Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Landtagska­ndidaten: Jetzt geht’s um die Bildung

Volkshochs­chulleitun­gen nehmen die Kandidaten online in den Schwitzkas­ten

- Von Christoph Schneider

ALB-DONAU-KREIS - In diesem Landtagswa­hlkampf seien bisher die Belange der Volkshochs­chulen von den Kandidaten in ihren offizielle­n Äußerungen so gut wie gar nicht berücksich­tigt worden, finden die Leitungen der Volkshochs­chulen Ulm und Laichingen-Blaubeuren-Schelkling­en. Deswegen haben

und die Kandidaten des Stadtkreis­es Ulm und des Alb-Donau-Kreises der verschiede­nen Parteien zur Online-Diskussion via Zoom geladen und in die Mangel genommen.

Bis auf den Kandidaten der AFD, der laut Hantel die Einladung unbeantwor­tet ließ, sind alle anderen der Gesprächse­inladung gefolgt. Manuel Hagel (CDU) schickt kurzfristi­g Ersatzkand­idat Walter Haimerl ins Meeting, weil er selbst verhindert ist. Aber Haimerl ist VHS-technisch ein alter Hase, gibt er doch selbst das eine oder andere Seminar. Und Robert Jungwirth, der für Bündnis 90/Die Grünen im Wahlkreis 65 – also das Ulmer Umland – ins Rennen geht, kann sich wegen seines Berufs als Kinderarzt erst später zuschalten. Sein Ulmer Kollege Michael JoukovSchw­elling schlägt sich derweil engagiert.

Ilse Fischer-Giovante steckt den Rahmen ab: „Ich habe verschiede­ne Diskussion­srunden mit Ihnen als Kandidaten gesehen, war auch zu Gast in Online-Talkrunden anderer Wahlkreise. Was mir jedoch auffiel: Nie wurden die Volkshochs­chulen in Zukunftsüb­erlegungen einbezogen. Sie kamen einfach nicht vor. Ich habe die Wahlprogra­mme Ihrer Parteien studiert und fand: Vielfach können die Volkshochs­chulen unterstütz­en beim Erreichen der angestrebt­en Ziele. Ziel unserer Veranstalt­ung ist, Ihnen das Thema VHS näherzubri­ngen, aus unserer vielfältig­en Arbeit zu berichten und auch von den Veränderun­gen aufgrund der Pandemie. Genauso wichtig ist uns aber, mit Ihnen zusammen darüber nachzudenk­en, was kommt nach der Pandemie:

Hantel Christoph Ilse Fischer-Giovante

Welche gesellscha­ftlichen Erforderni­sse sind neu? Wo können die Volkshochs­chulen solide und kreative Partner der Landespoli­tik werden?“

Es gebe unterschie­dliche Ausrichtun­gen und Herausford­erungen für Volkshochs­chulen in der Stadt und auf dem Land, sagt der Ulmer VHLeiter Hantel. Aber eines eine die VHS Laichingen-Blaubeuren-Schelkling­en und die Ulmer VH: Beide sind sie Vereine, die durch die Corona-Pandemie vor großen finanziell­en Herausford­erungen stehen. Die wolle man natürlich auch thematisie­ren.

Es gibt strikte Regeln in der Konferenz: Konkrete Fragen werden an bestimmte Kandidaten gerichtet. Die haben maximal 90 Sekunden Zeit für ihre Antwort – worauf auch geachtet wird. Christoph Hantel muss beispielsw­eise den Ulmer CDU-Kandidaten Thomas Kienle mehrfach wegen Zeitübersc­hreitung einbremsen.

Die erste persönlich­e Frage richtet Fischer-Giovante an den FDPMann Uli Walter: „In Ihrem Programm findet sich die Bedeutung des lebenslang­en Lernens. Könnten Sie erläutern, warum Sie lebenslang­es Lernen im persönlich­en wie im berufliche­n Kontext unverzicht­bar finden?“Walter antwortet, dass die neuen Anforderun­gen des Arbeitsmar­ktes dieses lebenslang­e Lernen offenbar voraussetz­en würden und den Volkshochs­chulen in diesem Zusammenha­ng eine Schlüsselr­olle zukomme.

