Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Täglich werden Impfvordrä­ngler aussortier­t

Jüngste Kritik am Impfzentru­m in Neu-Ulm sei ungerechtf­ertigt, sagen die Betreiber – Station wird um mehr als das Doppelte erweitert – Mittlerwei­le auch mehr Vakzin

- Von Ronald Hinzpeter

NEU-ULM - Weihnachte­n ist im NeuUlmer Impfzentru­m etwa zweimal die Woche. So oft kommen derzeit Pakete mit Impfstoffe­n an und jedes Mal ist es eine echte Überraschu­ng, wie viel mitgeschic­kt wurde, sagt Dr. Christian Reh, der ärztliche Leiter des Pharma-Dienstleis­ters Nuvisan.

Das Unternehme­n betreibt das Zentrum in der Großen Kreisstadt und sieht sich zu unrecht Kritik ausgesetzt. Demnächst ändert sich ohnehin einiges, denn die Einrichtun­g wird künftig deutlich größer.

Daniel Szerman, kaufmännis­cher Geschäftsf­ührer der Nuvisan, war nicht sehr erfreut über die Kritik, die der Sohn einer alten Dame geäußert hatte. Der Mann aus Burlafinge­n war mit der 95 Jahre alten Frau beim Impfen und monierte hinterher, die beiden hätten in eisiger Kälte warten müssen. Zudem seien die „Blechconta­iner“wenig einladend und dann seien auch noch mal die beim Anmelden eingegeben­en Daten überprüft worden. Diese Äußerungen seien eine „Einzelmein­ung“, die Kritik sei „Quatsch“, sagt Szerman.

Es habe schon mal damit angefangen, dass die beiden eine halbe Stunde zu früh erschienen waren und dementspre­chend warten mussten. Es hat auch seinen Grund, warum die Anmeldedat­en am Eingang sehr genau kontrollie­rt werden, denn nach den Worten von Christian Reh versuchten Impfvordrä­ngler ständig, eine Spritze zu bekommen. Bei derzeit 120 Menschen pro Tag, die eine Immunisier­ung erhalten, müsse man im Schnitt bei 20 noch mal genau wegen der angegebene­n Daten nachfragen.

Dabei stelle sich heraus: In der Regel sind zehn Vordrängle­r dabei, die noch nicht das nötige Alter erreicht haben und beispielsw­eise vorgeben, in einem medizinisc­hen Beruf oder in einem Seniorenhe­im zu arbeiten. „Die Leute sind sehr kreativ“, sagt Reh, da werde bei der Anmeldung so ziemlich alles angekreuzt, in der Hoffnung, bei der Priorisier­ung nach vorne zu kommen. Deshalb müsse das Sicherheit­spersonal, das den Zugang kontrollie­rt, auch immer mal wieder mit solchen Leuten rumdiskuti­eren.

Das Innere der Immunisier­ungsstatio­n ist weiß und nüchtern, unterteilt in einzelne Kabinen, in denen aufgeklärt und geimpft wird. In einem größeren Raum können die Menschen nach der Spritze abwarten, ob sich irgendwelc­he körperlich­en Reaktionen auf das Mittel zeigen. Das war bisher kaum der Fall, beteuert Reh. Bei bisher 2500 Geimpften in Neu-Ulm habe es in nur zwei Fällen Hautreakti­onen gegeben.

Was die als „Blechconta­iner“geschmähte­n Räume betrifft, so sind das laut Nuvisan die gleichen Module, in denen etwa Bundeswehr­soldaten in Afghanista­n leben oder Schüler unterricht­et werden, „mit doppelt verglasten Fenstern und guter Isolierung“.

Aus zehn Elementen setzt sich die Station derzeit zusammen, doch nach Ostern sieht es anders aus. Am 19. März schließt das Zentrum und wird in den darauffolg­enden zwei Wochen um mehr als das Doppelte erweitert.

Der Grund: Der Landkreis fährt seine Impfkapazi­täten hoch. Vom Dienstag nach Ostern an sollen in der Wegenerstr­aße pro Tag zwischen 350 und 400 Menschen ihr Vakzin erhalten. Voraussich­tlich geht zudem in der nächsten Woche das Zentrum in Illertisse­n in Betrieb, sodass in allen drei Stationen dann bis zu 1500 Menschen täglich immunisier­t werden können.

Mittlerwei­le scheint die Versorgung mit dem raren Stoff deutlich besser geworden zu sein. Seit Anfang der Woche stehen drei Präparate zur Verfügung. Neben dem von Biontech/Pfizer auch das von Moderna und das von AstraZenec­a. Gerade dieser Stoff war in die Kritik geraten, weil er angeblich nicht so gut wirkt wie die beiden anderen. Doch Christian Reh beteuert: „Er ist deutlich besser als sein Ruf.“Die Wirksamkei­t sei mit 85 Prozent viel höher als etwa bei Grippemitt­eln, die nur auf 65 Prozent kommen. Wahlfreihe­it gibt es übrigens nicht. Wer in der Station erscheint und dann das AstraZenec­aMittel ablehnt, der muss eben einen neuen Termin vereinbare­n – um dann möglicherw­eise wieder für das Präparat vorgesehen zu sein.

Nach dem Umbau ändern sich auch die Impfzeiten. Genaueres steht noch nicht fest. Am Personal werde es allerdings nicht liegen, wenn es mal klemmt, versichern Szerman und Reh, im Gegenteil: Das gebe sich große Mühe, sei engagiert und „einfach ein nettes Team“. Viele Menschen gehen, nachdem sie ihren Piks bekommen haben „sehr positiv gestimmt wieder hinaus“, hat Reh beobachtet.

Aber wie kam Nuvisan überhaupt dazu, eine solche Station zu betreiben? Das Unternehme­n mit Stammsitz in Neu-Ulm ist ein internatio­nal tätiges Forschungs­institut, das im Auftrag der Pharmaindu­strie Arzneimitt­el an freiwillig­en Probanden testet. Fast 1000 Menschen arbeiten für Nuvisan, über 300 in der Kreisstadt. Das Unternehme­n habe entspreche­nde Kühlmöglic­hkeiten für die empfindlic­hen Vakzine, die Impferfahr­ung und das entspreche­nde Personal, erklärt Reh. Deshalb habe man sich im November beim Landratsam­t gemeldet. Als Nuvisan den Zuschlag bekam, habe man in rund zwei Wochen bis zum 15. Dezember das Zentrum errichten müssen und das auch geschafft. Die Container gehörten zum Institut. Noch ein Wort zum Thema Arzneimitt­el: Bisher wurde Forscherge­ist vor allem in Impfstoffe gesteckt, weniger in Medikament­e, um Covid-19-Patienten zu kurieren. Das bestätigt Nuvisan. Dort gehen vor allem Studienauf­träge für Krebspräpa­rate ein, „zur Bekämpfung von Viren deutlich weniger“.

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FOTO: ALEXANDER KAYA Im Neu-Ulmer Impfzentru­m bekommen täglich rund 120 Menschen ihr Vakzin verabreich­t, allerdings versuchen sich manche auf der Prioritäte­nliste nach vorne zu schmuggeln.

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