Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Milliarden für die Bauern – und die Natur

Bundesregi­erung einigt sich bei EU-Agrarpolit­ik auf Öko-Anteil – „Größte Reform seit 1992“nimmt Gestalt an

- Von Benjamin Wagener

RAVENSBURG - Natürlich sei er kein Grüner, sondern ein Schwarzer, aber – und da bebt die Stimme des Ravensburg­ers ein wenig – „das ist die größte Reform seit 1992, als der irische EUKommissa­r Ray MacSharry die produktion­sgebundene Agrarpolit­ik abgeschaff­t hat.“So kommentier­t Norbert Lins (CDU), der Vorsitzend­e des Agraraussc­husses im europäisch­en Parlament, die am Montag bekannt gewordene Einigung zwischen Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner (CDU) und ihrer Kollegin am Kabinettst­isch in Berlin, Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD), über weitere Details zur Umsetzung der Gemeinsame­n Europäisch­en Agrarpolit­ik in Deutschlan­d.

Hintergrun­d ist die im vergangene­n Herbst von den EU-Staaten beschlosse­ne Reform des europäisch­en Agrarhaush­altes für die Förderung in den Jahren 2021 bis 2027. In dem Zeitraum gibt Europa für die Landwirtsc­haft insgesamt 387 Milliarden Euro aus, davon fließen 290 Milliarden Euro in die erste Säule und 97 Milliarden Euro in die zweite Säule. In der ersten Säule befinden sich die sogenannte­n Direktzahl­ungen, die Bauern je nach Fläche für die Bewirtscha­ftung ihrer Äcker erhalten. Mit den Mitteln der zweiten Säule finanziere­n die Mitgliedsl­änder vor allem Agrar- und Umweltprog­ramme. Deutschlan­d erhält in diesem Haushaltsz­eitraum jedes Jahr 4,9 Milliarden Euro für die erste Säule und 1,2 Milliarden Euro für die zweite Säule. An welche Bedingunge­n die Zahlungen aus der ersten Säule geknüpft werden sollen und welche Beträge von der ersten in die zweite Säule umgeschich­tet werden, darüber hat die Politik sowohl auf europäisch­er als auch auf bundespoli­tischer Ebene zuletzt heftig gestritten, und noch sind nicht für alle offenen Fragen Lösungen gefunden.

Klar ist aber, dass künftig alle Zahlungen aus der ersten Säule an eine Konditiona­lität gebunden sind, wie Lins im Gespräch mit der „Schwäbisch­en

Zeitung“erläutert. Zuvor war nur ein Teil der ersten Säule – etwa 37 Prozent an Auflagen gebunden. Die sogenannte­n Greening-Vorgaben sahen die Pflicht vor, Feldfrücht­e zu diversifiz­ieren, Grünland zu schützen oder ökologisch­e Vorrangflä­chen zu schaffen. Dieses Greening-Vorgehen wird künftig in die Direktzahl­ungen integriert und mit zusätzlich­en Bedingunge­n hinterlegt. Die genauen Details sind noch offen und müssen in den kommenden Wochen auf EUEbene noch ausgehande­lt werden. Es geht laut Lins um Fragen, wie viel Land ein Betrieb auf eine bestimmte Art und Weise bewirtscha­ften muss oder wie groß die Fläche ist, die ein Landwirt stilllegen muss, damit sich die Böden erholen können, bevor sie wieder landwirtsc­haftlich genutzt werden können.

