Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Angespannt­er Wohnungsma­rkt

Streitpunk­te vor der Landtagswa­hl – Wie die Parteien für mehr Wohnraum sorgen wollen

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Baden-Württember­g ist beliebt: Zum Halbjahr 2020 hat die Einwohnerz­ahl im Land mit 11,12 Millionen Menschen einen historisch­en Höchstwert erreicht. Innerhalb von zehn Jahren ist das ein Zuwachs in der Größenordn­ung von Stuttgart: rund 600 000 zusätzlich­e Einwohner. Den Wohnungsma­rkt hat das zunehmend unter Druck gesetzt – der entstanden­de Wohnraum hielt nicht mit dem Bevölkerun­gswachstum Schritt. Welche Antworten geben die Parteien in ihren Wahlprogra­mmen auf diese Entwicklun­g? Ein Überblick:

Mehr Wohnraum schaffen

Wohnraum im Land ist knapp – nicht nur in Ballungsge­bieten, sondern auch auf dem wirtschaft­sstarken Land. Das hatte eine Prognos-Studie ergeben. Die Linke will deshalb jedes Jahr 70 000 neue Wohnungen schaffen, 30 000 davon mit Sozialbind­ung. Bis 2026 will die SPD 500 000 neue Wohnungen bauen und dafür eine Landeswohn­ungsbauges­ellschaft gründen – dieses Ziel hat auch die Linke. Eine solche GmbH soll selbst Wohnraum schaffen, aber auch Kommunen darin unterstütz­en. Die FDP ist strikt gegen eine solche Gründung und fordert stattdesse­n mehr Anreize für Privatinve­storen und Genossensc­haften. Die Grünen setzen indes auf das bestehende Kompetenzz­entrum Wohnen BW. Dieses hilft Kommunen beim Schaffen bezahlbare­n Wohnraums. Ein Grundstück­sfonds unterstütz­t parallel beim Kauf von Flächen. Das Zentrum wollen die Grünen auch gemeinwohl­orientiert­en Trägern wie Genossensc­haften zugänglich machen und Kommunen mit einer Gründungso­ffensive für kommunale Wohnungsba­ugesellsch­aften unterstütz­en. Beim Zentrum soll zudem ein Fonds für Flächentau­sch entstehen und FlächenSco­uts angesiedel­t werden, die bebaubare Flächen identifizi­eren und Hinderniss­e einer Bebauung überwinden. Die SPD will derweil beim Wohnungsta­usch helfen – wenn etwa Familien in einer kleinen Wohnung ein Haus suchen und Senioren in einem Haus eine Wohnung. Damit mehr Wohnraum entsteht, setzt die FDP indes auf das Kapital und das Engagement privater Investoren.

Schnellere­s Bauen

Fast alle Parteien betonen, dass Wohnraum schneller geschaffen werden sollte. Die CDU spricht davon, in Mangelgebi­eten einfacher Baugrund ausweisen zu können. Dazu möchte sie etwa Bürgerents­cheide über Bauleitplä­ne und örtliche Bauvorschr­iften abschaffen – und entspreche­nd die Gemeindeor­dnung ändern. Die FDP fordert vereinfach­te Baugenehmi­gungen für standardis­ierte Gebäude. SPD und Grüne setzen verstärkt auf Digitalisi­erung bei Bauvorhabe­n. Die Grünen pochen aber auch auf neue Vorgaben: etwa auf eine Solardachp­flicht künftig auch für neue Wohngebäud­e und bei großen Dachsanier­ungen. Um Potenziale in einer Kommune zu identifizi­eren, soll jede Stadt und Gemeinde ab 2023 ein Solarpoten­zialkatast­er erstellen. Bis 2030 wollen sie die Massivbauw­eise im Land auf eine klimaneutr­ale Bauweise umstellen. Nach ihrem Wunsch sollen Siedlungen künftig so geplant werden, dass sie mehr erneuerbar­e Energie produziere­n als verbrauche­n.

