Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Was der Karpfen dem Hecht voraus hat
Der Hecht im Karpfenteich zu sein, ist ein maskuliner Wunsch, der in Wirklichkeit gar nicht so erstrebenswert ist. Denn führende Fischforscher haben in einer Studie im Fachmagazin „Pnas“gezeigt, dass gerade die großen, agilen und dominanten Hechte gefangen werden. Wer sich tollkühn vordrängelt, um den Wurm am Haken zu verschlingen, wird am Ende selbst verschlungen. Etwa von Feinschmeckern, die zarte Hechtklößchen in Zitronen-Dill-Soße lieben.
Diese Erkenntnisse sind aus evolutionsbiologischer Perspektive äußerst interessant. Denn was geschieht mit einer Hechtpopulation, deren mutigste und beweglichste Vertreter ständig weggefischt werden? Es vermehren sich die Bedächtigen, die gemütlich am Teichboden vor sich hindümpeln und den Herrgott einen guten Mann sein lassen. Ob sich Hechte durch diese evolutionäre Selektion in Richtung lethargisches Meditations-Schuppentier irgendwann zum Karpfen entwickeln, steht in der Studie nicht.
Der Karpfen gehört zu den sogenannten Friedfischen, die sich nur ungern in Auseinandersetzungen hineinziehen lassen und keine anderen Fische, sondern Insektenlarven oder Schnecken fressen, um ja keinen Ärger zu kriegen. Mit dieser Strategie haben sie es geschafft, nicht im geringsten vom Aussterben bedroht zu sein. Was aber auch daran liegen kann, dass sie äußerst grätenreich sind und ein eher muffiges Aroma verbreiten.
Das Lebensmotto der Karpfen könnte uns also als Beispiel für ein langes Leben dienen: Möglichst grätig und ungenießbar zu sein. (nyf)