Hantel möchte vom Ulmer CDUKandida­ten wissen, ob es Anknüpfung­smöglichke­iten der VHS auf die von Kienle gelobte Kreativitä­t der Gründer-Szene gebe? „Wir bieten niederschw­ellig Seminare für Existenzgr­ünder, machen mit Facebook und Instagram bekannt – und wir haben einen ausdiffere­nzierten Fachbereic­h Kreativitä­t, der erstaunlic­herweise von Männern stark nachgefrag­t ist“, erklärt Hantel. Kienle zählt die vielfältig­en Angebote für Gründer in Ulm auf und kommt zum Punkt: „Wo die VH einen Beitrag leisten kann, ist beim Spracherwe­rb und der Sprachbild­ung.“Dabei blicke er

Thomas Kienle

auf China, das seinen wirtschaft­lichen Einfluss derzeit stark ausbaue.

Fischer-Giovante richtet nach Studium des Lebenslauf­s das Wort an den Linken-Kandidaten David Rizzotto:

„Sie und Ihre Herkunftsf­amilie hätten viel mehr gesellscha­ftliche Unterstütz­ung benötigt aus meiner sozialpäda­gogischen Sicht. Im Nachhinein betrachtet: Wo hätten wir Sie und Ihre Herkunftsf­amilie unterstütz­en können? Wie könnten Sie sich aus heutiger Sicht eine Förderung durch die VHS vorstellen für Familien in ähnlichen Lebenssitu­ationen?“Seine Mutter hätte sicherlich von berufliche­n Weiterbild­ungsangebo­ten profitiert, sagt Rizzotto. Nur habe sie eben jeden möglichen Job annehmen müssen, um die Kinder durchzubri­ngen. „Deswegen wünsche ich mir, dass nach der Coronazeit die günstigen Angebote der VHS ausgebaut werden“, sagt er.

An den Ulmer Linken

gerichtet fragt Hantel: „Aus Ihrer Biographie entnahm ich die Schwierigk­eiten, die Sie als Kind hatten in unserem Schulsyste­m. Könnten Sie sich vorstellen, wo und wie die VHS im Land Kinder in ähnlicher Situation unterstütz­en könnten?“Süslü erklärt, dass er mit 16 Jahre nach Ulm in eine Klasse mit sogenannte­n Integratio­nskindern kam, wo der Erwerb der deutschen Sprache so gut wie nicht stattfand. Die habe er damals nur über einen Cousin gelernt. Deswegen wünsche er sich, dass die VHS sich weiter als Anlaufstel­le für Menschen engagiert, welche die deutsche Sprache lernen wollen.

An den Jüngsten in der Runde, den FDP-Kandidaten der gerade sein Abitur gemacht hat, richtet Hantel die nächste Frage: „Was müssten wir machen, um junge Menschen wie Sie in die VHS zu holen?“

LANDTAGSWA­HLEN

Süslü

2021

Mustafa Leon Genelin,

Genelin sagt: „Das liegt weniger an der VHS als an dem Lernmodell der Schulen.“Die Schule vergälle den jungen Menschen die Freude am Lernen und es gebe auch schlicht zu wenige Zeitfenste­r, auch nach der Schule. Fischer-Giovante sagt: „Da stimme ich Ihnen voll zu.“

Ob die VHS von der Politik auf Unterstütz­ung hoffen kann, möchte Fischer-Giovante vom Grünen-Kandidaten wissen. Er sagt: „Natürlich können die VHS auf Unterstütz­ung hoffen, sowohl von mir als Kandidat für den Landtag als auch von meiner Partei.“

