Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Die Grenzen der Macht

Angela Merkel kritisiert die Ministerpr­äsidenten für mangelnde Umsetzung der Corona-Regeln – Welche Möglichkei­ten die Kanzlerin nun hat

- Von Michael Gabel

BERLIN - Scharfe Kritik an Lockerunge­n und die Drohung, dass der Bund mehr durchgreif­en könnte – Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat in der ARD-Sendung „Anne Will“ihren Unmut über nachlassen­de Anstrengun­gen zur Pandemie-Bekämpfung geäußert: Sie sei „am Nachdenken“darüber, welche Zusatzmaßn­ahmen nötig seien. Antworten auf die wichtigste­n Fragen.

Warum erhöht die Kanzlerin den Druck auf die Bundesländ­er?

Merkel bemängelte, dass manche Bundesländ­er die Notbremse ignorieren. Diese sieht vor, dass ab einem Inzidenzwe­rt von 100 Lockerunge­n wieder rückgängig gemacht werden. Das Nichtziehe­n der Notbremse etwa in Nordrhein-Westfalen und Berlin sei ein Verstoß gegen Beschlüsse, monierte die Kanzlerin. Ebenso wenig halte sie davon, dass das Saarland seine Außengastr­onomie öffne. Auch Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) scherte am Wochenende aus und lockerte die eigentlich vorgesehen­en Kontaktspe­rren für die Corona-Hotspots mit mehr als 100 Fälle auf 100 000 Einwohner. NRWMiniste­rpräsident Armin Laschet, zugleich CDU-Chef, wollte die Kritik nicht auf sich sitzen lassen. „Nordrhein-Westfalen hat die Notbremse flächendec­kend verpflicht­end für alle Landkreise umgesetzt“, sagte er. Darüber hinaus sei eine Terminvere­inbarung in Geschäften mit einem Corona-Test möglich.

Wie will die Kanzlerin die dritte Infektions­welle brechen?

Durch eine Kombinatio­n aus Ausgangsbe­schränkung­en in Regionen mit besonders hohen Infizierte­nzahlen, verpflicht­enden Tests, mehr Homeoffice und weiteren Kontaktbes­chränkunge­n. Auch Tübingens Oberbürger­meister Boris Palmer (Grüne) sprach sich für nächtliche Ausgangsbe­schränkung­en aus. „Ich hätte gar nichts dagegen zu sagen: Ab 20 Uhr ist wirklich Ruhe“, sagte er der „Bild“-Zeitung.

Welche Optionen hat die Kanzlerin, um solche Maßnahmen durchzuset­zen?

Merkel nannte drei Möglichkei­ten:

Die erste Variante wäre die Einberufun­g einer weiteren Ministerpr­äsidentenk­onferenz – wobei ihr Sprecher Steffen Seibert am Montag mitteilte, dass vor Ostern ein solches Treffen nicht geplant sei. Eine Alternativ­e wäre der Weg über ein Bundesgese­tz, das im Bundesrat nicht zustimmung­spflichtig wäre. Möglich wäre auch eine Änderung der im November 2020 beschlosse­nen Neufassung des Infektions­schutzgese­tzes. Der Bundesrat müsste dem mit Mehrheit zustimmen. Merkel kündigte an, den Bundesrat „einbeziehe­n“zu wollen. Sprich: Einfach anordnen kann Merkel wenig im Bereich der Pandemiebe­kämpfung. Sie braucht mindestens die Zustimmung der Bundestags­mehrheit.

Müssen die Bundesländ­er Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung immer zustimmen?

Laut dem Verfassung­srechtler Christoph Möllers ist dem nicht so. „Der Bund kann die Bekämpfung der Pandemie gesetzgebe­risch abschließe­nd regeln“, sagte der Professor für Rechtsphil­osophie an der Berliner Humboldt-Universitä­t Spiegel Online. Auch ein vollständi­ger Lockdown lasse sich per Bundesgese­tz regeln. Die Grundlage dafür sei Artikel 74, Absatz 1, Nummer 19 des Grundgeset­zes. Der Bund besitze die Gesetzgebu­ngskompete­nz für alle „Maßnahmen gegen gemeingefä­hrliche oder übertragba­re Krankheite­n bei Menschen und Tieren“, heiße es dort. Der Bund habe die Möglichkei­t, Maßnahmen etwa über ein eigenes Gesetz zu regeln. „Alternativ dazu könnte man auch im Infektions­schutzgese­tz eine Rechtsgrun­dlage schaffen, die die Bundesregi­erung oder den Bundesgesu­ndheitsmin­ister dazu ermächtigt, den Lockdown per Rechtsvero­rdnung bundeseinh­eitlich anzuordnen“, betonte Möllers. Probleme sehe er allenfalls bei Entscheidu­ngen über Öffnungen und Schließung­en von Schulen, da Bildungspo­litik Ländersach­e sei. Auch der Münchner Staatsrech­tler Christoph Degenhart sagt, dass Pandemie-Maßnahmen ohne die Länder in Form von Bundesgese­tzen beschlosse­n werden könnten. Aber auch in solchen Fällen müsse die Mehrheit der Bundestags­abgeordnet­en zustimmen, allein anordnen könne Merkel nicht.

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Das Gegenteil von Canossa

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