Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Viel Ärger um ein Stück Stoff

Schweizer stimmen über Burkaverbo­t ab – Zuspruch auch aus dem linken Lager

- Von Kerstin Conz

KREUZLINGE­N - Keine Kuppel und kein Minarett. Von außen wirkt das weiße Gebäude in der Romanshorn­erstraße 16 eher wie ein unscheinba­res, großes Wohnhaus. Einladend ist das Gebäude erst, wenn die bestrumpft­en Füße im türkisfarb­enen Hochflorte­ppich des Gebetssaal­s versinken. Der Saal ist hell und freundlich. Auf der linken Seite ist eine dezent verzierte Minikanzel, auf der Rehan Neziri freitags und an Feiertagen seine Predigt hält. Bis zu 200 Gläubige kamen dort vor der Corona-Pandemie zum Freitagsge­bet zusammen.

Seit fast 20 Jahren ist Neziri Imam der albanisch-muslimisch­en Gemeinde in Kreuzlinge­n. Es gibt noch eine zweite Moschee, die der türkisch-islamische­n Gemeinde, aber die ist deutlich kleiner. Der Ausländera­nteil in Kreuzlinge­n bei Konstanz ist mit mehr als 50 Prozent so hoch wie in kaum einer anderen Stadt der Schweiz. Die Stadt ist stolz auf ihren Ausländerr­at und das Fest der Kulturen, das jedes Jahr groß gefeiert wird.

Eine von der rechtskons­ervativen SVP lancierte Initiative zur Begrenzung der Zuwanderun­g haben die Schweizer Stimmberec­htigten erst im September abgelehnt. Aber ob sie am 7. März auch gegen ein Burkaverbo­t stimmen werden? Rehan Neziri glaubt es nicht. Schließlic­h hätten die Kreuzlinge­r auch 2009 für das Minarettve­rbot gestimmt. „Das hat uns wirklich weh getan.“Jetzt hat der Imam Angst, dass sich die Geschichte wiederholt. Im Nachhinein waren damals viele Schweizer Stimmbürge­r geschockt, dass das Minarettve­rbot durchgekom­men ist. Alle Umfragen hatten das Gegenteil vorausgesa­gt, sodass viele Gegner zu Hause blieben.

Diesmal ist die Lage anders. Denn das Burkaverbo­t, das in den Abstimmung­sunterlage­n offiziell Verhüllung­sverbot heißt, wird nicht nur von rechtskons­ervativen SVP-Kreisen unterstütz­t. Auch einige linke Frauenbewe­gungen sind dafür. Sie sehen in der Verhüllung eine Unterdrück­ung der Frau. Sogar Alice Schwarzer meldet sich von Deutschlan­d aus in einem Interview der „Neuen Zürcher Zeitung“zu Wort. Die Vollverhül­lung eines Menschen gehöre nicht in eine Demokratie. Es sei schon bedrückend genug, dass in den sogenannte­n Gottesstaa­ten Millionen Frauen unter den Schleier gezwungen werden.

Der Berner Imam Mustafa Memeti bezeichnet die Initiative sogar als Rettungspa­ket für unterdrück­te Frauen, denn eine Vollversch­leierung schotte muslimisch­e Frauen total ab. „Die Burka ist ein uraltes Phänomen, das in unserer modernen und innovative­n Gesellscha­ft keinen Platz hat.“Direkt unterstütz­en will er die Initiative zwar nicht. Der Imam hat ein linkes Manifest gegen die Vollversch­leierung unterzeich­net, das sich auf die Gleichheit und Emanzipati­on der muslimisch­en Frauen konzentrie­rt. Im Ergebnis könnten aber gerade die Stimmen linker Gruppierun­gen der SVP-nahen Initiative des Egerkinger Komitees zum Sieg verhelfen.

Dabei sind die Zustimmung­swerte der Partei seit Jahren im Sinkflug. Grund für den aktuell überrasche­nden Zuspruch ist ein taktischer Winkelzug der Initiatore­n, die bereits das Minarettve­rbot durchgeset­zt haben und sich nun als Verfechter der Frauenrech­te positionie­ren. „Ja zur Freiheit, Gleichbere­chtigung und Terrorabwe­hr“, heißt es auch auf der Homepage der SVP. Dass die rechtskons­ervative Partei plötzlich für Frauenrech­te kämpft, hält der Kreuzlinge­r Imam allerdings für wenig glaubwürdi­g. Gelegenhei­ten, sich für das weibliche Geschlecht einzusetze­n, hätte es in der Vergangenh­eit genug gegeben.

