Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Einer wird gewinnen
CDU-Chef Laschet wäre gerne der Kanzlerkandidat der Union – CSU-Chef Söder wohl auch
BERLIN
- Spätestens bis Pfingsten will die Union bekannt geben, wer der Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl 2021 sein wird. Die Spannung steigt inzwischen mit jedem Tag – und auch der Ton zwischen Düsseldorf und München klang schon mal entspannter. Klar ist, dass der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) unbedingt ins Kanzleramt strebt. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hat sich noch nicht erklärt. Sein Platz sei in Bayern, hatte der CSU-Chef lange Zeit gebetsmühlenartig wiederholt – doch das hatte ihm niemand so richtig abgenommen. Neuerdings sagt er, sein Platz sei überall, „man muss überall mit uns rechnen“. Derzeit sieht es so aus, als würde er schon wollen, wenn er denn gefragt wird. Im Folgenden die wichtigsten Punkte, die für oder gegen die beiden potenziellen Kandidaten sprechen. Denn sicher ist: Nur einer kann es werden.
Die Umfragen:
Wenn die Union die Kanzlerkandidatur nach den aktuellen Umfrageergebnissen der möglichen Bewerber entscheiden würde, wäre die Angelegenheit schnell erledigt. Dann müsste CSU-Chef Söder sich ruckzuck mit dem Gedanken anfreunden, im Falle eines Wahlerfolgs von CDU und CSU im Herbst 2021 nach Berlin umzuziehen – in die Stadt, der er bislang so gar nichts abgewinnen konnte. Denn nur ihn hält eine Mehrheit der Bürger in Deutschland (56 Prozent) derzeit für geeignet, der nächste Kanzler zu werden. Armin Laschet trauen dies laut aktuellem Politbarometer März nur 23 Prozent der Befragten zu. Was für den NRW-Chef besonders bitter ist: Auch in der Union hat er keine Mehrheit hinter sich, nur 28 Prozent der Anhänger von CDU/CSU sprachen sich für ihn aus. Und es kommt noch dicker: Bei der Beurteilung von Sympathie und Leistung glänzt Söder auf Platz zwei direkt hinter Bundeskanzlerin Angela Merkel, während die Werte für den CDU-Chef, der ohnehin bereits weit abgeschlagen war, noch einmal nach unten gingen. Auch interessant: Bislang hieß es in der Union, vor allem von Laschet, dass die Kanzlerkandidatur unabhängig von Umfragewerten entschieden werde. Am Osterwochenende sagte Söder in einem Interview: „Umfragen spielen natürlich eine Rolle. Sie sind ein wichtiger Maßstab für die Akzeptanz von Personen und Programmen in der Bevölkerung.“
Das Verhältnis zur Kanzlerin und ● das Corona-Management:
Auch in dieser Beziehung hat Laschet derzeit keinen Lauf. Seine
Kanzlerambitionen rufen einem die Wegmannsche Fußball-Weisheit ins Gedächtnis: „Zuerst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu.“Bis zur Corona-Krise, die hauptsächlich mittels Ministerpräsidentenkonferenz gemanagt wird, galt der NRW-Landeschef als Merkels Mann – im Hinblick auf ihre Nachfolge. Der Aachener hatte sich in der Flüchtlingskrise 2015/2016, als CSU-Chef Horst Seehofer kurz davor war, das Ende der Union einzuläuten, eindeutig auf die Seite der Kanzlerin gestellt und ihre Politik verteidigt. Es war klar, dass derjenige, der Laschet wählt, Merkel-Politik bekommt. Der CDU-Chef selbst hatte sich in einer Karnevalssitzung, durchaus selbstironisch, bereits als „Deutschlands next Mutti“bezeichnet. Und nun das: Jetzt sagt der CSUChef, der inzwischen Söder heißt, Sätze wie: „Merkel-Stimmen gibt es nur mit Merkel-Politik.“Und er fordert in der „Bild am Sonntag“, die Entscheidung über die Kanzlerkandidatur „eng mit Angela Merkel“abzustimmen. Laschet muss derweil in Talkshows erklären, warum die Kanzlerin gerade ihn namentlich genannt hat, als sie die Corona-Politik in den Bundesländern kritisierte. Dass der neue CDU-Chef in seiner Rede zum Wahlprogramm feststellte, Deutschland brauche dringend ein „Jahrzehnt der Modernisierung“, weil Staat und Verwaltung nicht mehr effizient genug seien, dürfte sein getrübtes Verhältnis zur Kanzlerin nicht unbedingt aufgehellt haben. Söder, Merkels Musterknabe in Corona-Belangen, kommentierte den Zwist mit den Worten, er finde es „sehr seltsam, wenn der CDU-Vorsitzende mit der CDUKanzlerin ein halbes Jahr vor der Wahl streitet“. Wem er die Schuld an dem Streit gibt, war damit auch bereits gesagt.
