Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
„Ich empfinde meine Arbeit als eine sehr spannende“
Volkshochschule: Leiterin Ilse Fischer-Giovante zwischen Anstrengungen, Kritik an Politik aber auch Freude und Stolz
LAICHINGEN/BLAUBEUREN/ SCHELKLINGEN - Sie sitzt an ihrem Schreibtisch. Es stapeln sich Hefte, Bücher und Prospekte. Oben auf liegt das Programm der Volkshochschule Laichingen-BlaubeurenSchelklingen. Ilse Fischer-Giovante blickt vom PC auf. Sie stoppt das Tippen, nimmt sich Stift und Kalender und tätigt einen Eintrag. Sie lächelt. Im nächsten Moment ist sie ganz ernst. Die Leiterin der Volkshochschule Laichingen-BlaubeurenSchelklingen steckt inmitten vieler Arbeit. Sie und ihr Team ruhen während der Corona-Pandemie nicht. Sie sind nicht in Kurzarbeit. Sie arbeiten weiter, planen, organisieren und werten aus, um das große Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: Wissen aus allen Lebensbereichen leicht und verständlich zu transportieren, Teilhabe und Diskussion sowie Gemeinschaftsgefühl zu ermöglichen und die Bindung untereinander für das so wichtige Miteinander als Erlebnis Volkshochschule nicht zu verlieren. Dabei gibt es viel Lob für Kursleiter und Teilnehmer, aber auch Kritik – und zwar an der Politik.
„Die Teilnehmer stehen in den Startlöchern. Sie wollen“, sagt Ilse Fischer-Giovante. Sie merke ganz deutlich, dass die Toleranz für Corona-Regelungen schwinde. Von der Volkshochschulleiterin gibt es auch selbst Kritik. „Die Volkshochschulen werden nicht als Teil der Wirtschaft gesehen. Das ist ein Skandal. Es ist keinerlei Entschädigung in Sicht“, sagt sie und erklärt: Die Auswertung für das Jahr 2020 hat gezeigt, dass die Teilnehmerzahl nicht mal bei 40 Prozent des Vorjahres liegt – und zwar aufgrund von fast fünf Monaten Lockdown und verhängter Teilnehmerbegrenzung bei einer Wiederöffnung. Die VHS könne finanziell nur überleben, wenn sie auf Rücklagen, die in den vergangenen Jahren erfolgreich erwirtschaftet wurden, zurückgreife. Zu befürchten sei deswegen, dass das flächendeckende Netz der Volkshochschulen in BadenWürttemberg nach der Krise nicht mehr vorhanden ist. „Die Zuständigkeit für die Volkshochschulen ist beim Kultusministerium angesiedelt. Das ist nicht gut. Wir werden oft vergessen. Die Prioritäten liegen bei den Belangen der Schulen. Jegliche Appelle der Volkshochschulen nach Ausgleichszahlungen liefen bei der bisherigen Kultusministerin Susanne Eisenmann ins Leere“, beklagt und kritisiert Fischer-Giovante.
Ilse Fischer-Giovante greift erneut nach einem Stift. Dann schnappt sie sich eine der so sorgfältig erstellten Eintrittskarten, die für das Semester alle unnötig wurden. „Ich nutze sie mittlerweile als Notizzettel.“Das Bedauern über alles, was nicht stattfinden kann, sei groß. „Bisher konnten wir immer effizient arbeiten und mussten nicht sprichwörtlich für die Tonne planen“, zeigt die Leiterin der VHS auf. Leerstehende Gebäude und Räume, trotzdem anfallende Mieten: „Es ist wirklich krass für uns. Es bedeutet pro Jahr 112 000 Euro für die VHS“, so Ilse Fischer-Giovante. Die derzeitigen Alltagserfahrungen zeigen aber auch: Die VHS-Teilnehmer und Kursleitenden reagieren verständnisvoll, abwartend. Es gibt viele Fragen, auch wenn die Planungssicherheit fehlt. Bis in das kleinste Detail muss geschaut werden: Lohnt beispielsweise ein doch eher kostenintensives Programmheft für den Herbst? Sollte man die Angebote per Gestaltung auf der Homepage abfangen, um auch flexibler auf das Corona-Infektionsgeschehen reagieren und vor allem agieren zu können? Klar sei derzeit vor allem eines: Corona sei arbeitsintensiv für Ilse Fischer-Giovante und ihre Verwaltungskolleginnen. „Vor allem im Bereich der Rückabwicklung von Veranstaltungen. Da geht es uns ähnlich wie Reisebüros. Wir haben mehr Arbeit, als wenn die Veranstaltungen stattfinden würden.“Beratung und Betreuung von Teilnehmern und Kursleitern, technischer Support, Umstellung der Angebote, Sammeln und Umsetzen von neuen Ideen und Aktionen: „Wir tun, was irgend möglich ist, verbreiten jedoch keinen blinden Aktionismus“, so die Leiterin. Ihr sei der Austausch aber enorm wichtig. Er verbreite Zuversicht. Er baue auf, schaffe ein Zusammengehörigkeitsgefühl und Solidarität, er stärke die gute Stimmung, die einfach gebraucht werde, um durch eine solche Krise zu kommen.
„Jetzt sind wir online gegangen“, merkt Ilse Fischer-Giovante an. Anfang März sei die VHS richtig gestartet. „Es war jetzt einfach absehbar, dass sich die Lage nicht so schnell ändert. Dafür hat sich die Perspektive geändert – und das Publikum hat uns sehr überrascht, denn es zog mit.“Die Kursleiter bildeten sich fort, Investitionen in Zoom-Accounts wurden seitens der VHS getätigt, um bis dato über 50 OnlineKurse anzubieten (siehe Informationskasten).
