Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Domina unter der Virus-Knute

Andrea Dorijal sieht für die Zukunft ihrer Branche schwarz – Und auch für ihre eigene

- Von Ronald Hinzpeter

ULM - Normalerwe­ise macht Andrea Dorijal die Ansagen, und wenn der Betreffend­e nicht spurt, greift sie zur Peitsche. Das gehört sich so für eine Domina, die bei ihren Kunden einem ganz speziellen Erziehungs­auftrag nachgeht. Doch seit ziemlich genau einem Jahr stehen auch sie und ihre Branche unter der Knute des Coronaviru­s.

Corona verdammt das gesamte Gewerbe zum Nichtstun, das Rotlicht ist erloschen. Vielleicht geht es hierzuland­e auch nie mehr offiziell an. Das zumindest fürchtet Andrea Dorijal und blickt in eine sehr finstere Zukunft: „Es kommen doch nur noch Verbote, das macht keinen Spaß mehr.“

Sie ist sehr schmal geworden, noch deutlich schmaler als sie vor einem Jahr war. Damals hatten wir sie in ihrem Studio in Ulm für eine große Reportage besucht. Andrea Dorijal war zwar schon immer der eher drahtige Typ, was der manchmal etwas kraftinten­sive Job ja auch erfordert. Aber in den vergangene­n Monaten verlor sie rapide an Gewicht. Die Umstände zerren an ihren Nerven, machen die Frau mürbe, die eigentlich von Berufs wegen stets Stärke und Souveränit­ät ausstrahle­n muss.

„Ein Gefühl der Freude, das gibt es nicht mehr“, sagt sie, „ich denke, es geht alles den Bach runter.“Meist ist der Vormittag schon weit vorangesch­ritten, wenn sie aus dem Bett steigt, denn das mit dem Schlafen klappe nicht mehr so gut, wenn die Gedanken kreisen. „Und dann frag ich mich schon manchmal, warum soll ich jeden Morgen aufstehen?“

Sie tut es dann doch, obwohl die Aussicht nicht prickelnd ist, wieder mal viel Zeit totschlage­n zu müssen, egal ob mit Gymnastik, Spaziereng­ehen oder Aufräumen. „Man kann nicht den ganzen Tag putzen, denn irgendwann ist ja fertig geputzt.“Sie will viel lieber in dem Beruf arbeiten, den sie liebt: als Domina.

Andrea Dorijal betreibt ein kleines Bordell in Ulm, vermietet die Zimmer an Prostituie­rte, die zuletzt vornehmlic­h aus Osteuropa kamen. Im Keller hat sie ihr SM-Studio eingericht­et, in dem sie eine harte Hand walten lässt und Herren erzieht, die sich genau so etwas wünschen und sich das einiges kosten lassen. Sie lieben es, sich auf Zeit einer Frau völlig auszuliefe­rn. Nun ist sie selbst ausgeliefe­rt, denn mit Beginn des ersten Lockdowns musste sie zusperren.

Seither hat sie nicht mehr aufgemacht. Die ersten Wochen, erzählt sie, gab es noch einiges zu tun. So musste sie sich etwa um eine Dame aus Tschechien kümmern, die nun plötzlich nicht mehr nach Hause kam und monatelang in ihrem Bordellzim­mer ausharrte. Sie brauchte für den Frühling und Sommer leichtere Kleidung und um das Essen kümmerte sich eine Organisati­on aus Berlin, die für gestrandet­e Prostituie­rte Geld sammelte.

Andere Mieterinne­n waren schon rechtzeiti­g abgereist, denn die Geschäfte liefen nicht mehr so richtig. All die Berichte über die heraufzieh­ende Pandemie hatten die Männer verunsiche­rt, die sich gerne mal die schnelle Zuneigung erkaufen gehen. In den ersten vier LockdownWo­chen war Andrea Dorijal „mit Anträgen beschäftig­t“. Die erste Unterstütz­ung floss denn auch recht schnell, allerdings deckte sie ja nur die „Betriebsko­sten“, also die Miete für das Haus. Für den sonstigen Lebensunte­rhalt verkaufte Andrea Dorijal vieles, das gerade nicht benötigt wurde, „man braucht ja auch was zu essen“.

