Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Familienkrach unter Schwesterparteien
Die CDU-Spitze unterstützt die Kanzlerkandidatur ihres Parteichefs Laschet – Die CSU spricht sich für ihren Vorsitzenden Söder aus
BERLIN - Dieser Vormittag hat Armin Laschet offensichtlich gutgetan. Der CDU-Parteichef steht selbstbewusst am Rednerpult im KonradAdenauer-Haus und präsentiert seine politische Agenda für die Zeit nach der Corona-Pandemie – sprich nach der Bundestagswahl. Er wolle das ganze Land auf den Prüfstand stellen, „schauen, was funktioniert hat“in der Krise und die Bürokratie im Verhältnis zwischen Bund und Ländern überprüfen. Darüber hinaus strebt er die Verbindung von Ökologie und Ökonomie in Deutschland an und Aufstiegschancen durch Bildung – „unabhängig von Herkunft und Postleitzahlen“.
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident wiederholt Teile seines Wahlprogramms, das ist an sich nichts Ungewöhnliches. An diesem Montag allerdings schon. Denn eigentlich warten alle nur darauf, wie sich Laschet zur K-Frage in der Union äußert. Dazu sagt er, dass er mit seinem Mitbewerber, CSU-Chef Markus Söder „recht bald das Gespräch suchen“und eine schnelle Entscheidung will. „Alle Fakten liegen auf dem Tisch“, sagte Laschet. Im Übrigen freue er sich über das positive Votum von Präsidium und Bundesvorstand.
Einmal die Uhr um 19 Stunden zurückgedreht: Ein sichtlich mitgenommener Armin Laschet stellt sich den Fragen der Reporterin in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“. Er muss erklären, warum er trotz katastrophaler Umfragewerte Kanzlerkandidat der Union werden will. Wieso er nicht einfach dem CSUChef, der wenige Stunden zuvor offiziell sein Interesse an der Kandidatur verkündet hat, den Vortritt lässt. Der CDU-Chef muss sich seiner Haut wehren, das ist offensichtlich. Söder hingegen hatte nur wenige Minuten zuvor kraftvoll und selbstbewusst seinen Anspruch auf die Kanzlerkandidatur klargemacht. Dieses Mal ganz ohne Verbalspitzen gegen den NRW-Landeschef, dieses Mal sehr ernst. Da schien es fast so, als könnte Laschet, gegen diesen wuchtigen Gegner kaum mehr einen Stich machen. Als wäre trotz seiner eigentlichen Position der Stärke die kleine Schwester die überlegene. Doch der Eindruck täuschte wohl.
Nach einer Nacht, in der sicherlich einige Telefongespräche zu führen und SMS zu verschicken waren, tagte am Montagvormittag um neun Uhr erst einmal das CDU-Präsidium in einer Präsenzsitzung in der Parteizentrale. Der Bundesvorstand traf sich anschließend digital. Dennoch dringt erstaunlich wenig heraus aus den Mauern des Konrad-AdenauerHauses. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer verlässt als erster wortkarg das Gebäude. Die Nachricht, dass Laschet auf den Rückhalt des CDU-Präsidiums setzen kann, darf wenig später der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier verkünden. Das Präsidium habe deutlich gemacht, „dass wir ihn für außergewöhnlich geeignet halten und ihn gebeten haben, mit Markus
Söder jetzt gemeinsam den weiteren Weg zu besprechen, wie wir das machen“, sagte Bouffier.
CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak schiebt wenige Stunden später im Konrad-Adenauer-Haus nach, dass auch im Bundesvorstand das Meinungsbild eindeutig pro Kanzlerkandidatur Armin Laschet gewesen sei – auch wegen seiner integrativen Fähigkeiten, für die der Rheinländer immer wieder gerühmt wird. Sein Parteichef, der neben ihm steht, nutzt die Gunst der Stunde, um zu betonen, wie wichtig eine schnelle Entscheidung auch wegen des Corona-Krisenmanagements sei. „Wir sind mitten in einer Pandemie und vier Monate vor einer Bundestagswahl“, sagte er. Da verstünde es niemand, wenn sich die Union noch länger um sich selbst drehe – anstatt sich ums Land zu kümmern.
