Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Leichtes Erdbeben auf der Reichenau
Wissenschaftler halten schwere Erdstöße im Südwesten für sehr unwahrscheinlich
RAVENSBURG - Konstanz hat das zweite Beben im Jahr 2021 hinter sich. Nach der Erdbebenserie in Singen vor rund drei Wochen bebte die Erde nun am Montagabend auf der Reichenau. Nach Angaben des Schweizerischen Erdbebendienstes waren die Erschütterungen um 20.43 Uhr mit einer Magnitude von 3,0 auf der Richterskala auf der Bodenseeinsel gerade so spürbar. Auch, weil das Epizentrum in rund 23 Kilometern Tiefe lag. Keine Seltenheit in der Region. Dafür ist das Gebiet, in dem das Beben bemerkbar war, aber sehr weit. Bis in den Schwarzwald hätten Personen Auswirkungen bemerkt. Was es mit den Erdbeben im Südwesten auf sich hat.
Das Gute vorweg: Besorgniserregend war das jüngste Bodenseebeben auf der Insel Reichenau nicht. Gefährlich wird es erst ab einer Stärke von etwa 5,0. Ereignisse wie dieses machen aber immer wieder klar: Der westliche Bodensee, der Hochrhein und der Oberrhein, aber auch Teile der Schwäbischen Alb bis Albstadt und Bad Saulgau sind ein Erdbebengebiet.
Hier trifft die eurasische Kontinentalplatte auf die afrikanische. Das Zusammentreffen der Kontinentalplatten vor etwa 160 Millionen Jahren hat die Alpen aufgetürmt, den Rheingraben und den Zollerngraben entstehen lassen. Auch Schwarzwald und Vogesen könnten so entstanden sein. Die gewaltigen Kräfte der Platten sorgen immer wieder für Beben in der Region.
Zuletzt hatte im Sommer 2019 mehrfach die Erde im Landkreis Konstanz gewackelt. Davor waren 2016 etliche Beben aufgetaucht. Von wissenschaftlicher Seite der Erdbebenforschung wird betont, aus den zuletzt aufgetretenen Ereignissen lasse sich kein Verhalten für die Zukunft prognostizieren.
Dies betrifft auch mögliche Katastrophenkategorien. Wolfgang Brüstle, Chef der baden-württembergischen Erdbebenwarte in Freiburg, meint im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“dazu: „Starke Erdbeben mit möglicherweise katastrophalen Schadensausmaßen sind im Südwesten zwar selten, aber nicht auszuschließen.“1978 hatte es die Gegend von Albstadt auf der Schwäbischen Alb getroffen.
Die Problemzone Zollerngraben verläuft dort. Ein Beben der Stärke 5,7 verursachte Schäden in Höhe von umgerechnet 150 Millionen Euro. 43 Jahre zuvor hatte es Bad Saulgau getroffen. Die Magnitude lag zwischen 5,3 und 5,8. Tausende Gebäude wurden damals beschädigt.
Auch eine echte Großkatastrophe lässt sich in der Nachbarschaft finden – wenn auch nur in historischen Annalen. Im Jahr 1356 kam es in der Schweizer Stadt Basel zu einem Erdbeben der Magnitude 6,0 bis 7,1 – je nach heutiger Berechnungsart. Die Erschütterungen und ein nachfolgender Großbrand zerstörten die Stadt zu großen Teilen. Bis zu 2000 Menschen starben.
Das dortige Hoch- wie Oberrheingebiet gehört wie der Bodenseeraum zur Erdbebenzone zwei. Seismisch aktive Grabensysteme verlaufen dort. Besorgte Menschen erinnern in diesem Zusammenhang daran, dass es im weiteren Umfeld von Basel mehrere Atomkraftwerke gibt, darunter auch zwei Alt-Standorte aus den 1960er- und 1970er-Jahren: Beznau im Schweizer Kanton Aargau und Fessenheim im Oberelsass. Bei beiden wurde der Erdbebenschutz an den Werten des historischen Basler Bebens ausgerichtet. Zu wenig, monieren Kernkraftgegner, zumal Schweizer Forschungen 2009 ergaben, dass auch höhere Magnituden möglich seien – mit womöglich fatalen Folgen.