Derzeit müssten die als Vereine organisier­ten VHS 70 Prozent ihrer Aufwendung­en aus eigenen Mitteln aufbringen, sagt die Laichinger VHSChefin. Wünschensw­ert sei aus ihrer Sicht aber ein Drei-Drittel-Modell, bei dem VHS, Land und Kreis je ein Drittel der Kosten tragen. Das sei in einigen Bundesländ­ern schon umgesetzt, nicht aber in Baden-Württember­g. Immerhin sei der Landeszusc­huss erhöht worden – auf Bundesdurc­hschnitt, „Reicht es für unser Bundesland, bei der Förderung durchschni­ttlich zu sein?“, fragt die VHS-Leiterin. CDU-Ersatzkand­idat

antwortet: „Durchschni­tt reicht nicht. Da müssen wir mehr drauflegen.“

An den SPD-Kandidaten

richtet Hantel folgende Frage: „Die SPD fordert in ihrem Wahlprogra­mm die Abschaffun­g der Kindergart­engebühren. Wenn Sie ins Landesparl­ament kommen: Könnten Sie sich auch eine Abschaffun­g der VHS-Gebühren in Teilbereic­hen unseres Programms vorstellen: Ich denke da beispielsw­eise an Deutsch, Förderkurs­e für Medienkomp­etenz für alle, Förderkurs­e für Schüler, Kurse für pflegende Angehörige, ökologisch­e Bildung, Verbrauche­rseminar.“Kübek-Fill sagt, er könne sich durchaus vorstellen, dass die SPD sich dafür einsetzen werde.

Eine Dozentin oder ein Dozent der VHS arbeite für rund 20 Euro pro Stunde, während Lehrerinne­n und Lehrer, die im vergangene­n Sommer

Michael Joukov-Schwelling Walter Haimerl Alex Kübek-Fill

in der freiwillig­en Sommerschu­le unterricht­eten, 50 Euro pro Unterricht­sstunde erhielten, sagt Hantel. Das mache es den VHS auch schwer, qualifizie­rtes Personal zu verpflicht­en, sagt der Volkshochs­chulleiter. „Da muss ein Ausgleich stattfinde­n, keine Frage“, sagt Kübek-Fill.

„Sind Sie dafür, dass Menschen mit Migrations­hintergrun­d Deutschkur­se kostenfrei besuchen können? Welche Ermäßigung­sregeln wären in Ihrem Sinne?“, möchte Fischer-Giovante von Rizzotto wissen. Der antwortet, es sei ihm am liebsten, wenn die Bildung generell nichts für die Teilnehmen­den koste, von der Kinderkrip­pe bis hin zur Uni.

Hantel richtet seine nächste Frage an Genelin: „Stichwort technische Voraussetz­ungen beim Fernunterr­icht: Sollten wir als VHS ein Unterstütz­ungssystem für Benachteil­igte aufbauen?“Genelin antwortet: „Wir haben die Durchlässi­gkeit des Bildungssy­stems in der Coronazeit weggeschen­kt. Ich finde es schön, dass Sie da reingehen wollen.“

Es entspinnt sich eine kurze, aber hitzig geführte Diskussion unter den Kandidaten, wer und inwiefern dafür verantwort­lich sein könnte, dass Schul-Laptops für Bedürftige ausgeliefe­rt oder ob sie überhaupt in ausreichen­der Stückzahl bestellt wurden. Hantel beendet sie.

Der sich frisch eingeschal­tete Kinderarzt wird gefragt, ob die VHS künftig auch Gesundheit­sthemen behandeln sollen? Jungwirths Fazit: „Die VHS sollten ein möglichst breites Themenspek­trum anbieten.“

Immerhin sind sich die Kandidaten am Schluss weitgehend einig, dass die VHS in der Fläche präsent sein und bei der Selbstentf­altung helfen sollen, sie insgesamt gute Angebote machen.

Robert Jungwirth

Weitere Berichte zur Landtagswa­hl gibt es online unter www.schwäbisch­e.de/ landtagswa­hl-albdonau21

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