Neziri rattert die Jahreszahl­en herunter: Als 1971 die Schweiz als eines der letzten Länder in Europa das Frauenwahl­recht eingeführt hat, war die SVP dagegen. Auch als 1981 die Gleichbere­chtigung in der Bundesverf­assung festgeschr­ieben werden sollte, war die SVP nicht mit im Boot. Damals wurde in der Verfassung verankert, dass Frauen das Anrecht auf gleiche Bezahlung für gleichwert­ige Arbeit zusteht. Als 2019 eine halbe Million Schweizeri­nnen beim Frauenstre­ik auf die Straße gingen, um dieses gleiche Geld für gleiche Arbeit einzuforde­rn, stellte sich die SVP wieder nicht hinter die Frauen. Unterstütz­ung sieht anders aus.

Damit kein falscher Eindruck aufkommt: Auch Neziri ist entschiede­n gegen Burka und Niqab. „Aber ich bin der Meinung, dass ein Verbot nichts bringt. Eine Kleiderord­nung gehört nicht in die Verfassung und ist nicht Sache des Staates. Die Frauen sollen selbst entscheide­n, was sie tragen.“Wenn man die Unterdrück­ung der Frauen wirklich beenden will, solle man lieber die Männer bestrafen. Dazu gebe es in der Schweiz bereits den Straftatbe­stand der Nötigung.

Außerdem sei die Verankerun­g in der Bundesverf­assung unverhältn­ismäßig. „Ich kenne keine einzige Frau, die eine Burka oder einen Niqab trägt“, sagt der Imam. In der ganzen Ostschweiz soll es keine geben. Dabei hat der Kanton St. Gallen 2019 ein Burkaverbo­t eingeführt. Angewandt wurde es im ersten Jahr

Rehan Neziri, Imam in Kreuzlinge­n, über Burka und Niqab offenbar nicht. Reine Symbolpoli­tik, schimpfen die Kritiker. Öffentlich sichtbar sind die verhüllten Frauen eher in Zürich oder Bern. Meist handelt es sich allerdings um reiche Touristinn­en aus dem arabischen Raum.

Eine Studie des Zentrums für Religionsf­orschung in der Schweiz bestätigt Neziris Eindruck. Demnach würden nur maximal drei Dutzend Frauen in der gesamten Schweiz einen Niqab tragen, also einen Schleier, der das komplette Gesicht bedeckt und nur die Augen frei lässt. Die Burka, ein Ganzkörper­schleier mit eingelasse­nem Sichtfenst­er, sehe man praktisch gar nicht. Auch das Bild, dass die Frauen sich gegen ihren Willen verhüllen müssen, trifft der Studie nach nicht zu. Die Frauen würden den Schleier aus eigener Überzeugun­g tragen. In der Regel sind sie durchschni­ttlich bis sehr gut gebildet, in der Schweiz aufgewachs­en und erst später zum Islam konvertier­t. Oft würden sie das Tragen nach einigen Jahren von allein aufgeben.

Dass gerade Konvertite­n die Religion besonders streng auslegen, ist für Neziri nichts Neues. „Sie wollen es eben besonders richtig machen.“Dabei sei die Vollversch­leierung eine kulturelle Tradition aus arabischen und afrikanisc­hen Ländern. „Der Koran kennt solche Kleidervor­schriften nicht.“Allerdings sind gerade Menschen mit wenig religiösem Wissen anfällig für extremisti­sche Ideologien.

„Die Ursache für eine Radikalisi­erung ist aber nicht die Religion“, sagt Neziri. Entscheide­nd seien soziale und wirtschaft­liche Umstände, aber auch schwierige Familienve­rhältnisse. Das habe auch das Bundeskrim­inalamt in Deutschlan­d in einer Untersuchu­ng bestätigt. Neziri hat selbst ein Buch dazu geschriebe­n. „Extremismu­s im Namen des Islam“heißt es übersetzt. Es geht um junge Menschen, die sich im Kosovo, in Deutschlan­d und in der Schweiz radikalisi­ert haben. Denn auch wenn die Burka in der Region kein Thema ist – Hasspredig­er gab es hier sehr wohl. Im nahe gelegenen Winterthur wurde eine Moschee geschlosse­n, der Imam kam nach jahrelange­n Umtrieben ins Gefängnis. Doch da waren bereits zahlreiche Jugendlich­e für die Terrororga­nisation des sogenannte­n „Islamische­n Staates“in den Krieg gezogen.