Damit könnte die Sache klar sein. Die große Schwester hat entschieden, die kleine muss sich fügen. Laschet könnte zum Hörer greifen, Söder die Voten der Parteiführung mitteilen – und sich alsbald, vielleicht am Dienstag nach der Fraktionssitzung, als „Kanzlerkandidat der Union“ausrufen. Doch diese Vorstellung scheint im Süden der Republik nicht gut anzukommen. Dort will man sich offensichtlich noch nicht geschlagen geben – in der Hoffnung auf Stimmen und Stimmungen in der Fraktion und in anderen Landesverbänden. Deshalb drücken Söder und sein Generalsekretär Markus Blume deutlich auf die Bremse und wollen von einer Kandidatenbenennung innerhalb der nächsten Stunden oder eines Tages nichts wissen. „Heute ist nicht der Tag der Entscheidung, sondern der Beratung“, sagt Blume. Söder ergänzt, dass „es ein paar Tage Zeit“brauche, den Menschen die Entscheidung von CDU und CSU zu erklären, auch falls es anders kommen sollte, als es sich viele wünschten. Es gebe noch viel „Diskussionsbewegung“, unter anderem in der Bundestagsfraktion von CDU und CSU. Den Vorschlag des CSU-Fraktionschefs im Bayerischen Landtag, Thomas Kreutzer, die Unionsmitglieder über den Kanzlerkandidaten entscheiden zu lassen, lehnt der CSU-Chef zwar ab, aber vor allem weil die Zeit dafür zu knapp wäre. Zuvor hatte ihm das CSU-Präsidium, wie erwartet, breite Rückendeckung für seine Kanzlerkandidatur gegeben. Das Gremium sei der Auffassung, so Blume, dass „Markus Söder der bestgeeignete Kandidat für die anstehenden Aufgaben sei“.
Das höchste Ass in Söders Ärmel sind die Umfragewerte – das wird während seines kurzen Auftritts in München immer wieder deutlich. Während er sich laut Forschungsgruppe Wahlen in der Beliebtheitsskala deutscher Politiker auf Platz zwei hinter Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgearbeitet hat, ist Laschet abgestürzt im März und nicht mehr weit vom Negativbereich entfernt. Die Kanzlerschaft trauten Söder 56 Prozent der Befragten zu, Laschet hingegen nur 23 Prozent. Deshalb verwundert es nicht, dass der bayerische Ministerpräsident die Gelegenheit beim Schopfe packt, um mehrfach darauf hinzuweisen, dass Umfragen zwar nicht alles seien, aber die Union sich davon auch nicht „davon abkoppeln könne“. Und dann sagt er noch diesen einen Satz, der viel darüber aussagt, was er seinem Mitbewerber Laschet zutraut: „Auch bei erfolglosen Wahlen sind die Kandidaten vorher einstimmig nominiert worden.“Deshalb sei es wichtig, sich für die Entscheidung über die Kanzlerkandidatur Zeit zu nehmen.
In diesem Moment scheint wieder alles offen. Die von Laschet ausgestrahlte Zuversicht, dass er sich jetzt ruckzuck als Sieger des Zweikampfs präsentieren kann, war vielleicht doch ein wenig verfrüht. Denn tatsächlich fürchten viele Abgeordnete um ihr Bundestagsmandat, falls die Union bei der nächsten Wahl verlieren würde. Auch die rechnerische Möglichkeit einer grün-rot-gelben Koalition im Bund lastet auf dem Unionskanzlerkandidaten – auch wenn er Söder heißen sollte. Der spricht bereits vom schwierigsten Wahlkampf seit 1998, für den er sich, um die Chancen der Union zu erhöhen, zur Verfügung stellen wolle.
Am Ende des Tages werden Laschet und Söder wohl wieder telefonieren, um eine Entscheidung „ohne Groll“herbeizuführen. Eine überzeugende Antwort, wie das funktionieren kann, sollten beide Parteien die Empfehlung der jeweils anderen nicht akzeptieren, bleiben die Kandidatenanwärter schuldig. Denn dies könnte zeigen, wie fragil der Frieden zwischen CDU und CSU letztlich ist.