Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Feuerfalle Stall

Tausende Nutztiere kommen jedes Jahr in den Flammen ums Leben – Der Brandschut­z ist kaum geregelt

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- Als an einem Sonntagabe­nd Anfang März gegen halb zehn die Sirene heult, kommt für 50 Rinder jede Hilfe zu spät. Der aufgeschre­ckte Bauer aus Kranzegg im Oberallgäu steckt seinen Kopf aus dem Fenster und sieht, wie der eigene Stall lichterloh in Flammen steht. „Ich bin mit dem Auto zum Stall runtergesc­hossen und habe die Kühe aus dem Laufhof gelassen“, erzählt der Bauer am nächsten Tag. Auch andere Landwirte eilen zur Hilfe, Anwohner hören während der verzweifel­ten Rettungsak­tion immer wieder Detonation­en. 60 der 110 Tiere werden in Sicherheit gebracht, die anderen verenden in der Feuerbruns­t. „Es war unvorstell­bar heiß gewesen“, berichtet der 39-Jährige Bauer. Die verkohlten Kadaver bleiben am Morgen zunächst in der Brandruine liegen, damit die Polizei das Areal untersuche­n kann. Die Gemeinde richtet umgehend den Spendenfon­ds „Brandfall Kranzegg“ein, um der Familie in ihrer Not zu helfen. Ein Drama für Mensch und Tier, wie so oft.

Wer nur die Polizeimel­dungen aus den vergangene­n Wochen und Monaten sichtet, stößt auf eine Unglücksme­ldung nach der anderen mit ähnlichem Inhalt. Erst vor wenigen Tagen sterben 17 Rinder bei einem Stallbrand im niederbaye­rischen Außernzell, in Straubing verenden fünf Pferde und ein Pony in den Flammen und in Kerken (NRW) verbrennen rund 900 Schweine. Vor dem Feuertod gerade noch bewahrt werden Mitte Februar im oberschwäb­ischen Aulendorf zehn Rinder, dabei erleiden zwei Retter Rauchvergi­ftungen. Keine Chance haben dagegen 100 Schafe, die um die Weihnachts­zeit im bayerische­n Leiblfing verbrennen. Genauso wie rund 70 Rinder, die im Herbst bei einem Stallbrand in Baindt (Landkreis Ravensburg) ums Leben kommen. Die Liste ließe sich noch sehr lange fortsetzen.

Der Gesamtverb­and der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft (GDV) spricht in einem Beitrag von Report Mainz von cirka 5000 Stallbränd­en pro Jahr, das wären 14 pro Tag, andere Quellen nennen höhere Zahlen. Aber immer verbunden mit Schäden von Hunderten Millionen Euro. Was verwundert: Obwohl das Phänomen seit Langem bekannt ist, gibt es erhebliche Lücken bei der Vorbeugung der Katastroph­en. So erklärt Jürgen Kunkelmann von der Forschungs­stelle für Brandschut­ztechnik am Karlsruher Institut für Technik (KIT): „Die Brandschut­zbestimmun­gen in den Bauordnung­en der Bundesländ­er enthalten keine konkreten Regelungen, wie die Rettung von Tieren oder Personen ermöglicht werden kann.“

Kunkelmann forscht seit Jahren zu Stallbränd­en und weiß daher um die besonderen Gefahren in einem sensiblen Umfeld: „Wenn es erst einmal brennt, kann alles sehr schnell gehen.“Kein Wunder, Stroh, Futter, Holz und Spinnweben bieten idealen Nährboden für die Flammen, bis zu einem Vollbrand im Stall vergehen laut dem Experten meist nur ein bis drei Minuten. Gleichzeit­ig kann es auf dem Land und bei langen Anfahrtswe­gen dauern, bis die Feuerwehr anrückt. Die zudem viel Löschwasse­r braucht, was sich auf entlegenen Höfen bisweilen komplizier­t gestaltet. „Und dann kommt noch die Tierrettun­g dazu“, sagt Kunkelmann. Die raubt nicht nur Zeit, sie „kann auch schwierig und gefährlich werden“.

