Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
„Im Zweifel hilft nur Ruhe“
Kardiologe Klaus Schlotterbeck über Risiken fürs Herz nach einer Corona-Erkrankung
WEINGARTEN - Warnende Beispiele aus der Welt des Profisports hat es zuletzt mehrere gegeben. Eishockeyspieler Janik Möser machte als erster deutscher Profi seine Herzprobleme nach überstandener Corona-Erkrankung öffentlich, Basketballer Michael Ojo starb an einem Herzinfarkt – kurz zuvor war der 27-Jährige positiv getestet worden. Was das Virus mit dem Herzen machen kann und welche Anzeichen Profi- und Freizeitsportler auf gar keinen Fall auf die leichte Schulter nehmen sollten, hat der Kardiologe Klaus Schlotterbeck im Gespräch mit Thorsten Kern erzählt.
Herr Dr. Schlotterbeck, sind bei Ihnen in der Praxis jetzt vermehrt Sportler als Patienten da?
Ja, tatsächlich erleben wir einen Anstieg seit Beginn der Corona-Pandemie. Teils kommen die Sportler Wochen nach ihrer Corona-Erkrankung zu uns, weil sie sich im Training nur eingeschränkt belasten können. Dann führen wir EKG, Ultraschalluntersuchungen und Belastungstests durch. In der Regel sind die Ursachen dieser Beschwerden ein Trainingsmangel oder ein falscher Einstieg in das Training. Deshalb ist es auch ganz wichtig, dass man als Sportler langsam wieder anfängt. Die Ursache kann aber auch eine durchgemachte Herzmuskelentzündung im Rahmen der Corona-Erkrankung sein. Studien bei Leistungssportlern haben gezeigt, dass bei fünf bis 15 Prozent eine Herzmuskelentzündung während der Infektion mit dem Virus entstanden ist.
Sind Sportler generell gefährdeter, nach einer Corona-Erkrankung Herzprobleme zu bekommen?
Sowohl Spitzensportler als auch Freizeitsportler, die viel Sport treiben, haben im Prinzip eine gute Immunabwehr und sind nicht gefährdeter als andere. Aber sie haben gelegentlich Folgen einer Corona-Erkrankung, die sie nicht wahrnehmen. Manche haben eine leichte, nicht erkannte Herzmuskelentzündung durchgemacht und fangen dann zu früh mit dem Training an. Man sollte unbedingt darauf achten, ob man Beschwerden hat.
Welche sind das?
Atemnot, Einschränkung der Leistungsfähigkeit, Herzstolpern und exzessive Müdigkeit sind klare Anzeichen. Leistungssportler sollten auch bei symptomfreiem Verlauf nach einer Corona-Erkrankung auf jeden Fall einen Gesundheitscheck beim Mannschaftsarzt mit EKG und Blutuntersuchung machen. Schwer symptomatisch verlaufende Infektionen sollten nach einer zwei- bis vierwöchigen Sportpause vor Trainingsbeginn kardiologisch untersucht werden.
Aber Amateursportler haben selten einen Mannschaftsarzt. Würden Sie diesen Sportlern zu einer Untersuchung raten?
Bei fortbestehenden Symptomen sollte man es abklären lassen. Das geht in der Regel beim Hausarzt mit EKG und Blutuntersuchung. Wenn die Beschwerden nicht besser werden, sollten Sportler zu einem Kardiologen gehen. Dort werden auch Herzultraschalluntersuchungen und Belastungsuntersuchungen gemacht. Auch die Lungenfunktion wird überprüft.
Gibt es denn eine Regel, wie viel Zeit zwischen einer Corona-Erkrankung und dem Sport vergehen sollte?
Es gibt ganz gute Regeln, sogar offizielle Empfehlungen der Fachgesellschaften. Sie empfehlen ein abgestuftes Vorgehen je nach Schwere der durchgemachten Erkrankung: Bei asymptomatischem oder mildem Verlauf, wie er häufig bei Sportlern eintritt, keine intensiven Belastungen für zwei bis vier Wochen. Bei schweren Verläufen mit Lungenentzündung keine sportlichen Belastungen für mindestens vier Wochen. Bei Corona-Erkrankungen mit Herzmuskelentzündung eine Trainingspause von drei bis sechs Monaten.
Sind Freizeitsportler dann nicht viel gefährdeter, weil sie keine medizinische Unterstützung wie Profis haben?
