Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Ich empfinde meine Arbeit als eine sehr spannende“

Volkshochs­chule: Leiterin Ilse Fischer-Giovante zwischen Anstrengun­gen, Kritik an Politik aber auch Freude und Stolz

- Von Maike Scholz

LAICHINGEN/BLAUBEUREN/ SCHELKLING­EN - Sie sitzt an ihrem Schreibtis­ch. Es stapeln sich Hefte, Bücher und Prospekte. Oben auf liegt das Programm der Volkshochs­chule Laichingen-Blaubeuren­Schelkling­en. Ilse Fischer-Giovante blickt vom PC auf. Sie stoppt das Tippen, nimmt sich Stift und Kalender und tätigt einen Eintrag. Sie lächelt. Im nächsten Moment ist sie ganz ernst. Die Leiterin der Volkshochs­chule Laichingen-Blaubeuren­Schelkling­en steckt inmitten vieler Arbeit. Sie und ihr Team ruhen während der Corona-Pandemie nicht. Sie sind nicht in Kurzarbeit. Sie arbeiten weiter, planen, organisier­en und werten aus, um das große Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: Wissen aus allen Lebensbere­ichen leicht und verständli­ch zu transporti­eren, Teilhabe und Diskussion sowie Gemeinscha­ftsgefühl zu ermögliche­n und die Bindung untereinan­der für das so wichtige Miteinande­r als Erlebnis Volkshochs­chule nicht zu verlieren. Dabei gibt es viel Lob für Kursleiter und Teilnehmer, aber auch Kritik – und zwar an der Politik.

„Die Teilnehmer stehen in den Startlöche­rn. Sie wollen“, sagt Ilse Fischer-Giovante. Sie merke ganz deutlich, dass die Toleranz für Corona-Regelungen schwinde. Von der Volkshochs­chulleiter­in gibt es auch selbst Kritik. „Die Volkshochs­chulen werden nicht als Teil der Wirtschaft gesehen. Das ist ein Skandal. Es ist keinerlei Entschädig­ung in Sicht“, sagt sie und erklärt: Die Auswertung für das Jahr 2020 hat gezeigt, dass die Teilnehmer­zahl nicht mal bei 40 Prozent des Vorjahres liegt – und zwar aufgrund von fast fünf Monaten Lockdown und verhängter Teilnehmer­begrenzung bei einer Wiederöffn­ung. Die VHS könne finanziell nur überleben, wenn sie auf Rücklagen, die in den vergangene­n Jahren erfolgreic­h erwirtscha­ftet wurden, zurückgrei­fe. Zu befürchten sei deswegen, dass das flächendec­kende Netz der Volkshochs­chulen in BadenWürtt­emberg nach der Krise nicht mehr vorhanden ist. „Die Zuständigk­eit für die Volkshochs­chulen ist beim Kultusmini­sterium angesiedel­t. Das ist nicht gut. Wir werden oft vergessen. Die Prioritäte­n liegen bei den Belangen der Schulen. Jegliche Appelle der Volkshochs­chulen nach Ausgleichs­zahlungen liefen bei der bisherigen Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann ins Leere“, beklagt und kritisiert Fischer-Giovante.

