Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Landtagskandidaten: Jetzt geht’s um die Bildung
Volkshochschulleitungen nehmen die Kandidaten online in den Schwitzkasten
ALB-DONAU-KREIS - In diesem Landtagswahlkampf seien bisher die Belange der Volkshochschulen von den Kandidaten in ihren offiziellen Äußerungen so gut wie gar nicht berücksichtigt worden, finden die Leitungen der Volkshochschulen Ulm und Laichingen-Blaubeuren-Schelklingen. Deswegen haben
und die Kandidaten des Stadtkreises Ulm und des Alb-Donau-Kreises der verschiedenen Parteien zur Online-Diskussion via Zoom geladen und in die Mangel genommen.
Bis auf den Kandidaten der AFD, der laut Hantel die Einladung unbeantwortet ließ, sind alle anderen der Gesprächseinladung gefolgt. Manuel Hagel (CDU) schickt kurzfristig Ersatzkandidat Walter Haimerl ins Meeting, weil er selbst verhindert ist. Aber Haimerl ist VHS-technisch ein alter Hase, gibt er doch selbst das eine oder andere Seminar. Und Robert Jungwirth, der für Bündnis 90/Die Grünen im Wahlkreis 65 – also das Ulmer Umland – ins Rennen geht, kann sich wegen seines Berufs als Kinderarzt erst später zuschalten. Sein Ulmer Kollege Michael JoukovSchwelling schlägt sich derweil engagiert.
Ilse Fischer-Giovante steckt den Rahmen ab: „Ich habe verschiedene Diskussionsrunden mit Ihnen als Kandidaten gesehen, war auch zu Gast in Online-Talkrunden anderer Wahlkreise. Was mir jedoch auffiel: Nie wurden die Volkshochschulen in Zukunftsüberlegungen einbezogen. Sie kamen einfach nicht vor. Ich habe die Wahlprogramme Ihrer Parteien studiert und fand: Vielfach können die Volkshochschulen unterstützen beim Erreichen der angestrebten Ziele. Ziel unserer Veranstaltung ist, Ihnen das Thema VHS näherzubringen, aus unserer vielfältigen Arbeit zu berichten und auch von den Veränderungen aufgrund der Pandemie. Genauso wichtig ist uns aber, mit Ihnen zusammen darüber nachzudenken, was kommt nach der Pandemie:
Hantel Christoph Ilse Fischer-Giovante
Welche gesellschaftlichen Erfordernisse sind neu? Wo können die Volkshochschulen solide und kreative Partner der Landespolitik werden?“
Es gebe unterschiedliche Ausrichtungen und Herausforderungen für Volkshochschulen in der Stadt und auf dem Land, sagt der Ulmer VHLeiter Hantel. Aber eines eine die VHS Laichingen-Blaubeuren-Schelklingen und die Ulmer VH: Beide sind sie Vereine, die durch die Corona-Pandemie vor großen finanziellen Herausforderungen stehen. Die wolle man natürlich auch thematisieren.
Es gibt strikte Regeln in der Konferenz: Konkrete Fragen werden an bestimmte Kandidaten gerichtet. Die haben maximal 90 Sekunden Zeit für ihre Antwort – worauf auch geachtet wird. Christoph Hantel muss beispielsweise den Ulmer CDU-Kandidaten Thomas Kienle mehrfach wegen Zeitüberschreitung einbremsen.
Die erste persönliche Frage richtet Fischer-Giovante an den FDPMann Uli Walter: „In Ihrem Programm findet sich die Bedeutung des lebenslangen Lernens. Könnten Sie erläutern, warum Sie lebenslanges Lernen im persönlichen wie im beruflichen Kontext unverzichtbar finden?“Walter antwortet, dass die neuen Anforderungen des Arbeitsmarktes dieses lebenslange Lernen offenbar voraussetzen würden und den Volkshochschulen in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle zukomme.
Hantel möchte vom Ulmer CDUKandidaten wissen, ob es Anknüpfungsmöglichkeiten der VHS auf die von Kienle gelobte Kreativität der Gründer-Szene gebe? „Wir bieten niederschwellig Seminare für Existenzgründer, machen mit Facebook und Instagram bekannt – und wir haben einen ausdifferenzierten Fachbereich Kreativität, der erstaunlicherweise von Männern stark nachgefragt ist“, erklärt Hantel. Kienle zählt die vielfältigen Angebote für Gründer in Ulm auf und kommt zum Punkt: „Wo die VH einen Beitrag leisten kann, ist beim Spracherwerb und der Sprachbildung.“Dabei blicke er
Thomas Kienle
auf China, das seinen wirtschaftlichen Einfluss derzeit stark ausbaue.
Fischer-Giovante richtet nach Studium des Lebenslaufs das Wort an den Linken-Kandidaten David Rizzotto:
„Sie und Ihre Herkunftsfamilie hätten viel mehr gesellschaftliche Unterstützung benötigt aus meiner sozialpädagogischen Sicht. Im Nachhinein betrachtet: Wo hätten wir Sie und Ihre Herkunftsfamilie unterstützen können? Wie könnten Sie sich aus heutiger Sicht eine Förderung durch die VHS vorstellen für Familien in ähnlichen Lebenssituationen?“Seine Mutter hätte sicherlich von beruflichen Weiterbildungsangeboten profitiert, sagt Rizzotto. Nur habe sie eben jeden möglichen Job annehmen müssen, um die Kinder durchzubringen. „Deswegen wünsche ich mir, dass nach der Coronazeit die günstigen Angebote der VHS ausgebaut werden“, sagt er.