Nur, wenn sie das Training überreizen und nicht auf den Körper hören. Es gibt natürlich unterschiedliche Sportintensitäten, beim Walking ist der verfrühte Wiedereinstieg weniger gefährlich als bei Langstreckenläufern.
Wie sieht es etwa bei Amateurfußballern aus, die in der Kreisliga oder der Bezirksliga sonntags kicken?
Da gab es ja auch außerhalb der Corona-Zeit ganz seltene Fälle, dass jemand auf dem Platz umgekippt ist. Die Herzmuskelentzündung zählt dabei zu den führenden Ursachen bei Sportlern unter 35 Jahren. Das heißt: Auch ein Amateurfußballer sollte sich selbst nach der Infektion ganz genau beobachten.
Auch eine schwere Grippe kann dem Herzen schaden. Ist das Coronavirus viel gefährlicher?
Das Coronavirus geht über die sogenannten ACE2-Rezeptoren in den Körper. Diese sitzen an verschiedenen Gefäßzellen des Körpers – in erster Linie in Lunge und Herz, aber auch anderen Organen. Dann kann es zu Gefäßentzündungen im ganzen Körper kommen. Corona kann dann zu Gerinnungsveränderung führen, das Blut verdickt, es kann zu Gefäßverschlüssen, Lungenembolie oder Herzinfarkten kommen. Das sind aber die ganz schweren Verläufe – diese sind bei Sportlern extrem selten.
Gibt es Sportarten, die anfälliger sind für Herzmuskelentzündungen? Ausdauersport vielleicht?
Das kann man nicht sicher sagen. Es gibt keine Daten, ob Sportler häufiger Herzmuskelentzündungen bekommen als die normale Bevölkerung. Prädisponierende Sportarten für diese Erkrankung gibt es nicht. Sportler sind aber oft sehr körpersensibel und erkennen dadurch schnell, dass sie nicht mehr an ihre Leistung herankommen und möglicherweise eine Herzmuskelentzündung vorliegt. Allerdings haben sie nach einer Erkrankung oft nur einen Trainingsrückstand und kommen oft dadurch nicht direkt an ihre alte Leistung heran.
Geht so eine Herzmuskelentzündung dann von alleine weg – und kann man die Heilung beschleunigen?
Es gibt keine spezifische Therapie. Neben unterstützenden Medikamenten zunächst Ruhe und dann langsames Aufbautraining. Meistens erholt sich das Herz, nur in Einzelfällen müssen Sportler aufhören. Die Ärzte haben mit dem Herzkernspin eine gute Möglichkeit, eine anhaltende Entzündung des Herzens zu erkennen. Da gibt es allerdings ein Problem.
Welches?
Wenn sich etwa ein Eishockeyprofi am Knie verletzt, dann wird ein Kernspin vom Knie gemacht. Das ist eine Kassenleistung und kann problemlos abgerechnet werden. Das Herzkernspin ist allerdings keine Kassenleistung. Dabei ist es die einzig gute Möglichkeit, eine Herzmuskelentzündung genau zu diagnostizieren. Wir Kardiologen würden uns wünschen, dass auch diese Untersuchung eine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen wird, weil sie eben für viele Patienten sehr wichtig ist.
Angenommen, ein Sportler trainiert nach einem leichten Krankheitsverlauf weiter, spürt vielleicht gar keine Symptome, hatte aber eine leichte Herzmuskelentzündung. Was kann passieren?
Wer keine Symptome hatte, bei dem ist nicht zu erwarten, dass er eine größere Schädigung des Herzens hatte. Das würde man schon spüren. Es gibt aber Fälle, bei denen man eine leichte Herzmuskelentzündung erst nach längerer Zeit entdeckt. Denkbar ist es aber, dass man leichte Symptome nicht beachtet hat.
Profis könnten doch denken: „Ist bestimmt nur halb so schlimm, außerdem geht es um meine Karriere ...“
Es ist bestimmt schwer zu verstehen, wenn man drei bis sechs Monate komplett rausgenommen werden soll. Wer gerade erfolgreich ist, für den ist solch eine Situation schwierig. Aber im Zweifel geht es nicht anders, dann hilft nur Ruhe.
Kann es auch Kinder und Jugendliche treffen?
Dazu gibt es noch zu wenig Untersuchungsdaten. Auf alle Fälle sollte man empfehlen, nach deutlicher CoronaErkrankung vorsichtig mit dem Wiederanfang des Schulsportes zu sein. Im Zweifel mit dem Kinderarzt absprechen.