Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
„Auf keinen Fall Angst vor Neuland haben“
Neuer Leiter der Villa Rot über seine Pläne und Herausforderungen für Kulturschaffende
Wie geht die Villa Rot mit den Einschränkungen um?
In der aktuellen Lage weiß man nie, ob das Museum in einem Monat geöffnet oder geschlossen ist. Darum bin ich dankbar, dass ich auf die Erfahrungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Villa Rot zurückgreifen kann. Zwar ist die Pandemie für das Museum eine Herausforderung. Als kleines Haus haben wir aber den Vorteil, dass wir Projekte und Ausstellungen nicht schon zwei oder drei Jahre im Voraus fertig geplant haben und uns somit agil auf die jeweilige Situation einstellen können. Das ist eine dankbare Position, aus der heraus wir auch mal spontan gegensteuern können.
Haben Sie mit Blick auf die Pandemie Angst um die Kultur?
Wie es der Kulturbranche nach der
Pandemie geht, kann wohl niemand beantworten. Die Kunst kann uns allerdings Fragestellungen mitgeben, wie wir persönlich damit umgehen. Für mich bietet sich die Möglichkeit, die Fragestellungen der kommenden Ausstellungen an die gegenwärtige Situation anzupassen. Konkret: Die erste Ausstellung unter meiner Leitung startet im November und beschäftigt sich mit dem Thema „Lachen in der Kunst“. Das ist jetzt nichts Unkonventionelles. Aber Lachen hat in hohem Maße mit Nähe und Distanz zu tun, was uns im Moment alle tangiert.
Welchen Einfluss könnte Corona
denn künftig auf Kunstwerke haben?
Das ist schwierig zu sagen. Auch Künstlerinnen und Künstler werden, wie alle anderen auch, durch die derzeitige Situation beeinflusst. Das Verhältnis von Innen und Außen, oder eben von Nähe und Distanz wird sicherlich in der ein oder anderen Arbeit anders verhandelt werden als noch vor ein paar Jahren – eben weil sich unser aller Verhältnis zu diesen Bezugskoordinaten in den vergangenen Monaten immens verschoben hat.
Von 1. April an sind Sie neuer Leiter der Villa Rot: Wie war Ihr Werdegang bis dahin?
Ich habe Kulturwissenschaften, Ästhetik, Literatur und Philosophie studiert. Danach war ich an unterschiedlichen Stationen tätig, darunter an der Kunsthalle Göppingen. Sehr geprägt haben mich auch meine Auslandsaufenthalte und hier sicher auch mein Praktikum in zwei Museen in Guatemala. Ab 2018 war ich Co-Kurator der Ausstellung „Maschinen-Boom.“als Teil der 4. Sächsischen Landesausstellung im Industriemuseum in Chemnitz und zuletzt Leiter des Museums Tuchfabrik Gebr. Pfau in Crimmitschau.
Die Pandemie bringt eine wirt
schaftliche Unsicherheit mit sich: Zweifelten Sie an Ihrem beruflichen Wechsel?
Nein, ich bin ein optimistischer und zuversichtlicher Mensch. Ich kann allerdings auch gut verstehen, dass es im Moment nicht allen so geht. Auch ich empfinde die Situation natürlich als absolut außergewöhnlich und mitunter als bedrückend. Es lässt sich schwer in Worte fassen, was das mit unseren Köpfen macht – etwa wenn man aus Reflex jemandem die Hand geben möchte, es dann aber doch nicht tut.
Was hat Sie an der Stelle gereizt?
Mich hat die Art und Weise gereizt, wie ich hier Projekte umsetzen kann. Größere Institutionen haben vielleicht mehr Geld zur Verfügung, dafür können die aber nicht so spontan auf aktuelle Situationen eingehen. Auch wenn ich mit dem Stiftungsvorstand meine Themen abgleiche, habe ich in der Villa Rot einen hohen Grad an Freiheit, Projekte anzupacken. Zudem ist die Villa Rot auch überregional bekannt. Das ist nicht selbstverständlich für ein Haus dieser Größe.
Wie bereiten Sie sich auf Ihre neue Position vor?
Die derzeitige Situation ist wirklich spannend. Inhaltlich überlege ich mir, welche Ausstellungen wir mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen umsetzen können. Aber auch organisatorisch stellen sich einige Fragen – auch ganz pragmatische. Etwa, welche externen Mitarbeiter in der Museumspädagogik zur Verfügung stehen, wer welche Schwerpunkte und an welchen Tagen Zeit hat. Das mag zunächst banal klingen, tatsächlich gibt es in den unterschiedlichen Museumsbereichen aber sehr viele solcher Fragen.
Welche Herausforderungen erwarten Sie in der Villa Rot – ob mit oder ohne Pandemie?
Eine Herausforderung ist sicherlich der ländliche Kontext des Museums. Wenn wir die Villa Rot etwa aus der Perspektive einer Person aus Ulm sehen, hat diese auch direkt vor Ort viele Institutionen, die sie besuchen kann. Wir müssen uns überlegen, wie wir diese Menschen auf das Programm in der Villa aufmerksam machen. Da kommen dann die Ausstellungen ins Spiel, ebenso wie die Museumspädagogik und die Öffentlichkeitsarbeit. Es ist wichtig, Dinge auszuprobieren. Etwa, welche Führungen von Interesse sind. Wenn ich merke, es funktioniert nicht, versuche ich ein anderes Format, das die Menschen mehr anspricht. Da muss man frei aufspielen und darf auf keinen Fall Angst vor Neuland haben.
Was sind Ihre kurzfristigen Ziele für das Museum, was langfristige?
Eine Überschrift wäre für mich „Das sinnliche Museum“. Ich habe Ästhetik studiert, darum ist mir auch wichtig, zu reflektieren „Was“und „Wie“wir wahrnehmen. Ausstellungen können uns Fragestellungen eröffnen, die uns anregen, über unser eigenes sowie unser gesellschaftliches Handeln und Empfinden zu reflektieren. Für das kommende Jahr plane ich derzeit eine Ausstellung, die von der unvollendeten Erzählung „Der Bau“von Franz Kafka inspiriert ist. Hier sollen ganz unterschiedliche räumliche Konstellationen aufgegriffen werden, wie etwa Höhlen, Schächte, Gänge. Alles, was einem zum Verhältnis von Mensch und Raum einfällt. Auch die Frage, wie wir eigentlich leben wollen, wird aufgegriffen: Manche fühlen sich in Neubauten mit viel Glas wohl, andere in Gebäuden mit niedrigen Decken und kleinen Fenstern.
Welche Ausstellungen sind in diesem Jahr noch geplant?
Ende Juni startet die zweigeteilte Ausstellung „High end“und „Shaped Canvases“. Hier ist bereits alles fertig geplant – die Exponate ausgewählt und die Texte geschrieben. Im Oktober findet dann der „Rote Kunstsalon“statt, im November die erste von mir kuratierte Ausstellung für die Villa Rot. Diese trägt derzeit den Arbeitstitel „Lachen – was passiert, wenn wir uns freuen“.