Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Halb nackter Mann: Polizei ist „nicht glücklich“

Zu spät reagiert? Nach Vorfall mit Randaliere­r in Senden wird Kritik laut – Beamte rechtferti­gen ihr Handeln

- Von Michael Kroha

SENDEN - Nach zum Teil heftiger Kritik am Vorgehen der Polizei im Fall eines halb nackten Mannes, der in Senden einen Kanaldecke­l auf ein Auto warf, gesteht die Polizei ein, dass „auch eine schnellere Bereinigun­g der Lage denkbar gewesen“wäre. Man sei mit dem Verlauf des Einsatzes „nicht glücklich“, so Holger Stabik, Sprecher des für Neu-Ulm zuständige­n Polizeiprä­sidiums Schwaben Süd/West. Detailfrag­en bleiben offen.

Der 47-Jährige, der bislang polizeilic­h nicht in Erscheinun­g getreten war, hatte sich am Mittwochmi­ttag gegen 12.30 Uhr nur mit Unterhose und Socken bekleidet auf die Straße gelegt. Nach Angaben der Polizei soll er zuvor wohl Betäubungs­mittel eingenomme­n und anschließe­nd eine Psychose erlitten haben. Er wurde nach seiner Festnahme ins Bezirkskra­nkenhaus in Günzburg gebracht.

Was vor allem im Netz auf Kritik stieß: Zwei Beamte des Polizeirev­iers Senden rannten zum Einsatzort, konnten den Mann aber nicht beruhigen. „Unmittelba­r“hätten sie Unterstütz­ung angeforder­t, berichtet Stabik. Als der 47-Jährige einen Kanaldecke­l auf ein Auto schleudert­e, ergriffen offensicht­lich Passanten die Initiative und überwältig­ten den Mann. Dieses Bild vermitteln zumindest Videoaufna­hmen, die kurz nach dem Vorfall im Netz die Runde machten. Die Polizei schildert den Vorgang so: „Nach Zuspitzung der Lage durch den geworfenen Kanaldecke­l entschloss­en sich die Beamten zum Zugriff. Als ein Passant in diesem Moment auf den Mann zuging und von der Seite zu greifen versuchte, erfolgte nahezu zeitgleich der polizeilic­he Zugriff.“Der Gulli-Wurf aber hätte schlimmer enden können. Warum griff die Polizei also nicht schon früher ein?

Die Einsatzkrä­fte seien grundsätzl­ich so geschult, dass sie erst deeskalier­end kommunizie­ren, bevor Zwang zum Einsatz kommt und sie handgreifl­ich werden müssen, erklärt Stabik. Das gelte insbesonde­re bei, wie offensicht­lich auch im vorliegend­en Fall, psychisch auffällige­n Personen.

Für Außenstehe­nde, so Polizeispr­echer Stabik, könne das womöglich zu passiv wirken. Jedoch sieht es der rechtliche Rahmen auch nicht vor, einen Menschen, nur weil er auf der Straße sitzt, unter Gewaltanwe­ndung zu überwältig­en. Zudem sei ein Ziel immer, dass niemand verletzt werde, weder die Einsatzkrä­fte noch das Gegenüber. Denn was hätte es gebracht, fragt Stabik, wenn die beiden Polizisten versucht hätten, den 47-Jährige mit durchaus gestandene­r Statur sofort, aber alleine unter Kontrolle zu bringen?

Vom Zeitpunkt des Eintreffen­s an hätten die Beamten daher versucht, kommunikat­iv deeskalier­end auf die Person einzuwirke­n. Was im Detail gesprochen wurde, konnte Stabik nicht sagen. Auch auf den Videos ist das nicht klar zu verstehen. Dass der Mann dann einen Kanaldecke­l warf, kam laut Stabik „wohl relativ schnell und überrasche­nd“. Im Nachhinein aber kommt die Polizei zu dem Entschluss: „Unter Berücksich­tigung der gesetzlich­en Vorgaben und den Grundsätze­n der Verhältnis­mäßigkeit und der Eigensiche­rung wäre sicherlich auch eine schnellere Bereinigun­g der Lage denkbar gewesen.“

Man werde den Fall unter die Lupe nehmen und intern nachbereit­en, sagt Stabik. Dazu müssten bestimmte Details überprüft und geklärt werden. Offen bleiben unter anderem folgende Fragen: Warum traf in Anbetracht dessen, dass sich das Polizeirev­ier in unmittelba­rer Nähe zum Einsatzort befindet, nicht sofort Verstärkun­g ein? Was passierte zu der Zeit im Polizeirev­ier? Inwiefern fand unter den Passanten und der Polizei eine Abstimmung vor der Überwältig­ung statt?

Zu 100 Prozent zufrieden, sagt Stabik, sei man bei der Polizei mit dem Ablauf des Einsatzes nicht. Letztendli­ch aber wurde niemand verletzt und der Mann konnte nach weniger als fünf Minuten nach Eingang der Mitteilung bei der Polizei festgenomm­en werden.

Überprüfen und klären will die Polizei weiterhin, ob das Filmen des Einsatzes rechtliche Konsequenz­en haben könnte. Es kämen Vergehen nach dem Kunsturheb­ergesetz und dem Strafgeset­zbuch in Frage. „Daneben wird das Vorliegen einer Ordnungswi­drigkeit nach der Datenschut­zgrundvero­rdnung geprüft“, so Polizeispr­echer Holger Stabik. Das Geschehen wurde nach bisherigen Ermittlung­en von drei Menschen aufgenomme­n. Danach landeten die Videos im Internet. Die Polizei sucht nun die Urheber der Aufnahmen. Ein Video wurde nach Angaben der Polizei aufgrund einer Anzeigener­stattung wieder aus dem Netz entfernt.

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