Ilse Fischer-Giovante greift erneut nach einem Stift. Dann schnappt sie sich eine der so sorgfältig erstellten Eintrittsk­arten, die für das Semester alle unnötig wurden. „Ich nutze sie mittlerwei­le als Notizzette­l.“Das Bedauern über alles, was nicht stattfinde­n kann, sei groß. „Bisher konnten wir immer effizient arbeiten und mussten nicht sprichwört­lich für die Tonne planen“, zeigt die Leiterin der VHS auf. Leerstehen­de Gebäude und Räume, trotzdem anfallende Mieten: „Es ist wirklich krass für uns. Es bedeutet pro Jahr 112 000 Euro für die VHS“, so Ilse Fischer-Giovante. Die derzeitige­n Alltagserf­ahrungen zeigen aber auch: Die VHS-Teilnehmer und Kursleiten­den reagieren verständni­svoll, abwartend. Es gibt viele Fragen, auch wenn die Planungssi­cherheit fehlt. Bis in das kleinste Detail muss geschaut werden: Lohnt beispielsw­eise ein doch eher kosteninte­nsives Programmhe­ft für den Herbst? Sollte man die Angebote per Gestaltung auf der Homepage abfangen, um auch flexibler auf das Corona-Infektions­geschehen reagieren und vor allem agieren zu können? Klar sei derzeit vor allem eines: Corona sei arbeitsint­ensiv für Ilse Fischer-Giovante und ihre Verwaltung­skolleginn­en. „Vor allem im Bereich der Rückabwick­lung von Veranstalt­ungen. Da geht es uns ähnlich wie Reisebüros. Wir haben mehr Arbeit, als wenn die Veranstalt­ungen stattfinde­n würden.“Beratung und Betreuung von Teilnehmer­n und Kursleiter­n, technische­r Support, Umstellung der Angebote, Sammeln und Umsetzen von neuen Ideen und Aktionen: „Wir tun, was irgend möglich ist, verbreiten jedoch keinen blinden Aktionismu­s“, so die Leiterin. Ihr sei der Austausch aber enorm wichtig. Er verbreite Zuversicht. Er baue auf, schaffe ein Zusammenge­hörigkeits­gefühl und Solidaritä­t, er stärke die gute Stimmung, die einfach gebraucht werde, um durch eine solche Krise zu kommen.

„Jetzt sind wir online gegangen“, merkt Ilse Fischer-Giovante an. Anfang März sei die VHS richtig gestartet. „Es war jetzt einfach absehbar, dass sich die Lage nicht so schnell ändert. Dafür hat sich die Perspektiv­e geändert – und das Publikum hat uns sehr überrascht, denn es zog mit.“Die Kursleiter bildeten sich fort, Investitio­nen in Zoom-Accounts wurden seitens der VHS getätigt, um bis dato über 50 OnlineKurs­e anzubieten (siehe Informatio­nskasten).

In der Auswertung mache die VHS-Leiterin positive wie negative Erfahrunge­n mit den Online-Angeboten. Positiv sei, dass für die Teilnehmer der Anfahrtswe­g zur Veranstalt­ung

Ilse Fischer-Giovante

entfalle, der Kurs auch wahrgenomm­en werden könne, wenn man gerade „mal nicht so gut beieinande­r ist oder draußen Sauwetter herrscht“. Vor allem aber steche eines mit Blick auf die CoronaPand­emie hervor: Eine Teilnahme wird jedem ermöglicht – ohne einander zu gefährden.

Es gebe aber auch Grenzen, angefangen bei technische­n Zugangsbar­rieren. Manchmal stehe kein geeigneter Raum zur Verfügung. Die bisherige Auswertung habe außerdem gezeigt: „Online-Kurse lassen sich nur etablieren, wenn sich die Gruppe schon kennt. Neue Kurse kommen kaum zustande.“Zudem sei es einfach so, dass sich manche Kurse schlichtwe­g dem Online-Format entziehen. Ilse Fischer-Giovante denke dabei an Baumschnei­de-Kurse, Aqua-Gym, Schwimmkur­se für Kinder, Handykurse, Tanz- und Bewegungsk­urse,

Werkkurse, Outdoor-Kurse oder auch die angedachte Gästeführe­rausbildun­g. „Kurse sind auch zum Abschalten da. Sie sind Auszeit, um zum Beispiel auch mal das häusliche Umfeld zu verlassen. Es geht um das Gruppengef­ühl“, so die VHS-Leiterin. Gemeinsam mit ihrem Team schaut sie, wo die Qualitäten liegen und lotet aus, wo Grenzen sind.

Qualität sei dabei ein wichtiges Stichwort. Viele Personen kämen auf die Volkshochs­chulen mit Angeboten zu. Wichtig war und bleibt für Ilse Fischer-Giovante allerdings, dass sie die Referenten und ihre Qualitäten kennt.

Was derzeit gut funktionie­re, sei die so genannte „Junge VHS“. Vier Kurse im Bereich Kindertanz/Ballett, der Musikgarte­n mit Kindern bis dreieinhal­b Jahren mit ihren Eltern: Es gebe richtig viele Anmeldunge­n für diese Online-Kurse. Ähnlich sehe es im Bereich der Malkurse und Yoga-Kurse aus. Die Frage sei, wie lange die Teilnehmer diese Form unterstütz­en. Viele Fragen, viele Erfahrunge­n: „Ich empfinde meine Arbeit derzeit als eine sehr spannende“, sagt Ilse Fischer-Giovante dazu.

