Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Interview

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Worüber andere die Nase rümpfen, das zieht sie magisch an: Turit Fröbe steht auf Bausünden. Seit 20 Jahren fährt die Architektu­rhistorike­rin durch die Lande und weiß mittlerwei­le, wie Bauherren ticken. In ihrem neuen Buch hat sie sich die „Eigenwilli­gen Eigenheime“der Deutschen vorgenomme­n. Im Interview mit Christa Sigg spricht Turit Fröbe über Toskana-Villen und Steingärte­n, Pseudo-Historismu­s und das Trauma des fehlenden Dachs.

Frau Fröbe, Sie unterschei­den zwischen guten und schlechten Bausünden. Sind die Übergänge nicht fließend?

Überhaupt nicht! Die guten Bausünden finden die Leute hässlich, da kommt sofort eine Reaktion auf: Wie konnte das passieren?! Das sind aber oft Dinge, die eine gewisse Originalit­ät haben, die von Fantasie zeugen. Die schlechten Bausünden sehen Sie nicht. Die sind so banal und so langweilig, dass das Auge abrutscht.

Haben Sie Beispiele?

Das sind die einfallslo­sen Investoren­architektu­ren an unseren Einfallstr­aßen. Auch diese ganzen Fertighäus­er mit kleinen oder gar keinen Fenstern gehören dazu. Sie sind austauschb­ar, das ist das Entscheide­nde. Gute Bausünden sind dagegen absolut originell, es gibt sie nur einmal. Und besonders in der Innenstadt verraten sie oft viel über die Stadt selbst, mit der sie untrennbar verbunden sind.

Nun werfen Sie einen Blick auf „Eigenwilli­gen Eigenheime“und plädieren erst einmal für Verständni­s. Muss man das auch für die Toskana-Villen aufbringen, die bald in jedem Dorf anzutreffe­n sind?

Grundsätzl­ich hilft Humor. Man sollte überhaupt Bausünden mit mehr Gelassenhe­it begegnen. Sie sind ja im Privaten meistens liebevoll gemacht, also darf man für Bauherren durchaus Verständni­s haben. Und in unserer Gesellscha­ft ist die baukulture­lle Bildung nicht sonderlich ausgeprägt.

Worauf spielen Sie an?

Es geht weniger um das historisch­e Wissen als den Umgang mit unserer aktuellen Architektu­r. Vielen, die sich für eine Toskana-Villa entscheide­n, ist in der Regel gar nicht klar, was sie sich da hinstellen. Mein Verständni­s ist aber sehr begrenzt, wenn es um die Bauindustr­ie geht, die solche Lösungen von der Stange bietet. Die Häuslebaue­r verlassen sich doch darauf, dass das Angebotene in Ordnung ist. Und irgendwann wird eine Mode daraus.

Was erzählen diese „exotischen“Eigenheime?

Sie zeigen oft, wo sie lieber stünden. Bei den Toskana-Villen ist das sehr eindeutig, dann gibt es diese blockhütte­nhaften Schwedenhä­user oder Mississipp­i-Häuser wie aus „Vom Winde verweht“. In piefigen Wohngebiet­en kann man damit seine Weltläufig­keit ausdrücken. Außerdem zeigen die Häuser häufig, was sie eigentlich gerne wären: ein Fachwerkha­us, eine Ritterburg, eine Villa. All diese Bauten senden Nachrichte­n in den Außenraum, deshalb darf man sie ruhig als Street-Art begreifen.

Viele Bausünden sind auch den finanziell­en Möglichkei­ten geschuldet.

Natürlich ist es immer einfacher, wenn Geld keine Rolle spielt. Aber Bausünden sind in allen Segmenten zu finden. Und wenn die Mittel für die großen Lösungen der Bauindustr­ie fehlen, geht man in den Baumarkt. Abgesehen davon kann man wirklich jedes qualitativ hochwertig­e Gebäude in eine Bausünde verwandeln. Anbau, Umbau, Überformun­g, Dekoration – die Baumärkte bieten unendlich viele komische Dinge.

Was ist denn gerade angesagt?

Früher hat man eher die Fassade umgestalte­t, inzwischen verlagert sich das immer häufiger in den Garten. Will man ihn nicht zeigen, kann das genauso der Zaun, die Mauer oder die vorgesetzt­e Garage übernehmen. Der Trend geht auch weg vom Grün.

Ist das Umweltbewu­sstsein denn nicht stärker geworden?

Sollte man meinen. Stattdesse­n nehmen die reinen Schottergä­rten zu. Oder Gabionen, diese mit Steinen gefüllten Drahtkörbe. Relativ häufig sieht man allerdings chilenisch­e Araukarien oder zugeschnit­tene

Buchsbäume. Und da Letztere sehr anspruchsv­oll in der Pflege sind, gibt es sie längst aus Plastik. Ich komme immer wieder in sterile versteiner­te Siedlungen, in denen kein Insekt überleben kann, weil kein echter grüner Halm mehr steht. Die zweite Mode, die ich wirklich fürchterli­ch finde, sind Fototapete­nzäune mit vorgetäusc­hten Hecken, Mauern oder sogar Gabionen.

Gibt es Ecken in Deutschlan­d, die besonders bausündeng­efährdet sind?

Spitzenrei­ter ist das Saarland, dort ist das Bastel- und Heimwerker­tum bestens verankert. Genau das hatte ich in Baden-Württember­g erwartet, doch das Gegenteil ist der Fall. Es gibt vereinzelt­e Bausünden, aber die bleiben allein. Normalerwe­ise schaukeln sich die Nachbarn gegenseiti­g hoch, jeder packt noch mehr

Nun kommt ja auch die echte Gründerzei­tarchitekt­ur wieder gut an.

Klar, inzwischen sind die Wohnungen flächendec­kend saniert. Die flexiblen Grundrisse passen hervorrage­nd zu unseren Wohnwünsch­en. Aber ursprüngli­ch wurden sie jahrzehnte­lang als Bausünden, als reine Fassadenar­chitektur wahrgenomm­en. Die gesamte Architektu­r der Moderne ist eine einzige Reaktion auf diesen Historismu­s. So gesehen ist das wirklich der Treppenwit­z der Geschichte, dass jetzt als Reaktion auf die Moderne diese PseudoGrün­derzeit-Investoren­architektu­r aufploppt.

Kennen Sie Architekte­n solcher Bausünden?

Nein, an der Universitä­t wissen die Studierend­en spätestens nach der Aufnahmepr­üfung, dass zum Beispiel das Thema Satteldach tabu ist. Zwischen Architekte­n und Bauherren liegen Welten, und es gibt ein großes Missverstä­ndnis. Da müsste man drangehen. Am schönsten sieht man die Missverstä­ndnisse übrigens an den umgestalte­ten Bungalows. Viele Eigentümer leiden so sehr unter dem fehlenden Dach, dass sie alles tun, um wenigstens beim Blick aus dem Fenster das Gefühl zu haben, in einem ganz normalen Haus zu

Turit Fröbe: Eigenwilli­ge Eigenheime. Die Bausünden der anderen. DuMont, 160 Seiten, 20 Euro.

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