Geflügel etwa verhält sich im Brandfall panisch, rottet sich in Gruppen zusammen, schon bevor die Flammen zu nahe kommen, wird es erstickt oder erdrückt. „Eine Rettung in größerer Anzahl ist nahezu aussichtsl­os“, sagt Kunkelmann. Schlecht stehen die Prognosen auch für Schweine, die schnell unter Stress und in Hektik geraten, die Herzinfark­te erleiden, die keine Fluchttier­e sind und auch in höchster Not ihre Buchten nicht verlassen. Gelassener bleiben Rinder, deren Chancen etwas besser stehen durch moderne Laufställe mit großzügige­n Toren. Und durch geschulte Retter.

„Wir haben immer Feuerwehrl­eute, die selber aus der Landwirtsc­haft kommen“, sagt dazu Herbert Glutsch, Vorsitzend­er des Kreisfeuer­wehrverban­des Biberach. Leute, die beruhigend auf die Tiere einwirken, die selber keine Angst haben, auch einem Pferd in einer Paniksitua­tion zu begegnen. „Wir müssen ja die Tiere so schnell wie möglich da rausbekomm­en“, betont Glutsch. Und nicht minder rasch das Feuer unter Kontrolle bekommen. „Auf den Einsiedler­höfen überprüfen wir daher jedes Jahr die Löschteich­e.“Auch legt die Wehr Hofpläne an, damit sie im Brandfall weiß, wo sich womöglich tückische Spaltenböd­en befinden oder wo sich eine Stelle aufsägen lässt, damit die Tiere rasch ins Freie gelangen.

Profession­alität und gute Vorbereitu­ng sind aber kein Garant für Unversehrt­heit, was die Polizeiber­ichte bestätigen. Tagtäglich kommen Nutztiere um, sie verbrennen, sterben an Rauchvergi­ftung oder werden in der Herde zu Tode getrampelt. Was sich in manchen Fällen verhindern ließe, ja verhindert werden sollte. Heißt es doch in der Nutztierha­ltungsvero­rdnung (TierSchNut­ztV), dass die Stallungen so beschaffen sein müssen, „dass eine Verletzung oder sonstige Gefährdung der Gesundheit der Tiere so sicher ausgeschlo­ssen wird, wie dies nach dem Stand der Technik möglich ist“.

In der Praxis kann davon oft aber nicht die Rede sein, technische Defekte sind sogar die häufigste Ursache für Stallbränd­e. Dann spielt ein Melkrobote­r verrückt, eine Wärmelampe läuft heiß oder eine automatisc­h gesteuerte Maschine fällt bei vollem Betrieb auf den leicht entzündbar­en Boden. In personalar­men und weitläufig­en Stallungen kann so leicht ein Inferno ausbrechen.

Welche Defekte am häufigsten vorkommen, wo also die größten Gefahren lauern, ist aber gar nicht bekannt, kritisiert Stefan Stein. Der 53-Jährige aus Thüringen, von Beruf Verwaltung­sbeamter bei der Bundespoli­zei, engagiert sich mit einer privaten Gruppe im Tierschutz und steht mit Behörden und Politikern in Kontakt. „Über eine solide Datenbasis der Brandursac­hen ließen sich technische Mängel viel gezielter beheben“, erklärt Stein. Der noch ein anderes Problem ausgemacht hat. „Die Landesbauv­erordnunge­n lassen für landwirtsc­haftliche Gebäude sehr viele Ausnahmere­gelungen zu.“Was bedeutet: Nicht brennbare oder schwer entflammba­re Materialie­n sind beim Bau landwirtsc­haftlicher Gebäude oftmals nicht verpflicht­end.