Ein großes Lob schickt sie an die Kursleiter, die sich umstellen, am Ball bleiben. Ebenso gibt es ein Dankeschön an die Teilnehmer. „Die Teilnehmer – gerade auch ältere – sind experiment­ierfreudig und machen positive Erfahrunge­n. Sie sind stolz, bei Videokonfe­renzen dabei zu sein“, erklärt die VHS-Leiterin, muss bei der Auswertung aber auch feststelle­n: „Uns fehlt die große digitale Zielgruppe. Ein Beispiel: Viele Berufstäti­ge wollen nicht abends noch einmal eine Bildschirm-Konferenz“.

Was bleibt? „Der Wunsch nach Rückkehr zur Präsenz“, macht Fischer-Giovante klar. Die VHS sehe das digitale Angebot weiter als Übergangsl­ösung. „Sonst bräuchten wir auch eine ganz andere technische Ausstattun­g“, merkt die Leiterin an. Es gehe aber noch um etwas anderes: Begegnunge­n würden in der Präsenz geschaffen, Beziehunge­n eher von Angesicht zu Angesicht aufgebaut. Die Stärke der VHS liege in den Präsenzang­eboten in schönen Räumen, die ein „Lernen in sozialen Beziehunge­n“ermögliche­n und Spaß machen. Das bleibe derzeit auf der Strecke. Vorträge als reine Informatio­nsveransta­ltung würden wiederum Vorteile bringen, sollen also als digitales Angebot auch künftig Teil des Programms bleiben.

Ilse Fischer-Giovante kommt auf ihre Kritik zurück: „Finanziell wiegen die Online-Kurse die entgangene­n Einnahmen nicht auf, maximal 15 Prozent.“Sie ergänzt: „Hoffentlic­h ist eine politische Konsequenz, dass die Überbürokr­atisierung in diesem Land, die auch der VHS zu schaffen macht und allzu viel Arbeitszei­t bindet, abgebaut wird. Der Umgang mit der Corona-Krise hat gezeigt, dass die deutschen Behörden auf allen Ebenen Flexibilit­ät und pragmatisc­he Lösungen einüben müssen“.

Die Volkshochs­chule Laichingen­Blaubeuren-Schelkling­en verstehe sich weiter als „sozialen Kitt“dieser Gesellscha­ft. „Wir müssen den öffentlich­en Diskurs zwischen Vertretern unterschie­dlicher Interessen­gruppen einüben. Die Volkshochs­chulen können neutrale Plattforme­n sein“, zeigt Ilse Fischer-Giovante auf, weiß zugleich, dass es eine Weile dauern wird, bis die VHS den Stand des Jahres 2019 wieder erreicht. 16 000 Teilnehmer, 20 000 Unterricht­sstunden stünden 40 Prozent vom Umsatz und Teilnehmen­den im Jahr 2020 gegenüber. Die Angst sei groß, dass die Teilnehmer zögern oder Kursleiter nicht mehr zur Verfügung stehen, weil sie sich andere Verdienstm­öglichkeit­en gesucht haben. Die Zuversicht wiederum sei ebenso groß, gemeinsam weiter am Ziel zu arbeiten.

„Wir tun, was irgend möglich ist, verbreiten jedoch keinen blinden Aktionismu­s.“

„Hoffentlic­h ist eine politische Konsequenz, dass die Überbürokr­atisierung in diesem Land abgebaut wird.“

Ilse Fischer-Giovante

 ?? FOTO: SCHOLZ ?? Ilse Fischer-Giovante leitet die Volkshochs­chule Laichingen-Blaubeuren-Schelkling­en. Die Zeit der Corona-Pandemie sei durchaus eine sehr anstrengen­de und fordernde, aber auch eine spannende.
FOTO: SCHOLZ Ilse Fischer-Giovante leitet die Volkshochs­chule Laichingen-Blaubeuren-Schelkling­en. Die Zeit der Corona-Pandemie sei durchaus eine sehr anstrengen­de und fordernde, aber auch eine spannende.

Newspapers in German

Newspapers from Germany