Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Wirtschaftsinstitut befürchtet Verschärfung des Fachkräftemangels
Weil die geburtenstarken Jahrgänge ausscheiden, drohen Deutschland die Arbeitskräfte auszugehen – Ökonomen fordern höhere Zuwanderung
FRANKFURT - Bis zum Jahr 2040 könnte die deutsche Wirtschaft jede achte Fachkraft verlieren. Denn in den nächsten Jahren gehen die geburtenreichen Jahrgänge, die sogenannten Babyboomer, nach und nach in den Ruhestand. Das hat das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln berechnet. Das gilt aber nur im pessimistischsten Szenario der Studie, nämlich für den Fall, dass die Zuwanderung die Entwicklung nicht auffängt und die Erwerbsbeteiligung nur gering steigt. Dann nämlich schrumpfe die Zahl der Fachkräfte um 4,2 Millionen auf 31,2 Millionen. Studienautor Wido Geis-Thöne, der sich beim IW mit Familienpolitik und Migrationsfragen beschäftigt, rechnet bei einem sehr positiven Verlauf hingegen mit 35,2 Millionen Fachkräften zwischen 20 und 69 Jahren, die dann am Arbeitsmarkt aktiv sind, das wären nur 300 000 weniger als 2020. Da hatte die Zahl der Erwerbspersonen mit 46,5 Millionen Menschen einen neuen Höchststand erreicht. Um das zu erreichen, müsse man aber die Zuwanderungsregeln gezielt weiterentwickeln und den Renteneintritt weiter nach hinten verlagern.
Als plausibelsten Verlauf nimmt das IW bis 2040 einen Rückgang um 3,1 Millionen Fachkräfte oder 8,8 Prozent an. In jedem Fall werde es zu einer starken Verschiebung zwischen den akademischen und den beruflich qualifizierten Erwerbspersonen kommen: Denn immer mehr junge Menschen streben eine akademische Ausbildung an, während die Zahl der beruflich qualifizierten Arbeitskräfte deutlich zurückgehen wird. Die Unternehmen müssen sich also darauf einstellen, dass sich die Zusammensetzung
des Angebots an Fachkräften verschiebt. Der Anteil der Fachkräftestellen, der jetzt schon rein rechnerisch nicht zu besetzen ist, dürfte weiter stark steigen, vermutet Geis-Thöne. Er befürchtet, dass dies unter Umständen der Attraktivität Deutschlands als Standort für Produktion und Dienstleitungen schaden könnte. Zudem könnte dies auch dazu führen, dass Unternehmensteile ins Ausland verlagert und weniger neue Unternehmen gegründet beziehungsweise kleinere übernommen würden.
Aufgabe der Politik müsse es in den nächsten Jahren sein, passende Rahmenbedingungen zu schaffen. Als zentral sieht das IW dafür das Rentenrecht an. Da gelte es zum einen, die Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung weiter nach hinten zu verschieben. Aktuell soll im Jahr 2031 die Rente mit 67 Jahren gelten. Wichtig sei aber auch die Frage, wie man den rechtlichen und steuerlichen Rahmen für Erwerbsverhältnisse von Rentnern setze. Auch die Regeln zur Zuwanderung müsse man überdenken. Eine Schwierigkeit sieht Geis-Thöne in den unterschiedlichen Bildungssystemen. Da könne man kaum erwarten, Menschen zu gewinnen, deren Qualifikationen einem beruflichen Abschluss nach deutschen Standards entsprächen. Der Forscher regt deshalb einen anderen Weg an: So könne man junge Menschen aus dem Ausland nach deutschen Standards ausbilden oder zumindest in Teilen nachqualifizieren. Noch scheitert dies aber an der dafür notwendigen Infrastruktur. Die lasse sich nicht kurzfristig erreichen, frühestens zum Ende dieses Jahrzehnts wäre das vielleicht zu schaffen.
Eine andere Möglichkeit wäre auch, im Inland diejenigen jungen Menschen nachzuschulen, die bisher einen berufsqualifizierenden Abschluss nicht geschafft haben. Das aber betreffe nur einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Die Effekte daraus wären also sehr begrenzt. Noch geringer wären die bei den Erwerbstätigen „im jüngeren oder mittleren Altersbereich“. Es könnte jedoch etwas bringen, wenn man statt der Zahl der Arbeitskräfte die Arbeitsstunden in den Blick nimmt, soll also heißen: Wenn mehr Menschen, die bisher Teilzeitjobs haben, länger arbeiten, könnte das den Fachkräftemangel lindern.