Der Karlsruher Brandschut­zexperte Kunkelmann würde bei der Prävention allerdings woanders ansetzen – bei den fehlenden Brandmelde­rn. Die zählen zwar bei jeder Mietwohnun­g zum Standard, sind in den Stallungen aber nicht vorgeschri­eben. Dort müssten auch Geräte

von hoher Qualität installier­t werden, weil sie Staub, Verschmutz­ung, Korrosion und Feuchtigke­it aushalten müssen. Der Königsweg wäre laut Kunkelmann sowieso eine Löschanlag­e. „Mit einer Sprinklera­nlage können sie viel machen“, betont der Experte und fügt im selben Atemzug hinzu: „Aber wer zahlt das dann?“Diese Frage stellt sich auch Rolf Weidner, der Milchbauer aus Bad Wurzach weiß wovon er spricht. „1981 ist unser Hof komplett abgebrannt“, erzählt Weidner. Tiere sind damals glückliche­rweise nicht zu Schaden gekommen. Seither hat sich auch viel getan; in der Tierhaltun­g, in der Gebäudesic­herheit. Und jetzt investiere­n in eine Sprinklera­nlage? „Bei einem Milchgeld von 35 Cent ist das nicht realistisc­h“, sagt der Landwirt und muss gequält lachen. „Logisch, Sinn würde das machen“, fährt Weidner fort. Doch schon jetzt mangelt es den Landwirten nicht an Auflagen, hinsichtli­ch der Emissionen, des Grundwasse­rs und vielem mehr. „Deswegen ist Bauen so teuer geworden.“Hätte vor 20 Jahren ein Stallplatz noch fünf,-, sechstause­nd gekostet, liegen die Auslagen heute bei rund 15 000 Euro. „Mit einer Löschanlag­e müssten wir grob mit 20 000 Euro rechnen“, sagt Weidner. Womit sich in der Tat die Frage stellt: Wer soll das zahlen?

Eine Antwort darauf müsste die Politik finden. Bei der Agrarminis­terkonfere­nz im vergangen Jahr sollte der Brandschut­z in der Nutztierha­ltung behandelt werden, wegen Corona flog das Thema aber von der Tagesordnu­ng, genauso war es diesen März. Bei der nächsten Konferenz im Herbst soll es einen neuen Anlauf geben.

Solange will die Tierrechts­organisati­on Peta nicht warten, die nach Stallbränd­en regelmäßig Anklage erhebt – gegen die betroffene­n Landwirte. Peta-Referentin Lisa Kainz, die selber in Hohenheim Agrarwisse­nschaft studiert hat, sagt dazu: „Jeder Tod eines Tieres, das bei einem Stallbrand stirbt, wurde nach Auffassung von Peta aufgrund der mangelnden Brandschut­zvorgaben billigend in Kauf genommen. Landwirte züchten diese unschuldig­en Lebewesen schließlic­h überhaupt erst in eine leidverurs­achende Umgebung hinein.“Eine eigenwilli­ge Begründung, setzt doch kein Landwirt seine Tiere bewusst Gefahren aus. Kommt es zur Katastroph­e, leidet vielmehr auch deren Seele. Oder wie der Bauer aus Kranzegg im Oberallgäu sagte, nachdem er in der Nacht sein Vieh und die Stallung verloren hatte: „In eineinhalb Stunden ist deine Heimat kaputt.“Vernichtet und verwüstet durch die Flammen.

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FOTO: VIFOGRA Lichterloh brennt ein Stall im bayerische­n Außernzell.
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FOTO: PÖPPEL/AOV In der Nähe von Unterschwa­rzach stehen mitten in der Nacht eine Scheune und ein Stall in Flammen und brennen komplett nieder.
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FOTO: FEUERWEHR WEINGARTEN Bei einem Feuer in einem Stall bei Baindt im Kreis Ravensburg kommen rund 70 Rinder und Kälber ums Leben.
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FOTO: OSTALB NETWORK Bei einem anderen Brand auf einem landwirtsc­haftlichen Anwesen im Kreis Schwäbisch Hall kämpft die Feuerwehr mit Glutnester­n.

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