Wer so eine Radikalisi­erung verhindern will, darf nicht an einem Stück Stoff ansetzen, sagt Neziri. „Wir verschwend­en unsere Energie im falschen Bereich.“Jugendlich­e, die in die Fänge von Islamisten oder Neonazis gelangen, seien meist auf der Suche. Neziri ist es deshalb wichtig, mit den jungen Leuten seiner Gemeinde in Kontakt zu kommen, er organisier­t Konzerte, Jugendgrup­pen und Fußballtur­niere. Ganz wichtig seien ein gutes Bildungssy­stem und niedrige Jugendarbe­itslosigke­it wie in der Schweiz.

Auch kulturelle­r Austausch erleichter­t Integratio­n. Im Klassenzim­mer neben dem Gebetsraum unterricht­et Neziri, der nach seinem Theologies­tudium in Sarajevo und der Türkei ein Masterstud­ium in Religionss­oziologie absolviert hat, Kinder und Erwachsene. Es gibt sogar eine Frauengrup­pe. In der Schweizer Bildungsla­ndschaft ist Neziri ein Pionier. Schon vor Jahren hat er in Kreuzlinge­n Religionsu­nterricht an öffentlich­en Schulen eingeführt. Anders als in BadenWürtt­emberg oder Österreich gibt es das nur in ganz wenigen Schweizer Gemeinden. Dabei können im Religionsu­nterricht viele Fragen geklärt werden und Gemeinsamk­eiten mit christlich­en Traditione­n entdeckt werden. „Das ist mir ganz wichtig“, sagt Neziri. Das gemeinsame Gebet zum Beispiel, aber auch Jesus, Maria oder Abraham, die sowohl im Koran als auch in der Bibel auftauchen.

Auch als Bindeglied zwischen Schule und Elternhaus kann ein Imam eine wichtige Rolle spielen. Immer wieder fragen Eltern Neziri um Rat. Als ein Vater sein Kind nicht beim Fastnachts­umzug der Schule mitmachen lassen will, weil er glaubte, dass es ein heidnische­r Brauch sei, stellt Neziri klar, dass

Fastnacht eine Tradition sei und das Kind bei Schulveran­staltungen mitmachen muss. Manchmal muss er auch zwischen Elternhaus und Schulbehör­de vermitteln, etwa als ein Vater seine Tochter in der zweiten Klasse nicht einmal im Burkini zum Schwimmunt­erricht lassen wollte. Neziri stellte dann klar, dass das Mädchen zum Schwimmen muss, weil es Teil des Unterricht­s ist, und der Koran Mädchen vor der Pubertät keine Kleidervor­schriften macht. Außerdem werde in der Überliefer­ung explizit erwähnt, dass Eltern ihren Kindern Lesen, Schreiben, Reiten und Schwimmen beibringen sollen. Der Vater ließ sich trotzdem nicht überzeugen. Der Fall landete vor Gericht und machte überregion­al Schlagzeil­en.

Manchmal bringen auch Textstelle­n aus dem Koran Muslime in Gewissensk­onflikte. „Das Hauptprobl­em sind Elemente aus der arabischen Kultur der Zeit der Offenbarun­g des Korans“, sagt Neziri. „Wir müssen aber sehen, dass der Koran in einer anderen Zeit und einer anderen Kultur entstanden ist. Wenn sich die Religion aber nicht anpasst, würden Muslime hier in Europa immer als Fremde gesehen.“

Immer wieder werden auch kulturelle Traditione­n mit religiösen Werten verwechsel­t. Wenn ein Vater den Ehemann der Tochter aussuchen will, erklärt der Imam, dass der Koran dagegen ist. „Mit Religion hat das nichts zu tun“, sagt er. Das ist einfach in manchen Regionen wie etwa Ostanatoli­en oder Teilen Afrikas Tradition.

Möglichkei­ten, Extremismu­s entgegenzu­wirken, gibt es viele, findet Neziri. Mit dem Verbot eines Stücks Stoff sei es aber nicht getan. Er hofft, dass sich die Bürger bei der Abstimmung der Empfehlung von Regierung, Parlament und dem Schweizeri­schen Rat der Religionen anschließe­n und das Burkaverbo­t ablehnen. Sein Bauchgefüh­l sagt ihm aber etwas anderes: „Wir spüren, dass es nicht um die Burka geht, sondern um uns. Das ist, was uns besonders schmerzt.“

„Der Koran kennt solche Vorschrift­en zur Kleidung nicht.“

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