landes war dies zuletzt kurzzeitig möglich. Insgesamt 500 Menschen ließen sich dort an nur zwei
Tagen impfen, wie ein Sprecher des Rettungsdienstes Magen David Adom sagt.
Der Erfolg der Kampagne stützt sich vor allem auf das digitalisierte Gesundheitswesen und ausreichend zur Verfügung stehenden Impfstoff. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verständigte sich mit dem Hersteller Pfizer auf einen Deal, der vereinfacht lautet: Die Firma stellt die Versorgung mit Impfstoff sicher, das
Land liefert dafür Daten, die Aufschluss geben über die Wirksamkeit des Präparats.
Der Aufschrei wegen Datenschutzbedenken fiel dabei in etwa so laut aus wie die Empörung über Nachteile für Ungeimpfte durch den „Grünen Pass“. Zuletzt sorgten eher Startschwierigkeiten beim Herunterladen von App und Pass für Aufregung. So stürzte die „Ramzor“genannte App bei manchen Anwendern immer wieder ab. Für Rona Kaiser, die im Gesundheitsministerium die Digital-Abteilung leitet und dort verantwortlich ist für alle Internetseiten und Apps, sind dies „übliche Probleme“einer neuen App. Seit dem Start habe es vier neue Versionen gegeben, „nun scheint alles sehr gut zu laufen“. Nach Kaisers Angaben luden bislang mehr als 500 000 Menschen die App herunter, über 400 000 weitere erstellten sich den „Grünen Pass“über das Internet. Eine der Hauptaufgaben sei es gewesen, eine Balance zwischen Fälschungssicherheit und Benutzerfreundlichkeit zu finden.
Berichte über mangelnde Fälschungssicherheit hatten zuletzt für Aufsehen gesorgt. Saftige Strafen sollen Betrugsversuche unterbinden. Gesundheitsminister Juli Edelstein droht sogar mit Haft. Tricksenden Gästen des Gordon-Schwimmbads winkt laut Bachenheimer eine weitere Strafe: der Entzug der Mitgliedschaft – und damit Badeverbot.