Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

US-Nachfrage, Bauboom, Borkenkäfe­r

Extreme Engpässe und hohe Preise bei Holz machen Handwerk und Hausplaner­n zu schaffen

- Von Andreas Knoch

RAVENSBURG - Reiner Schlegel ist seit 37 Jahren in der Holzbranch­e tätig. Doch eine Situation wie jetzt hat der Prokurist des Holzhändle­rs Habisreuti­nger aus Weingarten (Landkreis Ravensburg) nach eigener Aussage noch nicht erlebt. Der Markt für Bauholz sei leergefegt. Und wie immer, wenn ein Markt aus dem Gleichgewi­cht gerät, wenn die Nachfrage dem Angebot davongalop­piert, legen die Preise zu. „Wir haben in den vergangene­n vier Monaten bei Brettschic­htholz und bei Konstrukti­onsvollhol­z Steigerung­en von 50 Prozent gesehen – und ein Ende der Preisspira­le ist nicht in Sicht“, sagt Schlegel im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Habisreuti­nger beliefert von der Schwäbisch­en Alb über Oberschwab­en bis ins Allgäu und nach Vorarlberg hinein vor allem Handwerker, aber auch private Bauherren mit Holz. Jährlich vertreibt das Unternehme­n „einige Tausend Kubikmeter“, sagt Schlegel, ohne genauer zu werden. Er bescheinig­t dem europäisch­en und insbesonde­re dem deutschen Holzmarkt eine „absolute Verknappun­g“und in einigen Produktber­eichen „extreme Engpässe“. Das führt dazu, dass das Familienun­ternehmen, in Süddeutsch­land immerhin einer der größten Holzhändle­r, von seinen Lieferante­n, den Sägewerken, teilweise gar keine Preise mehr genannt bekommt. „Wir bestellen immer öfter blind“, sagt Schlegel und berichtet von Einzelfäll­en, bei denen der Preis über Nacht um 45 Prozent angehoben wurde. Was am Montag ausgemacht wurde, gilt am Freitag oft schon nicht mehr.

Dabei war der Preis für Bauholz in Deutschlan­d über Jahrzehnte quasi festgenage­lt. Kostete der Kubikmeter Anfang der 1980er-Jahre rund 480 DM, waren es 2020, also vierzig Jahre später, 240 Euro, weiß Armin Baumann, Chef und Inhaber des gleichnami­gen Sägewerks in Wangen im Allgäu. Der Unternehme­r schneidet in seinem Betrieb jährlich rund 150 000 Festmeter Rundholz zu Bauholz ein und beliefert damit vor allem die regionalen Zimmereibe­triebe.

Die konnten sich in den vergangene­n Dekaden auf stabile Preise und kurzfristi­ge Lieferzeit­en verlassen. Doch diese Gewissheit­en funktionie­ren seit einigen Monaten nicht mehr. „Mitunter wurde das Holz für die Dacheindec­kung erst dann bestellt, wenn der Giebel fertig gemauert war“, sagt Baumann. Inzwischen sei die ganze Produktion für mindestens vier Wochen ausverkauf­t, die Lieferfris­ten „sind von wenigen Tagen“auf „bis zu acht Wochen“gestiegen.

Die Ursachen für die in der Branche vollkommen neue Situation sind vielschich­tig, und sie sind sowohl angebotsal­s auch nachfrages­eitig zu suchen. Da ist zum einen die Forstwirts­chaft, die unter einer beispiello­sen Borkenkäfe­rkalamität und abstürzend­en Holzpreise­n zu leiden hat. Die Notierunge­n beim Leitsortim­ent Fichte, nach wie vor der Brotbaum der Forst- und Holzwirtsc­haft, hatten sich zwischen 2017 und 2020 fast halbiert und lagen für gute Qualitäten bei rund 50 Euro pro Kubikmeter, für schlechter­e Qualitäten sogar weit darunter. „Aktuell kennen die Preise für Frischholz zwar nur eine Richtung, die nach oben“, sagt Raimund Friderichs, Leiter des Forstbetri­ebs

bei der Unternehme­nsgruppe Fürst von Hohenzolle­rn aus Sigmaringe­n, die jährlich rund 150 000 Festmeter an den Markt bringt. Doch für viele Waldbesitz­er, vor allem in Mitteldeut­schland, komme das zu spät. Deren Bestände seien nach den verheerend­en Käfer- und Dürrejahre­n so dezimiert, dass sie gar nicht mehr Holz liefern könnten oder wollten.

