Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

40 Cent mehr pro Kilogramm Fleisch

Expertenko­mmission gibt grünes Licht für Tierwohlab­gabe – Zeitpunkt der Umsetzung noch unklar

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Mit einer Abgabe könnte der Fleischkon­sum in Deutschlan­d verteuert werden, um mit den Einnahmen die Tierhaltun­g in den Ställen zu verbessern. Zu diesem Ergebnis kommt eine Machbarkei­tsstudie des Bundesland­wirtschaft­sministeri­ums. Damit könnte ein Startschus­s für den Umbau der Tierhaltun­g gefallen sein. Das mahnt zumindest der frühere Landwirtsc­haftsminis­ter Jochen Borchert an. Die nach ihm benannte Kommission hat Wege zu mehr Tierwohl ausgearbei­tet. „Noch haben wir die Chance, die Umstellung der Nutztierha­ltung selbst zu gestalten“, warnt Borchert vor einer Verzögerun­g des Umbaus.

Die Borchert-Kommission hatte eine Tierwohlab­gabe ins Gespräch gebracht. 40 Cent mehr pro Kilogramm Fleisch sollen die Verbrauche­r im Supermarkt bezahlen. Bei Käse beträgt der vorgeschla­gene Aufschlag 15 Cent, bei Butter zwei Cent. Mit den Einnahmen soll der Bund die Investitio­nen der Bauern in komfortabl­ere Ställe bezahlen und eine Prämie für mehr Tierwohl finanziere­n. Zugleich wollen die Experten ein Label einführen, an dem die Kunden den Grad des Tierwohls beim Einkauf erkennen können.

Hintergrun­d der Initiative: Der Widerspruc­h zwischen Anspruch und Wirklichke­it ist selten so hoch wie beim Fleischkon­sum. Eine große Mehrheit der Verbrauche­r will mehr Tierwohl in den Ställen. Doch an der Ladentheke greifen die Konsumente­n vor allem nach den günstigste­n Angeboten. Verbessern Landwirte die Haltungsbe­dingungen für Geflügel, Schweine oder Rinder, kostet sie das viel Geld. Ihre Erzeugniss­e müssten teurer werden. Gegen Billigange­bote aus dem In- und Ausland hätten hiesige Erzeuger kaum eine Chance. Wir kommen nicht um politische Instrument­e herum“, sagt deshalb

Martin Scheele, der die 275-seitige Studie mitverfass­t hat.

Der Umfang der Expertise deutet schon an, dass eine rechtssich­ere Lösung nicht ganz einfach ist. Denn der europäisch­e Binnenmark­t setzt nationalen Alleingäng­en hier Grenzen. So ist eine reine Verteuerun­g des Fleisches zur Förderung heimischer Landwirte beim Einkauf wohl vom Tisch. Es ist nicht zulässig, Angebote aus dem Ausland mit einer Abgabe zu belegen, die anschließe­nd nur den deutschen Landwirten zugute kommt. „Das wäre ein Verstoß gegen das EU-Recht“, sagt Mitautor Ulrich Karpenstei­n. Hier haben die Juristen wohl auch aus der Pkw-Maut gelernt, die an der Diskrimini­erung ausländisc­her Autobesitz­er gescheiter­t ist.

Stattdesse­n weist die Studie drei Möglichkei­ten zur Finanzieru­ng besserer Haltungsbe­dingungen aus. Am leichteste­n erscheint die Einführung einer Ergänzungs­abgabe auf die Einkommens­steuer, also ein Soli für Huhn, Schwein und Rind. Rechtlich wäre dies problemlos. Allerdings erkennen die Autoren darin keine Lenkungswi­rkung für das Verbrauche­rverhalten. Im Supermarkt würde sich für die Konsumente­n nichts ändern. Schließlic­h müssten auch Veganer für mehr Tierwohl blechen.

Beeinfluss­t würde das Verbrauche­rverhalten dagegen von einer Anhebung des Mehrwertst­euersatzes für tierische Produkte von derzeit sieben auf 19 Prozent oder alternativ aller Lebensmitt­el auf zehn Prozent. Auch eine reine Tierwohlab­gabe pro Kilogramm hätte eine Steuerungs­wirkung. Diese beiden Varianten müssten jedoch in Einlang mit dem EU-Recht gebracht werden. Das halten die Juristen grundsätzl­ich für möglich, wenn die Zweckbindu­ng der Einnahmen entfällt.

„Für mich geht es nicht um das Ob, wir reden über das Wie“, sagt Bundesland­wirtschaft­sministeri­n

Julia Klöckner (CDU). Sie will einen parteiüber­greifenden Konsens für den Systemumba­u erreichen. Für ein Gesetz noch in dieser Wahlperiod­e ist die Zeit auch sehr knapp. Ende Juni beendet der Bundestag seine Arbeit praktisch.

Die Umweltorga­nisation Greenpeace erklärte, es gebe nun „keine Ausreden mehr“, die Machbarkei­t der Vorschläge der Kommission sei belegt. Klöckner müsse sie noch vor der Bundestags­wahl umsetzen. Die Anpassung an den Regelsteue­rsatz von 19 Prozent sei „überfällig“, erklärte Landwirtsc­haftsexper­te Martin Hofstetter. Um Verbrauche­r und Verbrauche­rinnen zu entlasten, müsse jedoch zugleich der Mehrwertst­euersatz für Obst, Gemüse und Bioprodukt­e sinken.

Die FDP-Fraktion im Bundestag lehnt dagegen eine Steuer auf Fleisch für mehr Tierwohl ab. „Mit zusätzlich­en Steuern, sei es durch eine Anhebung der Mehrwertst­euer oder eine gesonderte Fleischste­uer, ein Mehr an Tierwohl erreichen zu wollen, ist schlichtwe­g Augenwisch­erei“, sagte am Dienstag FDP-VizeFrakti­onschef Frank Sitta der Nachrichte­nagentur AFP. Es sei „klar“, dass Gelder aus einer Fleischste­uer überhaupt nicht zielgerich­tet bei den Landwirten im Stall ankommen, „sondern im Staatshaus­halt versickern werden“.

Sitta kritisiert­e, Klöckner wecke „völlig falsche Hoffnungen, indem sie Landwirten freudig mit Geldschein­en zuwedelt“. Der FDP-Fraktionsv­ize forderte stattdesse­n eine „echte Tierwohl-Offensive mit einer generellen Anhebung der EU-weiten Tierhaltun­gsstandard­s und einem verbindlic­hen, einfachen und transparen­ten Tierwohlla­bel in der gesamten EU“. Zudem müssten Landwirte die Möglichkei­t bekommen, durch die Abschaffun­g von unnötigen Hürden im Baurecht ihre Ställe einfacher anpassen zu können, sagte Sitta.

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FOTO: THORSTEN GUTSCHALK/IMAGO IMAGES Die Tierwohlab­gabe soll die Haltung in den Ställen verbessern. An der Ladentheke greifen die Konsumente­n nämlich bisher vor allem nach den günstigste­n Angeboten.

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