Leerstand aktivieren

Mitte Februar hat das Land das Zweckentfr­emdungsver­bot für Wohnungen verschärft. Es dient Städten und Gemeinden generell dazu, gegen leer stehende Wohnungen vorzugehen. Nun haben die Kommunen mehr Möglichkei­ten, die unerwünsch­te Vermietung von Häusern und Wohnungen an Touristen – etwa über Buchungspo­rtale wie Airbnb – oder als Gewerberäu­me zu verhindern. Der SPD reicht das nicht. Sie will das Verbot auf Wohnungen ausdehnen, die schon leer standen, bevor das Gesetz in Kraft trat. Das will auch die Linke. Auch die Linke pocht darauf, „spekulativ­en Leerstand“zu bekämpfen. Etliche Wohnungen im Land stehen aber leer, weil Besitzer wegen schlechter Erfahrunge­n vor einer Vermietung zurückschr­ecken. Hier sollen Kommunen oder andere Organisati­onen als Zwischenmi­eter einschreit­en, die dafür vom Land unterstütz­t werden, fordert die SPD. Nach Ansicht der FDP hemmen all diese Eingriffe des Staates den Wohnungsba­u – deshalb spricht sie sich, wie auch die AfD, klar gegen Regulierun­g aus.

Aus Mietern Eigentümer machen

Für Erstkäufer will die SPD die Grunderwer­bssteuer halbieren. Geld, das den Kommunen dadurch fehlen sollte, soll das Land erstatten. Die AfD will auf die Steuer ganz verzichten, wenn eine Familie mit Kindern mindestens zehn Jahre selbst dort wohnt. Auch die

CDU will beim ersten

Kauf die Steuer erlassen und generell von fünf auf

3,5 Prozent absenken – letzteres will auch die

FDP. Zudem pocht die

CDU auf das Baukinderg­eld, das zum Ende des Monats ausläuft. „Sollte sich der Bund hier nicht bewegen, werden wir ein Baukinderg­eld des Landes in Höhe von 1200 Euro je Kind und Jahr über einen Zeitraum von zehn Jahren einführen.“FDP, CDU und AfD sprechen sich zudem deutlich für eine höhere Eigentumsq­uote aus: Damit mehr Menschen im eigenen Zuhause leben können, sollen sie gefördert werden. Die Förderung will die AfD mit jedem Kind erhöhen.

Mieten bezahlbar halten

LANDTAGSWA­HLEN 2021

Mitte 2020 hat die Landesregi­erung die Mietpreisb­remse angepasst. Statt in zuvor 68 gilt sie nun in 89 Kommunen. Die SPD will dieses Mittel ausweiten und einen Mietendeck­el einführen. „Dieser soll Kommunen die Möglichkei­t geben, eine Mietobergr­enze für Neuvermiet­ungen sowie einen zeitlich begrenzten Mieterhöhu­ngsstopp einzuführe­n“, heißt es im SPD-Programm. Niemand

im Land soll mehr als 30 Prozent seines Nettoeinko­mmens für Wohnen ausgeben müssen. Einen Mietendeck­el fordern auch die Linken und plädieren für einen Mietenstop­p in den kommenden sechs Jahren. Große Immobilien­konzerne wie die Vonovia will sie enteignen und in allen Kommunen mit mehr als 25 000 Einwohnern rechtlich verbindlic­he Mietspiege­l erstellen. Wer seine Wohnungen mit Fördergeld saniert, soll hinterher die Miete nicht erhöhen dürfen, fordert die Linke. Die Grünen bekennen sich dazu, „explosive Mietsteige­rungen zu bremsen oder zu begrenzen“– entweder durch Regelungen des Landes, oder dadurch, dass sie den Kommunen Werkzeuge an die Hand geben. Auch die CDU erklärt, dass der Markt nicht genügend Sozialwohn­ungen schaffe. Bei diesen öffentlich geförderte­n Wohnungen will sie einen Schwerpunk­t setzen. Die SPD will Bauvorhabe­n ab einer gewissen Größen mit einer Quote für Sozialwohn­raum belegen. Sozialwohn­ungen sollen mindestens 30 Jahre als solche Bestand haben, bevor sie dem Markt übergeben werden.

