Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
US-Nachfrage, Bauboom, Borkenkäfer
Extreme Engpässe und hohe Preise bei Holz machen Handwerk und Hausplanern zu schaffen
RAVENSBURG - Reiner Schlegel ist seit 37 Jahren in der Holzbranche tätig. Doch eine Situation wie jetzt hat der Prokurist des Holzhändlers Habisreutinger aus Weingarten (Landkreis Ravensburg) nach eigener Aussage noch nicht erlebt. Der Markt für Bauholz sei leergefegt. Und wie immer, wenn ein Markt aus dem Gleichgewicht gerät, wenn die Nachfrage dem Angebot davongaloppiert, legen die Preise zu. „Wir haben in den vergangenen vier Monaten bei Brettschichtholz und bei Konstruktionsvollholz Steigerungen von 50 Prozent gesehen – und ein Ende der Preisspirale ist nicht in Sicht“, sagt Schlegel im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“.
Habisreutinger beliefert von der Schwäbischen Alb über Oberschwaben bis ins Allgäu und nach Vorarlberg hinein vor allem Handwerker, aber auch private Bauherren mit Holz. Jährlich vertreibt das Unternehmen „einige Tausend Kubikmeter“, sagt Schlegel, ohne genauer zu werden. Er bescheinigt dem europäischen und insbesondere dem deutschen Holzmarkt eine „absolute Verknappung“und in einigen Produktbereichen „extreme Engpässe“. Das führt dazu, dass das Familienunternehmen, in Süddeutschland immerhin einer der größten Holzhändler, von seinen Lieferanten, den Sägewerken, teilweise gar keine Preise mehr genannt bekommt. „Wir bestellen immer öfter blind“, sagt Schlegel und berichtet von Einzelfällen, bei denen der Preis über Nacht um 45 Prozent angehoben wurde. Was am Montag ausgemacht wurde, gilt am Freitag oft schon nicht mehr.
Dabei war der Preis für Bauholz in Deutschland über Jahrzehnte quasi festgenagelt. Kostete der Kubikmeter Anfang der 1980er-Jahre rund 480 DM, waren es 2020, also vierzig Jahre später, 240 Euro, weiß Armin Baumann, Chef und Inhaber des gleichnamigen Sägewerks in Wangen im Allgäu. Der Unternehmer schneidet in seinem Betrieb jährlich rund 150 000 Festmeter Rundholz zu Bauholz ein und beliefert damit vor allem die regionalen Zimmereibetriebe.
Die konnten sich in den vergangenen Dekaden auf stabile Preise und kurzfristige Lieferzeiten verlassen. Doch diese Gewissheiten funktionieren seit einigen Monaten nicht mehr. „Mitunter wurde das Holz für die Dacheindeckung erst dann bestellt, wenn der Giebel fertig gemauert war“, sagt Baumann. Inzwischen sei die ganze Produktion für mindestens vier Wochen ausverkauft, die Lieferfristen „sind von wenigen Tagen“auf „bis zu acht Wochen“gestiegen.
Die Ursachen für die in der Branche vollkommen neue Situation sind vielschichtig, und sie sind sowohl angebotsals auch nachfrageseitig zu suchen. Da ist zum einen die Forstwirtschaft, die unter einer beispiellosen Borkenkäferkalamität und abstürzenden Holzpreisen zu leiden hat. Die Notierungen beim Leitsortiment Fichte, nach wie vor der Brotbaum der Forst- und Holzwirtschaft, hatten sich zwischen 2017 und 2020 fast halbiert und lagen für gute Qualitäten bei rund 50 Euro pro Kubikmeter, für schlechtere Qualitäten sogar weit darunter. „Aktuell kennen die Preise für Frischholz zwar nur eine Richtung, die nach oben“, sagt Raimund Friderichs, Leiter des Forstbetriebs
bei der Unternehmensgruppe Fürst von Hohenzollern aus Sigmaringen, die jährlich rund 150 000 Festmeter an den Markt bringt. Doch für viele Waldbesitzer, vor allem in Mitteldeutschland, komme das zu spät. Deren Bestände seien nach den verheerenden Käfer- und Dürrejahren so dezimiert, dass sie gar nicht mehr Holz liefern könnten oder wollten.
