Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Haft für Vergewaltigung an Halloween
Nach Missbrauch von 14-Jähriger verurteilt das Landgericht Ulm vier Asylbewerber
Nach Wochenenden ist bei der Interpretation der Zahlen zu beachten, dass meist weniger Personen einen Arzt aufgesucht haben. Dadurch wurden weniger Proben genommen. Zum anderen kann es sein, dass nicht alle Gesundheitsämter an allen Tagen Daten an das Robert-Koch-Institut übermittelt haben. In der Tabelle werden die zu Redaktionsschluss neuesten verfügbaren Zahlen angegeben. Dadurch kann es zu Abweichungen zu nationalen und lokalen Zahlen kommen. Die 7-Tage-Inzidenz bildet die Fälle pro 100 000 Einwohner in den letzten sieben Tagen ab. Quellen: Robert-Koch-Institut von Montag, 8.30 Uhr; Landesgesundheitsamt BadenWürttemberg von Montag, 16 Uhr; Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit von Montag, 8 Uhr.
ULM - Nachdem der Richter sein Urteil bekannt gegeben hatte, lag sich das Opfer mit seinen Eltern in den Armen, minutenlang. Nach acht Monaten endete für die Jugendliche am Montag ein Prozess, der sie an ihre Grenze und darüber hinaus geführt hatte. Zwischenzeitlich bestand die Gefahr, die junge Frau könne nicht mehr vernommen werden. So schmerzhaft war es für sie, immer wieder schildern zu müssen, was sich in der HalloweenNacht 2019 in einer Flüchtlingsunterkunft in Illerkirchberg (Alb-DonauKreis) ereignet hatte.
Auf der Anklagebank: vier junge Männer, Asylsuchende aus Afghanistan und dem Irak im Alter zwischen 17 und 26 Jahren. Das Gericht verurteilte sie zu Haftstrafen von zwei Jahren und zwei Monaten beziehungsweise zwei Jahren und drei Monaten. Ein fünfter Angeklagter befindet sich auf freiem Fuß. Er stimmte einem Täter-OpferAusgleich zu.
Nach rund zwei Dutzend Verhandlungstagen kam es in dem Prozess zu einem ungewöhnlichen Abschluss. Es war das erste Mal, dass sich Opfer und Täter in die Augen schauen konnten, wenngleich die Angeklagten die Urteilsverkündung
mit gesenkten Häuptern über sich ergehen ließen. Sie würdigten die Geschädigte am anderen Ende der zum Gerichtssaal umfunktionierten Donauhalle (wegen Corona) kaum eines Blickes. Dies aber war der Wunsch der jungen Frau: Sie wollte ihren Peinigern ins Gesicht schauen, bei der Bekanntgabe des Urteils dabei sein. Davor war sie stets unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen worden – und in Abwesenheit der Angeklagten.
Wobei sie sich auch in Widersprüche verhedderte, und sogar, wie Richter Wolfgang Fischer sagte, „teils bewusst falsche Angaben gemacht“hatte. Die Beweisaufnahme gestaltete sich diffizil. Es galt herauszufinden: Was ist Dichtung, was Wahrheit? Oder, wie es Fischer formulierte: „Was kann ich glauben, was kann ich nicht glauben?“Erschwert wurde dieses Puzzlespiel durch die Angeklagten, die quasi durchweg schwiegen. Hinzu kam: Die junge Frau wurde gefügig gemacht, mit einer nicht mehr näher bestimmbaren „blauen Flüssigkeit“, so Fischer. Ihre Erinnerungsfähigkeit war deshalb eingeschränkt.
Als gesichert gilt: Die Jugendliche ging freiwillig mit den jungen Männern mit, nachdem sie in der Halloween-Nacht
in Ulm mit Freundinnen gefeiert hatte. Was in der Flüchtlingsunterkunft in den kommenden Stunden dann im Detail geschah, das wird wohl für immer im Dunkeln bleiben, im Nebel einer alkoholschwangeren Nacht.
Verurteilt wurden die jungen Männer in erster Linie aufgrund der Aussagen des Mädchens, das sich am nächsten Tag seiner Mutter offenbarte. Mehrere Male vollzogen die Angeklagten mit ihr den Geschlechtsverkehr, DNA-Spuren belegen dies – jedoch sei das gegen den Willen des Opfers geschehen, so das Gericht.
Was das Ganze verkomplizierte: Die Jugendliche habe schon vor der Tat „sexualisiertes Verhalten“an den Tag gelegt, so der Richter. Dieses soll so ausgeprägt gewesen sein, dass sich dafür sogar die Freundinnen der Jugendlichen schämten, „peinlich“sei ihnen das Verhalten ihrer Freundin gewesen. Das Gericht musste also entscheiden: Wo hörte für das Opfer der „Spaß“auf, wo überschritten die Angeklagten die rote Linie? Die Verteidiger argumentierten so: Selbst wenn Geschlechtsverkehr stattgefunden hat; das Gericht müsse beweisen, dass dieser nicht einvernehmlich geschehen sei.
Eine vermutlich entscheidende Rolle kam einer Gutachterin zu. Sie attestierte dem Opfer, das schon vor der Tat unter psychischen Problemen litt, ein „Vollbild“einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Fazit aus medizinischer Sicht: Das Mädchen kann die Vorwürfe nicht allesamt erfunden haben. Es muss etwas Gravierendes passiert sein in dieser Nacht.
Und noch Gravierenderes hätte mit der Jugendlichen geschehen können, hätten sich Verteidiger, Staatsanwaltschaft und Gericht nicht auf einen Kompromiss geeinigt. Die Verhandlung wurde abgekürzt, was die junge Frau davor bewahrte, so das Gericht, eine „schizophrene Psychose“auszubilden. Ihr Zustand sei „verheerend“; der Richter sprach auch von möglicherweise „suizidalen“Absichten des Opfers. Die Angeklagten gestanden und im Gegenzug konnten sie mit einer Strafe im mittleren Bereich des Strafrahmens rechnen.
Das Urteil sei „mild“, befand Wolfram Schädler, der Anwalt des Opfers, die als Nebenklägerin aufgetreten war. Für seine Mandantin sei die Höhe der Strafe aber sekundär. Ihr sei es primär darum gegangen: „Dass man ihr glaubt.“Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.