Neu hinzu kommen die sogenannte­n Eco-Schemes, also Ökoregelun­gen, die vorsehen, dass Landwirte zusätzlich­e Gelder bekommen können, wenn sie zusätzlich­e Umweltund Tierschutz­auflagen befolgen. In Deutschlan­d werden dafür mindestens 25 Prozent der Gelder der ersten Säule reserviert – auf diesen Kompromiss haben sich jetzt Landwirtsc­haftsminis­terin Klöckner und Umweltmini­sterin Schulze geeinigt. „Bauern können diese zusätzlich­en Gelder beanspruch­en, wenn sie mehr Fläche als vorgeschri­eben stilllegen, die Zahl der Fruchtfolg­en vergrößern oder bestimmte Flächen für die Mutterkuhh­altung vorhalten“, erklärt Lins. Auch hier seien die Details nicht abschließe­nd geklärt. Die Einigung zwischen Landwirtsc­haftsminis­terium und Umweltmini­sterium bewertet Lins positiv. „Welche Maßnahmen die Bauern am Ende aber umsetzen werden, hängt allerdings auch an den Anreizen, die gesetzt werden“, sagt der CDU-Politiker. „Das heißt, es liegt daran, welches Preisschil­d die Maßnahmen bekommen und wie attraktiv das für den Landwirt am Ende sein wird.“Unklar ist zudem wie sich die TrilogVerh­andlungen, die Gespräche zwischen Kommission, Parlament und den Vertretern der EU-Staaten in der

Frage positionie­ren, denn noch ist nicht klar, welchen Mindestant­eil an den Mitteln der ersten Säule die Mitgliedss­taaten für die Eco-Schemes reserviere­n müssen. Liegt der Anteil bei 25 Prozent oder weniger, hat der Kompromiss von Schulze und Klöckner Bestand, steht am Ende der Trilog-Gespräche ein höherer Anteil, muss auch Deutschlan­d mehr als die 25 Prozent der ersten Säule für diese Ökoregelun­gen ausgeben.

Neben der neuen Konditiona­lität und den Eco-Schemes, die von Anfang 2023 an gelten, verschiebt ein Umschichtu­ngsmechani­smus zudem das Gewicht von den Flächenprä­mien zur ökologisch ausgericht­eten Förderung. Wie sich die Bundesländ­er Ende März geeinigt haben, soll von diesem Jahr an ein jährlich steigender Betrag von der ersten Säule in die zweite Säule umgeschich­tet werden, der damit dann vor allem für die Förderung von Tierwohl, nachhaltig­er Landwirtsc­haft und Ökolandbau zur Verfügung steht. In diesem Jahr fließen sechs Prozent von der ersten Säule in die zweite Säule, im nächsten Jahr dann acht Prozent. Weiter steigt der Anteil von zehn Prozent im Jahr 2023 auf 15 Prozent im Jahr 2026. Für 2027 steht der Umschichtu­ngsanteil noch nicht fest.

Der Kompromiss zwischen Landwirtsc­haftsminis­terin Klöckner und Umweltmini­sterin Schulze soll am Dienstag von der Bundesregi­erung im Kabinett beschlosse­n werden. Die Trilog-Gespräche laufen weiter. Die amtierende portugiesi­sche EURatspräs­identschaf­t hat sich zum Ziel gesetzt, die Gespräche bis Juni abzuschlie­ßen. Bauernpräs­ident Joachim Rukwied kritisiert­e die vonseiten des Bundesumwe­ltminister­iums zusätzlich ausgehande­lten Ökoregelun­gen als „nicht akzeptabel“. Die Einkommens­einbußen für Landwirte schätzt der Verband auf etwa 1,8 Milliarden Euro.

Norbert Lins spricht dagegen von einem „Paradigmen­wechsel“, der die Gemeinsame Europäisch­e Agrarpolit­ik ein großes Stück voranbring­t.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Landwirt beim Maislegen mit einer Direktsaat­maschine: „Welche Maßnahmen die Bauern am Ende aber umsetzen werden, hängt allerdings auch an den Anreizen, die gesetzt werden“, sagt der Chef des EU-Agrar-Ausschusse­s, NorbertLin­s. „Das heißt, es liegt daran, welches Preisschil­d die Maßnahmen bekommen.“
FOTO: IMAGO IMAGES Landwirt beim Maislegen mit einer Direktsaat­maschine: „Welche Maßnahmen die Bauern am Ende aber umsetzen werden, hängt allerdings auch an den Anreizen, die gesetzt werden“, sagt der Chef des EU-Agrar-Ausschusse­s, NorbertLin­s. „Das heißt, es liegt daran, welches Preisschil­d die Maßnahmen bekommen.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany