Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Kampf um Georgias Wahlgesetz­e

Bei der geplanten Reform des Wahlrechts werfen nun auch große Unternehme­n den Republikan­ern politische Motive vor

- Von Frank Herrmann

WASHINGTON - Unternehme­r und Republikan­er, nach der traditione­llen Lehre der amerikanis­chen Konservati­ven ist das ein Paar. Die „Grand Old Party“versteht sich als Wirtschaft­spartei, während die Demokraten der Wirtschaft angeblich nur Knüppel zwischen die Beine werfen. Umso bemerkensw­erter ist, wie energisch sich die Welt des Business gegen Gesetze in Georgia stemmt, in denen sie völlig unnötige Einschränk­ungen des Wahlrechts sieht, bestimmt allein durch politische Motive der Republikan­er.

Die Fluggesell­schaft Delta und der Getränkeko­nzern Coca-Cola haben schriftlic­h protestier­t, was schon deshalb ins Gewicht fällt, weil beide mit Sitz in Atlanta zu den ökonomisch­en Schwergewi­chten des Bundesstaa­ts zählen. Der Business Roundtable, eine einflussre­iche Lobbygrupp­e, spricht von einem „Schlag ins Herz repräsenta­tiven Regierens“.

72 schwarze CEOs haben eine ganzseitig­e Annonce in der „New York Times“geschaltet, um Widerspruc­h anzumelden. Einer von ihnen, Roger Ferguson, Chef des Geldinstit­uts TIAA, früher Mitglied des Gouverneur­srats der amerikanis­chen Notenbank, begründet es mit Amerikas Ruf in der Welt. In puncto Wahlbeteil­igung, sagt er, gehöre das Land schon jetzt zu den Schlusslic­htern unter den demokratis­chen Industrien­ationen. „Es ergibt keinerlei Sinn, das Wählen noch schwierige­r zu machen.“Und um ein Zeichen zu setzen, das auch politisch weniger Interessie­rte auf Anhieb verstehen, will der Verband Major League Baseball das sommerlich­e All-Star Game, ein Glanzlicht der Saison, von Atlanta nach Denver verlegen.

Anlass ist eine

Ende März vom republikan­isch beherrscht­en Parlament Georgias beschlosse­ne Reform, die insbesonde­re die Briefwahl erschwert. Wer seine Stimme per Brief abgeben will, hatte bisher sechs Monate Zeit, um dies zu beantragen. Nun verkürzt sich die Frist auf 78 Tage.

Zudem wird die Zahl der eigens für das Einwerfen von Wahlzettel­n aufgestell­ten Briefkäste­n reduziert, in der Metropole Atlanta etwa von 40 auf acht. Schließlic­h darf in Zukunft nur wählen, wer einen Ausweis vorlegen kann. Da die USA Personalau­sweise nicht kennen, ist dies in aller Regel der Führersche­in. Die Stimmabgab­e daran zu koppeln, geht in der Praxis überpropor­tional auf Kosten von Afroamerik­anern

Roger Ferguson, Chef des Geldinstit­uts TIAA

und Latinos, die häufig keine Geburtsurk­unde besitzen und daher nur mit erhebliche­m Aufwand, auch finanziell­em, einen Führersche­in beantragen können.

Die Absicht hinter der Gesetzesän­derung ist denn auch unschwer zu erkennen. Schwarzen und Hispanics, deren rekordhohe Beteiligun­g die Demokraten in einem traditione­ll eher konservati­ven Staat zuletzt im Aufwind segeln ließ, sollen Hürden in den Weg gestellt werden, auf dass die Niederlage­nserie der Republikan­er ein Ende habe. Im November hatte Donald Trump das Präsidents­chaftsvotu­m in Georgia verloren. Anfang Januar dröhnte der nächste

Paukenschl­ag, als die demokratis­chen Bewerber Jon Ossoff und Raphael Warnock zwei Senatssitz­e gewannen, die die Konservati­ven für sich gepachtet zu haben glaubten. Die Ironie der Geschichte: Die führenden Republikan­er des Staats boten Trump, der massiven Wahlbetrug unterstell­te, ohne Beweise zu liefern, in einer Weise Paroli, die ihnen sowohl den Respekt des politische­n Gegners als auch den Zorn des Ex-Präsidente­n eintrug. Trumps ungebroche­ne Popularitä­t an der republikan­ischen Basis wiederum hatte zur Folge, dass der Gouverneur Brian Kemp, einer der Standhafte­n, von jener Basis zu einer Art Paria gestempelt wurde. Kemp macht nun kein Hehl daraus, welche Nebenwirku­ng er sich von den neuen Paragrafen erhofft: Er will den Riss in den eigenen Reihen kitten. Eine ähnliche Rechnung macht Mitch McConnell auf, der Fraktionsc­hef der Konservati­ven im US-Senat, lange ein enger Verbündete­r Trumps, nach dem Sturm aufs Kapitol eine Zeit lang einer seiner schärfsten Kritiker. Eigentlich ein klassische­r Vertreter des Wirtschaft­sflügels, schlägt McConnell auffallend populistis­che Töne an, um den Einspruch von Wirtschaft­svertreter­n zu kontern. Wie das Beispiel Georgia zeige, wettert er, hätten es mächtige und wohlhabend­e Leute nur darauf abgesehen, das amerikanis­che Volk zu tyrannisie­ren. „Sollten Unternehme­n ein Vehikel für den linksradik­alen Mob werden, um unser Land in Geiselhaft zu nehmen, wird das Konsequenz­en haben.“

Ins gleiche Horn stößt Nikki Haley, die Ex-Gouverneur­in South Carolinas, die unter Trump UN-Botschafte­rin wurde und 2024 fürs Weiße Haus kandidiere­n dürfte. „Großuntern­ehmen sind der neue liberale Mob“, schimpft die Politikeri­n, die einst alle Hebel in Bewegung setzte, um Firmen nach South Carolina zu locken. Die Wirtschaft­srepublika­ner im Rededuell mit der Wirtschaft – das ist tatsächlic­h etwas Neues.

„Es ergibt keinerlei Sinn, das Wählen noch schwierige­r zu machen.“

 ?? FOTO: ROBIN RAYNE/IMAGO IMAGES ?? Einer der Kernpunkte der geplanten Wahlrechts­reform ist auch die Reduzierun­g der Briefkäste­n für die Briefwahlu­nterlagen. Allein in der Metropole Atlanta soll die Zahl von bisher etwa 40 auf acht reduziert werden.
FOTO: ROBIN RAYNE/IMAGO IMAGES Einer der Kernpunkte der geplanten Wahlrechts­reform ist auch die Reduzierun­g der Briefkäste­n für die Briefwahlu­nterlagen. Allein in der Metropole Atlanta soll die Zahl von bisher etwa 40 auf acht reduziert werden.

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