Führungsqualitäten und andere Fähigkeiten:
Armin Laschet gilt als freundlicher Mensch, der als Regierungschef einer schwarz-gelben Koalition mit nur einer Stimme Mehrheit beweist, dass er unterschiedliche Menschen beisammenhalten kann. Er sei integrativ, heißt es deshalb über ihn. Und nett. Aber das Attribut „nett“ist für einen Politiker, der wichtigster Entscheider in Deutschland werden will, eher schwierig. Der CDU-Chef sei der am meisten unterschätzte Politiker Deutschlands, sagen diejenigen, die ihm wohlgesonnen sind – und verweisen auf seinen Wahlsieg in NRW, den ihm viele nicht zugetraut hatten. Andere bezweifeln dagegen öffentlich seine Führungsqualitäten, weil Laschet in der Rolle des entschiedenen Entscheiders nicht wirklich überzeugen kann. Den Vorwurf mangelnder Führung muss sein potenzieller Mitbewerber um die
Kanzlerkandidatur nicht fürchten. Söder gilt als jemand, der sein Ding durchzieht und nur dann einen anderen Weg einschlägt, wenn er merkt, dass seine Politik beim Wähler nicht gut ankommt – wie nach den Verlusten bei der bayerischen Landtagswahl im Jahr 2018. Den CSU-Chef würde wohl selbst in der eigenen Partei niemand als „nett“beschreiben, sein Drang zur Macht ist vielmehr gefürchtet. Seehofer, sein Vorgänger als Ministerpräsident und an der CSU-Spitze, attestierte ihm einst, als Söder noch bayerischer Finanzminister war, einen Hang zu „Schmutzeleien“und dass er „von Ehrgeiz zerfressen“sei. Von diesem Bild hat sich Söder, gerade auch in der Corona-Krise, öffentlich durchaus befreit. Vor Kurzem sprach er sich sogar dafür aus, dem Bund im Kampf gegen das Virus mehr Kompetenzen zu übertragen, um die Länder zu klareren Regeln zu zwingen.
Solche Sätze hatte man bis dahin von einem bayerischen Regierungschef noch nicht vernommen.
Der Rückhalt in der Union:
Nur wenige CDU-Mitglieder in Baden-Württemberg haben sich bislang so eindeutig pro Söder positioniert wie die sieben Bundestagsabgeordneten, deren Erklärung am Dienstag bekannt wurde. Darin heißt es, der CSU-Chef sei „ein kraftvoller und aussichtsreicher Kanzlerkandidat für die gesamte Union“– unterzeichnet haben unter anderem die Ulmer Bundestagsabgeordnete Ronja Kemmer und Markus Grübel aus Esslingen. Thomas Strobl, CDUChef im Südwesten, hatte sich nur wenige Tage zuvor für Laschet ausgesprochen. Natürlich spielen für die Bundestagsabgeordneten auch die Umfragen eine Rolle. Denn die Befürchtung, das eigene Mandat zu verlieren, wenn nicht der aussichtsreichste Kandidat ins Rennen geht, ist groß. Offen ist, ob der Bayer Söder, wenn es denn ernst werden sollte, nördlich der Mainlinie die Unterstützung hat, die er als CDU/CSUBewerber fürs Kanzleramt braucht. Dass dies kein Selbstläufer wird, zeigt die säuerliche Reaktion des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU) auf einen gemeinsamen Brief von Söder und Winfried Kretschmann (Grüne), in dem die beiden sich für schärfere Beschränkungen in der Corona-Krise ausgesprochen hatten. „Im Norden wird gehandelt, im Süden werden Briefe geschrieben“, sagt Günther dazu in Kiel. Die Partei ist des Wartens auf den Kanzlerkandidaten derweil langsam überdrüssig – dies erklärt, warum einige Abgeordnete inzwischen vorgeschlagen haben, die Mitglieder der Unionsfraktion im Bundestag über die K-Frage abstimmen zu lassen. Auch Fraktionschef Ralph Brinkhaus wurde als Alternativkandidat zu dem Duo Laschet/Söder ins Spiel gebracht. Für den Kandidaten selbst, wer auch immer es wird, könnte es hingegen von Vorteil sein, wenn die Zeit neben einer nach wie vor starken Kanzlerin Merkel möglichst kurz ist. Denn dass Politiker in Pandemiezeiten schnell an Popularität verlieren, wenn sie zu viel versprechen, zu wenig halten und dafür öffentlich gerügt werden, haben die vergangenen Wochen bewiesen.
Der Zeitplan:
Am Sonntag trifft sich in Berlin die Spitze der Unionsfraktion im Bundestag zur Klausur. Eingeladen sind neben Kanzlerin Merkel auch die beiden Kandidaten Laschet und Söder. Das könnte Bewegung in die Sache bringen. Vielleicht heißt es bereits nächste Woche: Habemus Unionskanzlerkandidaten.