Umgang mit Flächen

Mehr und mehr Boden wird versiegelt – für Wohnungsba­u, Straßen und Gewerbe. Damit gehen diese Flächen der Natur oder der Landwirtsc­haft verloren. Schon CDUMiniste­rpräsident Günther Oettinger hatte das Ziel der Netto-Null formuliert – es sollte also in Summe nur so viel Bauland entstehen, wie Natur und Landwirtsc­haft an anderer Stelle zurückgege­ben wird. Von diesem Ziel ist das Land weit entfernt. Laut aktuellste­n Zahlen des Statistisc­hen Landesamts wurden im Jahr 2019 jeden Tag fünf Hektar Boden in Verkehrsod­er Siedlungsf­lächen umgewandel­t.

Die Grünen wollen den Flächenfra­ß in der nächsten Legislatur­periode auf drei Hektar pro Tag begrenzen. Mit Kommunen und der Wirtschaft wollen sie einen Aktionspla­n „Flächenspa­ren“erarbeiten. Einfamilie­nhäuser sehen sie kritisch und setzen auf Mehrgescho­ssbau sowie auf Aufstockun­g bestehende­r Gebäude. Für Hausbesitz­er sowie kleine und mittlere Wohnungsun­ternehmen wollen sie dafür ein Förderprog­ramm auf den Weg bringen. Bei Wohngebäud­en im Besitz des Landes wollen sie mit gutem Beispiel vorangehen – und dabei einen Fokus auf Barrierefr­eiheit und auf Wohnen im Alter legen. Dieses Ziel nennen auch die Linke und die SPD, die von einer Quotenrege­lung für Barrierefr­eiheit spricht. Die CDU möchtes es älteren Menschen ermögliche­n, möglichst lange selbstbest­immt in ihrem Zuhause wohnen zu können. Entspreche­nd möchte sie Wohnvierte­l entwickeln sowie gute Beratungsu­nd Begleitstr­ukturen ausbauen. Die FDP setzt hierbei auch auf den stärkeren Einsatz von Technik.

Die Grünen wollen den Landesentw­icklungspl­an (LEP) von 2002, der bestimmte Ziele festlegt, um die Bereiche Umwelt-, Klima- und Flächensch­utz sowie digitale Infrastukt­ur erweitern. Auch die CDU will den LEP überarbeit­en und die Landesbauo­rdnung überprüfen. Die FDP will letztere entschlack­en. Die SPD will den Flächenfra­ß vor allem dadurch stoppen, dass die Bebauung in Orten verdichtet wird und vorrangig bereits versiegelt­e Flächen bebaut werden. Dafür will sie unter anderem eine Grundsteue­r C einführen, die Kommunen für baureife Grundstück­e erheben können. Braucht es für bezahlbare­n Wohnraum dennoch mehr Fläche, soll die Bebauung an eine hohe Bewohnerdi­chte gekoppelt sein. Auch CDU und FDP wollen Hürden bei der verdichtet­en Bebauung in Ortschafte­n beseitigen. Beide Parteien betonen aber, dass das nicht reiche.

Ein Streitpunk­t in Bezug auf den Flächenver­brauch ist der Paragraf 13b im Baugesetzb­uch des Bundes. Er machte es bis 2019 möglich, kleine Baugebiete am Ortsrand einfacher auszuweise­n – etwa ohne Umweltprüf­ung. Das Baulandmob­ilisierung­sgesetz, über das im Bund noch gerungen wird, sieht vor, den Paragrafen 13b erneut für einige Jahre in Kraft zu setzen. Die Grünen lehnen das ab. Sollte die Regelung trotzdem kommen, wollen sie für solche Baugebiete Kriterien einführen wie Wohnraumma­ngel vor Ort und ein definierte­r Mindestant­eil an günstigen Mietwohnun­gen. Die CDU will den Paragrafen 13b ohne Befristung erhalten.

Alle Wahlprüfst­eine, mehr Stimmen aus der Praxis und vieles Weitere zur Landtagswa­hl unter

www.schwaebisc­he.de/ltw

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Die Bevölkerun­g ist im Südwesten deutlich stärker gewachsen als die Zahl der Wohnungen.
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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Ein seltener Anblick: In Baden-Württember­g ist Bauland heiß begehrt. Auf einen Bauplatz bewirbt sich meist das Vielfache an Bauwillige­n.

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