An den Ulmer Linken
gerichtet fragt Hantel: „Aus Ihrer Biographie entnahm ich die Schwierigkeiten, die Sie als Kind hatten in unserem Schulsystem. Könnten Sie sich vorstellen, wo und wie die VHS im Land Kinder in ähnlicher Situation unterstützen könnten?“Süslü erklärt, dass er mit 16 Jahre nach Ulm in eine Klasse mit sogenannten Integrationskindern kam, wo der Erwerb der deutschen Sprache so gut wie nicht stattfand. Die habe er damals nur über einen Cousin gelernt. Deswegen wünsche er sich, dass die VHS sich weiter als Anlaufstelle für Menschen engagiert, welche die deutsche Sprache lernen wollen.
An den Jüngsten in der Runde, den FDP-Kandidaten der gerade sein Abitur gemacht hat, richtet Hantel die nächste Frage: „Was müssten wir machen, um junge Menschen wie Sie in die VHS zu holen?“
LANDTAGSWAHLEN
Süslü
2021
Mustafa Leon Genelin,
Genelin sagt: „Das liegt weniger an der VHS als an dem Lernmodell der Schulen.“Die Schule vergälle den jungen Menschen die Freude am Lernen und es gebe auch schlicht zu wenige Zeitfenster, auch nach der Schule. Fischer-Giovante sagt: „Da stimme ich Ihnen voll zu.“
Ob die VHS von der Politik auf Unterstützung hoffen kann, möchte Fischer-Giovante vom Grünen-Kandidaten wissen. Er sagt: „Natürlich können die VHS auf Unterstützung hoffen, sowohl von mir als Kandidat für den Landtag als auch von meiner Partei.“
Derzeit müssten die als Vereine organisierten VHS 70 Prozent ihrer Aufwendungen aus eigenen Mitteln aufbringen, sagt die Laichinger VHSChefin. Wünschenswert sei aus ihrer Sicht aber ein Drei-Drittel-Modell, bei dem VHS, Land und Kreis je ein Drittel der Kosten tragen. Das sei in einigen Bundesländern schon umgesetzt, nicht aber in Baden-Württemberg. Immerhin sei der Landeszuschuss erhöht worden – auf Bundesdurchschnitt, „Reicht es für unser Bundesland, bei der Förderung durchschnittlich zu sein?“, fragt die VHS-Leiterin. CDU-Ersatzkandidat
antwortet: „Durchschnitt reicht nicht. Da müssen wir mehr drauflegen.“
An den SPD-Kandidaten
richtet Hantel folgende Frage: „Die SPD fordert in ihrem Wahlprogramm die Abschaffung der Kindergartengebühren. Wenn Sie ins Landesparlament kommen: Könnten Sie sich auch eine Abschaffung der VHS-Gebühren in Teilbereichen unseres Programms vorstellen: Ich denke da beispielsweise an Deutsch, Förderkurse für Medienkompetenz für alle, Förderkurse für Schüler, Kurse für pflegende Angehörige, ökologische Bildung, Verbraucherseminar.“Kübek-Fill sagt, er könne sich durchaus vorstellen, dass die SPD sich dafür einsetzen werde.
Eine Dozentin oder ein Dozent der VHS arbeite für rund 20 Euro pro Stunde, während Lehrerinnen und Lehrer, die im vergangenen Sommer
Michael Joukov-Schwelling Walter Haimerl Alex Kübek-Fill
in der freiwilligen Sommerschule unterrichteten, 50 Euro pro Unterrichtsstunde erhielten, sagt Hantel. Das mache es den VHS auch schwer, qualifiziertes Personal zu verpflichten, sagt der Volkshochschulleiter. „Da muss ein Ausgleich stattfinden, keine Frage“, sagt Kübek-Fill.
„Sind Sie dafür, dass Menschen mit Migrationshintergrund Deutschkurse kostenfrei besuchen können? Welche Ermäßigungsregeln wären in Ihrem Sinne?“, möchte Fischer-Giovante von Rizzotto wissen. Der antwortet, es sei ihm am liebsten, wenn die Bildung generell nichts für die Teilnehmenden koste, von der Kinderkrippe bis hin zur Uni.
Hantel richtet seine nächste Frage an Genelin: „Stichwort technische Voraussetzungen beim Fernunterricht: Sollten wir als VHS ein Unterstützungssystem für Benachteiligte aufbauen?“Genelin antwortet: „Wir haben die Durchlässigkeit des Bildungssystems in der Coronazeit weggeschenkt. Ich finde es schön, dass Sie da reingehen wollen.“
Es entspinnt sich eine kurze, aber hitzig geführte Diskussion unter den Kandidaten, wer und inwiefern dafür verantwortlich sein könnte, dass Schul-Laptops für Bedürftige ausgeliefert oder ob sie überhaupt in ausreichender Stückzahl bestellt wurden. Hantel beendet sie.
Der sich frisch eingeschaltete Kinderarzt wird gefragt, ob die VHS künftig auch Gesundheitsthemen behandeln sollen? Jungwirths Fazit: „Die VHS sollten ein möglichst breites Themenspektrum anbieten.“
Immerhin sind sich die Kandidaten am Schluss weitgehend einig, dass die VHS in der Fläche präsent sein und bei der Selbstentfaltung helfen sollen, sie insgesamt gute Angebote machen.
Robert Jungwirth
Weitere Berichte zur Landtagswahl gibt es online unter www.schwäbische.de/ landtagswahl-albdonau21