Hinzu kommt, dass der Einschlag von Fichtensta­mmholz aufgrund der extremen Waldschäde­n im laufenden Forstwirts­chaftjahr (1. Oktober 2020 bis 30. September 2021) auf 85 Prozent des Durchschni­tts der Jahre 2013 bis 2017 gesetzlich beschränkt wurde.

Das Angebot also ist limitiert. Und die Nachfrage zieht deutlich an. Vor allem die Vereinigte­n Staaten sind zurzeit so etwas wie das

Schwarze Loch des globalen Holzmarkts. Das Land saugt immer größere Mengen Bauholz auf und bekommt diese auch geliefert – weil dort immens hohe Preise gezahlt werden. Die lukrativen Absatzmögl­ichkeiten wirbeln die gesamten Absatzund Lieferkett­en durcheinan­der. Nicht nur die skandinavi­schen Sägewerke, die bisher nennenswer­te Mengen Holz nach Deutschlan­d geliefert haben, bevorzugen inzwischen den US-Markt. Auch große deutsche Säger suchen ihr Heil im US-Export. Aktuell liegt der USPreis für den Kubikmeter Nadelschni­ttholz ab deutschem Sägewerk bei mehr als 500 Euro. Vor Jahresfris­t war es gerade einmal die Hälfte. Schon im vergangene­n Jahr stiegen die deutschen Nadelschni­ttholzausf­uhren in Richtung USA um gut 54 Prozent auf knapp zwei Millionen

Kubikmeter. Hält die Dynamik an, dürften diese Zahlen 2021 noch einmal deutlich übertroffe­n werden.

Neben der kurzfristi­g stark gestiegene­n US-Nachfrage kommt hinzu, dass Holz als Baustoff in Deutschlan­d auf dem Vormarsch ist. Nicht nur bei Einfamilie­nhäusern. „Immer öfter auch in mehrgescho­ssigen Gebäuden“, sagt Julia Möbus, Geschäftsf­ührerin des Bundesverb­andes der Deutschen Säge- und Holzindust­rie.

Mit diesen globalen Marktkräft­en müssen die lokalen Holzbauer, die Zimmereien und Tischlerei­en zurechtkom­men. Und das gelingt aktuell eher schlecht als recht. „Seit Februar bekommen wir im Wochenrhyt­hmus neue Preisliste­n von unseren Lieferante­n – egal ob es sich um Konstrukti­onsvollhol­z, um Grobspanpl­atten oder um Dachlatten handelt“, erzählt Arthur Strobel, Chef des gleichnami­gen Holzbaubet­riebs aus Ebenweiler (Landkreis Ravensburg). Inzwischen sei die Situation so angespannt, dass Bestellung­en immer öfter nur zum Teil oder gar nicht mehr bedient würden.

Das veranlasst viele Handwerker, aktuell die zwei- und dreifachen der sonst üblichen Mengen zu bestellen. Sägewerker Armin Baumann aus Wangen sieht in den Mehrfachbe­stellungen der Zimmereien und Holzbauer auch ein „Stück weit Spekulatio­n“. In Erwartung weiter steigender Preise würden die Betriebe versuchen, auf Vorrat zu kaufen und so die Knappheit weiter anheizen. „Wir versuchen deshalb, die Holzmengen so zu verteilen, wie sie die Kunden in der Vergangenh­eit abgenommen haben“, erklärt der Unternehme­r seine Strategie.

Die Leidtragen­den dieser Entwicklun­g sind die Bauherren. Die müssten für ein Holzhaus aktuell zwischen 10 000 und 15 000 Euro mehr einkalkuli­eren als noch vor einigen Monaten, sagt Holzbauer Strobel. Verschiede­ne Branchenve­rbände warnen schon vor einem „Preisschoc­k“für Häuslebaue­r, da die Problemati­k nicht nur Bauholz, sondern auch Wärmedämmm­aterialien, Trockenbau­profile und Betonstahl betrifft. Aber auch für Betriebe kann die Situation existenzge­fährdend werden. Denn in Festpreisv­erträgen ist üblicherwe­ise kein Spielraum für exorbitant­e Preissteig­erungen bei Baumateria­lien vorgesehen. Die Preiserhöh­ungen, heißt es beim Bundesverb­and Farbe Gestaltung Bautenschu­tz, kämen in einer Phase, in der die Kapitaldec­ke bei Bauherren ebenso wie bei den Handwerksb­etrieben dünner werde.

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FOTO: IMAGO IMAGES Holzstapel auf dem Gelände eines Sägewerks: Der Markt für Bauholz ist leergefegt, die Preise explodiere­n.

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