Hinzu kommt, dass der Einschlag von Fichtenstammholz aufgrund der extremen Waldschäden im laufenden Forstwirtschaftjahr (1. Oktober 2020 bis 30. September 2021) auf 85 Prozent des Durchschnitts der Jahre 2013 bis 2017 gesetzlich beschränkt wurde.
Das Angebot also ist limitiert. Und die Nachfrage zieht deutlich an. Vor allem die Vereinigten Staaten sind zurzeit so etwas wie das
Schwarze Loch des globalen Holzmarkts. Das Land saugt immer größere Mengen Bauholz auf und bekommt diese auch geliefert – weil dort immens hohe Preise gezahlt werden. Die lukrativen Absatzmöglichkeiten wirbeln die gesamten Absatzund Lieferketten durcheinander. Nicht nur die skandinavischen Sägewerke, die bisher nennenswerte Mengen Holz nach Deutschland geliefert haben, bevorzugen inzwischen den US-Markt. Auch große deutsche Säger suchen ihr Heil im US-Export. Aktuell liegt der USPreis für den Kubikmeter Nadelschnittholz ab deutschem Sägewerk bei mehr als 500 Euro. Vor Jahresfrist war es gerade einmal die Hälfte. Schon im vergangenen Jahr stiegen die deutschen Nadelschnittholzausfuhren in Richtung USA um gut 54 Prozent auf knapp zwei Millionen
Kubikmeter. Hält die Dynamik an, dürften diese Zahlen 2021 noch einmal deutlich übertroffen werden.
Neben der kurzfristig stark gestiegenen US-Nachfrage kommt hinzu, dass Holz als Baustoff in Deutschland auf dem Vormarsch ist. Nicht nur bei Einfamilienhäusern. „Immer öfter auch in mehrgeschossigen Gebäuden“, sagt Julia Möbus, Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Deutschen Säge- und Holzindustrie.
Mit diesen globalen Marktkräften müssen die lokalen Holzbauer, die Zimmereien und Tischlereien zurechtkommen. Und das gelingt aktuell eher schlecht als recht. „Seit Februar bekommen wir im Wochenrhythmus neue Preislisten von unseren Lieferanten – egal ob es sich um Konstruktionsvollholz, um Grobspanplatten oder um Dachlatten handelt“, erzählt Arthur Strobel, Chef des gleichnamigen Holzbaubetriebs aus Ebenweiler (Landkreis Ravensburg). Inzwischen sei die Situation so angespannt, dass Bestellungen immer öfter nur zum Teil oder gar nicht mehr bedient würden.
Das veranlasst viele Handwerker, aktuell die zwei- und dreifachen der sonst üblichen Mengen zu bestellen. Sägewerker Armin Baumann aus Wangen sieht in den Mehrfachbestellungen der Zimmereien und Holzbauer auch ein „Stück weit Spekulation“. In Erwartung weiter steigender Preise würden die Betriebe versuchen, auf Vorrat zu kaufen und so die Knappheit weiter anheizen. „Wir versuchen deshalb, die Holzmengen so zu verteilen, wie sie die Kunden in der Vergangenheit abgenommen haben“, erklärt der Unternehmer seine Strategie.
Die Leidtragenden dieser Entwicklung sind die Bauherren. Die müssten für ein Holzhaus aktuell zwischen 10 000 und 15 000 Euro mehr einkalkulieren als noch vor einigen Monaten, sagt Holzbauer Strobel. Verschiedene Branchenverbände warnen schon vor einem „Preisschock“für Häuslebauer, da die Problematik nicht nur Bauholz, sondern auch Wärmedämmmaterialien, Trockenbauprofile und Betonstahl betrifft. Aber auch für Betriebe kann die Situation existenzgefährdend werden. Denn in Festpreisverträgen ist üblicherweise kein Spielraum für exorbitante Preissteigerungen bei Baumaterialien vorgesehen. Die Preiserhöhungen, heißt es beim Bundesverband Farbe Gestaltung Bautenschutz, kämen in einer Phase, in der die Kapitaldecke bei Bauherren ebenso wie bei den Handwerksbetrieben dünner werde.