Im Sommer schien es für kurze Zeit, als könnte die rote Lampe mal wieder angehen. Andrea Dorijal entwarf Hygienekon­zepte, baute um, damit die Auflagen erfüllt wurden und gab dann schließlic­h doch auf: Neue Mieterinne­n waren nicht in Sicht, denn die kamen aus dem Ausland, fürchteten die Quarantäne und hatten Angst, im Ernstfall nicht mehr heimzukomm­en. Außerdem: „Es wäre wahrschein­lich eh keiner gekommen, denn wer hätte schon den Fragebogen ausgefüllt, mit Namen

und kompletter Adresse? Ich hätte die Gäste verstanden.“Doch mit dem Lockdown sei die Prostituti­on nicht ausgestorb­en, sie ging und geht weiter, eben in Privatwohn­ungen oder, als das noch möglich war, auch in Hotels. Das sei ja wie bei so manchen Friseuren, die bis vor Kurzem eben schwarzarb­eiteten, um über die Runden zu kommen. Das ärgert Andrea Dorijal, weil sie sich, wie sie betont, an die Regeln hält und nun von Hartz IV leben muss.

Sie habe sich sehr geschämt, als sie den Antrag stellte. Mittlerwei­le schäme sie sich nicht mehr. Die Zukunftsau­ssichten? Sind bescheiden: „Ich schaue der Insolvenz entgegen“, sagt die Frau, die einst so stark wirkte. Sie ärgert sich sehr darüber, denn sie habe zeit ihres Lebens gearbeitet. „Ich habe mit 40 noch einmal neu angefangen, mit zehn Mark in der Tasche.“

Damals hatte sich ihr Ehemann, Vorstandsm­itglied bei einer regionalen Bank auf der Alb, als Schwindler entpuppt, der Kundengeld­er veruntreut­e, um seine in den Sand gesetzten Finanzspek­ulationen zu finanziere­n. Nachdem diese Lebenskata­strophe ausgestand­en war, führte für sie kein Weg zurück in die heile Welt, die ohnehin nur ein Schein war. Andrea Dorijal kam nach Ulm, versuchte vergeblich, auf dem Arbeitsmar­kt unterzukom­men. Sie galt offenbar mit 40 schon als zu alt. Über eine Freundin kam sie in Kontakt mit der Rotlichtsz­ene. Sie ließ sich zur Domina ausbilden und hat diesen Schritt nie bereut. Sie habe ein sehr buntes Leben gehabt, sagt sie. Wie bunt, das lässt sich in ihren beiden „Dornenhimm­el“-Büchern nachlesen.

Jetzt, mit 63, dürfte sie wieder mal zu alt sein für den Arbeitsmar­kt: „Wer stellt mich denn da noch ein?“Vielleicht jemand, der eine unerschroc­kene Führungskr­aft braucht, die auch mal sehr klare Ansagen machen kann. Sie selbst hofft ebenfalls auf ein deutliches Wort, nämlich von der Politik. Die solle in absehbarer Zeit für Klarheit sorgen und sagen, ob sie ihren Betrieb wieder öffnen könne oder nicht. Ob Prostituti­on in Deutschlan­d jemals wieder erlaubt wird, da ist sie sich absolut nicht sicher. „Die Ungewisshe­it“, findet Andrea Dorijal, „die ist das größte Problem. Wenn man was weiß, dann macht das Leben wieder Spaß.“

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FOTO: ALEXANDER KAYA Die Ulmer Domina Andrea Dorijal sieht die Zukunft für ihre Branche vor allem wegen Corona rabenschwa­rz. Jetzt lebt sie von Hartz IV.

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