In der Auswertung mache die VHS-Leiterin positive wie negative Erfahrungen mit den Online-Angeboten. Positiv sei, dass für die Teilnehmer der Anfahrtsweg zur Veranstaltung
Ilse Fischer-Giovante
entfalle, der Kurs auch wahrgenommen werden könne, wenn man gerade „mal nicht so gut beieinander ist oder draußen Sauwetter herrscht“. Vor allem aber steche eines mit Blick auf die CoronaPandemie hervor: Eine Teilnahme wird jedem ermöglicht – ohne einander zu gefährden.
Es gebe aber auch Grenzen, angefangen bei technischen Zugangsbarrieren. Manchmal stehe kein geeigneter Raum zur Verfügung. Die bisherige Auswertung habe außerdem gezeigt: „Online-Kurse lassen sich nur etablieren, wenn sich die Gruppe schon kennt. Neue Kurse kommen kaum zustande.“Zudem sei es einfach so, dass sich manche Kurse schlichtweg dem Online-Format entziehen. Ilse Fischer-Giovante denke dabei an Baumschneide-Kurse, Aqua-Gym, Schwimmkurse für Kinder, Handykurse, Tanz- und Bewegungskurse,
Werkkurse, Outdoor-Kurse oder auch die angedachte Gästeführerausbildung. „Kurse sind auch zum Abschalten da. Sie sind Auszeit, um zum Beispiel auch mal das häusliche Umfeld zu verlassen. Es geht um das Gruppengefühl“, so die VHS-Leiterin. Gemeinsam mit ihrem Team schaut sie, wo die Qualitäten liegen und lotet aus, wo Grenzen sind.
Qualität sei dabei ein wichtiges Stichwort. Viele Personen kämen auf die Volkshochschulen mit Angeboten zu. Wichtig war und bleibt für Ilse Fischer-Giovante allerdings, dass sie die Referenten und ihre Qualitäten kennt.
Was derzeit gut funktioniere, sei die so genannte „Junge VHS“. Vier Kurse im Bereich Kindertanz/Ballett, der Musikgarten mit Kindern bis dreieinhalb Jahren mit ihren Eltern: Es gebe richtig viele Anmeldungen für diese Online-Kurse. Ähnlich sehe es im Bereich der Malkurse und Yoga-Kurse aus. Die Frage sei, wie lange die Teilnehmer diese Form unterstützen. Viele Fragen, viele Erfahrungen: „Ich empfinde meine Arbeit derzeit als eine sehr spannende“, sagt Ilse Fischer-Giovante dazu.
Ein großes Lob schickt sie an die Kursleiter, die sich umstellen, am Ball bleiben. Ebenso gibt es ein Dankeschön an die Teilnehmer. „Die Teilnehmer – gerade auch ältere – sind experimentierfreudig und machen positive Erfahrungen. Sie sind stolz, bei Videokonferenzen dabei zu sein“, erklärt die VHS-Leiterin, muss bei der Auswertung aber auch feststellen: „Uns fehlt die große digitale Zielgruppe. Ein Beispiel: Viele Berufstätige wollen nicht abends noch einmal eine Bildschirm-Konferenz“.
Was bleibt? „Der Wunsch nach Rückkehr zur Präsenz“, macht Fischer-Giovante klar. Die VHS sehe das digitale Angebot weiter als Übergangslösung. „Sonst bräuchten wir auch eine ganz andere technische Ausstattung“, merkt die Leiterin an. Es gehe aber noch um etwas anderes: Begegnungen würden in der Präsenz geschaffen, Beziehungen eher von Angesicht zu Angesicht aufgebaut. Die Stärke der VHS liege in den Präsenzangeboten in schönen Räumen, die ein „Lernen in sozialen Beziehungen“ermöglichen und Spaß machen. Das bleibe derzeit auf der Strecke. Vorträge als reine Informationsveranstaltung würden wiederum Vorteile bringen, sollen also als digitales Angebot auch künftig Teil des Programms bleiben.
Ilse Fischer-Giovante kommt auf ihre Kritik zurück: „Finanziell wiegen die Online-Kurse die entgangenen Einnahmen nicht auf, maximal 15 Prozent.“Sie ergänzt: „Hoffentlich ist eine politische Konsequenz, dass die Überbürokratisierung in diesem Land, die auch der VHS zu schaffen macht und allzu viel Arbeitszeit bindet, abgebaut wird. Der Umgang mit der Corona-Krise hat gezeigt, dass die deutschen Behörden auf allen Ebenen Flexibilität und pragmatische Lösungen einüben müssen“.
Die Volkshochschule LaichingenBlaubeuren-Schelklingen verstehe sich weiter als „sozialen Kitt“dieser Gesellschaft. „Wir müssen den öffentlichen Diskurs zwischen Vertretern unterschiedlicher Interessengruppen einüben. Die Volkshochschulen können neutrale Plattformen sein“, zeigt Ilse Fischer-Giovante auf, weiß zugleich, dass es eine Weile dauern wird, bis die VHS den Stand des Jahres 2019 wieder erreicht. 16 000 Teilnehmer, 20 000 Unterrichtsstunden stünden 40 Prozent vom Umsatz und Teilnehmenden im Jahr 2020 gegenüber. Die Angst sei groß, dass die Teilnehmer zögern oder Kursleiter nicht mehr zur Verfügung stehen, weil sie sich andere Verdienstmöglichkeiten gesucht haben. Die Zuversicht wiederum sei ebenso groß, gemeinsam weiter am Ziel zu arbeiten.
„Wir tun, was irgend möglich ist, verbreiten jedoch keinen blinden Aktionismus.“
„Hoffentlich ist eine politische Konsequenz, dass die Überbürokratisierung in diesem Land abgebaut wird.“
Ilse Fischer-Giovante