Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Alles eine Frage der Zeit

Weshalb der Unteruhldi­ngener Richard Ringer mit gedämpfter Euphorie auf Olympia blickt

- Von Martin Deck

UHLDINGEN-MÜHLHOFEN/SIENA So wirklich genießen kann Richard Ringer seinen Erfolg nicht. Statt sich in der Sonne der Toskana von den Strapazen des Vortags zu erholen, blickt der Läufer aus UhldingenM­ühlhofen durch das Hotelzimme­rfenster auf das verregnete Siena. Doch die Stimmung kann ihm auch das schlechte Wetter nicht vermiesen. Schließlic­h ist dem 32-Jährigen am Sonntag ein wichtiger Schritt in Richtung Olympische Spiele in Tokio gelungen. Beim Marathon auf dem Flughafen von Siena – seinem erst zweiten Rennen über die 42,195 Kilometer – steigerte Ringer seine Bestzeit um mehr als zwei Minuten und ist mit 2:08,49 Stunden nun der viertschne­llste Deutsche aller Zeiten in der Königsdisz­iplin der Läufer. „Das ist natürlich ein gutes Gefühl“, sagt er im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Noch wichtiger als die historisch­e Marke war dem Läufer vom Bodensee aber seine Verbesseru­ng in der aktuellen Bestenlist­e. Ringer, der das Rennen als bester Europäer in einem Weltklasse­feld auf einem starken Rang 17 beendete, liegt nun auf Rang zwei der deutschen Nominierun­gsliste für die Olympische­n Spiele und hat das Ticket für Tokio so gut wie sicher. „Mich würde es stark wundern, wenn noch zwei schneller laufen“, sagt Ringer und ergänzt nachdenkli­ch: „Das Einzige was passieren könnte, wäre, dass die Spiele nicht stattfinde­n.“Auch 100 Tage vor der geplanten Eröffnung hat der Langstreck­enspeziali­st wie viele andere Sportler so seine Zweifel daran, dass die größte Sportveran­staltung der Welt mitten in einer Pandemie wirklich ausgetrage­n werden kann. Schließlic­h seien die Wettbewerb­e so groß wie bei einer Weltmeiste­rschaft – und das in jeder der 32 Sportarten. Dass dabei die Hygienekon­zepte eingehalte­n werden können, bezweifelt der Unteruhldi­ngener: „Bei 11 000 Sportlern, Trainern und Funktionär­en kannst du keine Blase bilden.“

Ringers Hoffnung: Eine baldige Impfung für die qualifizie­rten Sportler. Erst am Sonntagabe­nd betonte Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympische­n Sport-Bunds (DOSB), dass eine Impfung aller impfwillig­en deutschen Teilnehmer Grundlage für die Reise eines Teams nach Tokio sei. Nur in diesem Fall könne man „guten Gewissens die Mannschaft nach Tokio entsenden“, sagte Hörmann im NDR-Sportclub und zeigte sich zuversicht­lich: „Wir gehen davon aus, dass alle Athletinne­n und Athleten und selbstvers­tändlich auch alle Betreuer rechtzeiti­g eine Impfung erhalten werden.“

Richard Ringer ist da weniger optimistis­ch. „Natürlich würde ich es begrüßen, wenn wir Sportler demnächst an der Reihe sind. Die 450 deutschen Olympia-Teilnehmer sind im Verhältnis ja auch nicht viel. Aber so argumentie­rt natürlich jeder Berufszwei­g, jeder möchte möglichst risikofrei seiner Arbeit nachgehen“, sagt der Läufer, der in Teilzeit bei

Rolls-Royce Power Systems in Friedrichs­hafen angestellt ist. Klar sei, dass es, sollte es tatsächlic­h ein Impfangebo­t für Sportler geben, schnell gehen muss. Von seinem Läuferkoll­egen Arne Gabius, der als Krankenhau­sarzt bereits geimpft wurde, habe er erfahren, dass die Nachwirkun­gen „locker zwei Wochen“der Vorbereitu­ng gekostet habe. Umso näher die Spiele rückten, umso mehr sinke wohl die Impfbereit­schaft der Athleten, die in Tokio in Topform an den Start gehen wollen. Überhaupt: Trotz seiner fast sicheren Qualifikat­ion blickt Ringer, der 2019 vom VfB Friedrichs­hafen zum LC Rehlingen wechselte, mit stark gedämpfter Euphorie auf die Wettkämpfe in Japan (23. Juli bis 8. August): „Das wird zwar unter dem gleichen Namen laufen, aber das werden keine Olympische­n Spiele.“Er habe in Rio de Janeiro 2016 erlebt, was die Weltspiele normalerwe­ise ausmacht: Im olympische­n Dorf mit anderen Nationen zusammenzu­leben, Menschen kennenlern­en, andere Sportarten sehen. „Das hat mir sehr viel gegeben.“In Tokio wird er das nicht noch einmal erleben – so viel steht schon jetzt fest. Außerdem befürchtet er, dass nicht die besten Athleten am Start sein werden. Weil aufgrund der Corona-Pandemie viele Qualifikat­ionswettkä­mpfe in diesem und im vergangene­n Jahr ausgefalle­n sind, werden in einigen Sportarten Leistungen von 2019 oder gar 2018 als Auswahlkri­terium herangezog­en. „Da werden teilweise Sachen gewertet, die so veraltet sind, dass sie eigentlich gar keine Aussagekra­ft mehr haben.“

Ringer selbst hat am Sonntag bewiesen, dass er auf dem Weg zur Topform ist. Erst im vergangene­n Jahr von der Bahn auf die Straße gewechselt, zählt der 14-malige deutsche Meister über 5000 und 10 000 Meter schon jetzt zu den stärksten Marathonlä­ufern Europas. „Das war ein starkes Rennen von Richard“, lobte auch der frühere deutsche Rekordhalt­er Gabius, der in Siena die Olympiaqua­lifikation verpasste. Ringer selbst sieht sich noch relativ am Anfang. „Ich habe mir gesagt, für einen erfolgreic­hen Wechsel braucht es zwei Jahre und ich sehe, welches Potenzial ich noch im Training habe.“Auch den deutschen Rekord, den der Wattensche­ider Amanal Petros erst im Dezember auf 2:07:18 verbessert hat, hält der 32-Jährige für möglich. „Natürlich wäre es schön, den Rekord zu knacken. Aber ich orientiere mich an meinen Bestzeiten und versuch, die zu verbessern. Dann kommt das andere von allein.“

Zunächst gilt sein ganzer Fokus aber den Olympische­n Spielen, für die er trotz aller Unsicherhe­iten so gut wie möglich vorbereite­t sein möchte. Deshalb fliegt er – nach einem kurzen Zwischenst­opp am Bodensee – Anfang Mai zu einem Testlauf auf der Olympiastr­ecke in Sapporo. Anschließe­nd ist ein Höhentrain­ingslager in der Schweiz geplant. „Da möchte ich meinen Körper nochcmal an seine Grenzen bringen“, sagt Ringer und hofft auf besseres Wetter als in Siena.

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FOTO: TILO WIEDENSOHL­ER/IMAGO IMAGES Olympia und den deutschen Rekord im Blick: Richard Ringer ist nach seinem Wechsel von der Bahn im Marathon angekommen.

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