Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Bereits beschädigt
Der Machtkampf um die Kanzlerkandidatur reißt tiefe Gräben in der Union auf
BERLIN - Selbst die eigene Frist stellte die Bewerber am Ende vor Probleme. Am Ende der Woche, einige Unionsmitglieder hatten dabei optimistisch an Freitag gedacht, wollten der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und Bayerns Regierungschef Markus Söder (CSU) die Kanzlerkandidatenfrage entschieden haben. Bis zum Sonntagabend gelang das nicht. Zunächst hieß es immer wieder, die Einigung werde „ohne Groll“gelingen. Doch davon sind die beiden Rivalen inzwischen meilenweit entfernt. Die Frage ist nur noch, wie ihre Parteien noch größeren Schaden abwenden können. Denn eigentlich sollten sie ja demnächst gemeinsam in den Wahlkampf ziehen.
Der Machtkampf um die K-Frage der Union entwickelte sich am Wochenende zu einer Art Stellungskrieg. Während die Hauptkontrahenten hinter verschlossenen Türen um eine Lösung rangen, streckten einige Anhänger des einen oder anderen Lagers den Kopf vor, um sich zu positionieren. Die frühere CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, die bis zum Januar die Partei führte, blickt derweil mit großem Unverständnis auf das Bild, das CDU und CSU gerade abgeben. „Es macht mich als ganz normales Mitglied der CDU traurig“, sagte die Verteidigungsministerin am Samstag bei den Königsbronner Gesprächen. Sie selbst habe nach dem harten Streit um die Flüchtlingspolitik im Jahr 2018 „sehr viel Energie“in das Zusammenrücken der Union gesteckt.
Der gegenseitige Respekt werde infrage gestellt, „wenn Gremien, die erst vor einigen Wochen mit hoher Mehrheit auf einem Bundesparteitag gewählt worden sind, als ,Hinterzimmer‘ bezeichnet werden“, so KrampKarrenbauer. Söder hatte, nachdem sich am vergangenen Montag sowohl CDU-Präsidium als auch Bundesvorstand pro Laschet ausgesprochen hatten, vom „Hinterzimmer“gesprochen. Kramp-Karrenbauer appellierte an ihren direkten Nachfolger an der CDU-Spitze und seinen Konkurrenten, zu einer Einigung zu kommen. „Ich erwarte Führungsverantwortung von den beiden Vorsitzenden von CDU und CSU. Das kann ihnen niemand abnehmen“, sagte sie.
Auf Laschets Seite erhoben vor allem CDU-Mitglieder aus NordrheinWestfalen das Wort, um seine Eignung als Kanzlerkandidat zu unterstreichen. Josef Laumann, Chef des CDU-Arbeitnehmerflügels CDA und zugleich Sozialminister in seinem Landeskabinett, sagte der „Bild am Sonntag“: „Armin Laschet ist der richtige Kanzlerkandidat der Union, weil er eine Politik der Mitte und des Ausgleichs verkörpert. Auf ihn ist Verlass, er steht zu seinem Wort.“Doch auch in den aktuellen Umfragen zur Kanzlerkandidatur vom Freitag liegt Laschet nach wie vor weit hinter Söder. „Der Wunsch in der Mehrheit von Wählern und CDU ist dabei offensichtlich“, sagte der CDU-Vorsitzende von Thüringen, Christian Hirte.
Und auch dieser Vorschlag kam wieder einmal aus der Mottenkiste – zuletzt war dies während des Seehofer-Merkel-Streits um die Flüchtlingspolitik der Fall gewesen: Der CDU-Europa-Abgeordnete Dennis Radtke aus Bochum drohte mit der Gründung eines CDU-Landesverbandes in Bayern, falls Söder „die Kanzlerkandidatur erzwingen will“. „Wenn er die CDU zerstören will, dann darf die Gründung der CDU in Bayern kein Tabu mehr sein“, sagte Radtke dem ZDF. CDU und CSU hatten vor Jahrzehnten vereinbart, dass sie nicht gegeneinander antreten. Diesen Beschluss hatte die CSU-Landesgruppe unter Parteichef Franz Josef Strauß 1976 bei ihrer Klausur in Kreuth vorübergehend ausgesetzt. Auslöser war ein Streit mit Helmut
Kohl, den Strauß für „total unfähig“hielt. Vier Jahre später scheiterte der CSU-Chef als Kanzlerkandidat, nachdem er sich in einer Kampfabstimmung in der Fraktion gegen Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) durchgesetzt hatte.
Von einer solchen Abstimmung in der Fraktion am Dienstag, die als mögliches Szenario im Raum steht, warnen bereits mehrere Unionsmitglieder. „Was wir jetzt brauchen, ist eine gemeinsame Lösung und keine Kampfabstimmung der Fraktion. Ansonsten drohen Gräben aufgerissen zu werden, die sich nur schwer wieder zuschütten lassen“, sagte Fraktionsvize Carsten Linnemann (CDU). Zuvor hatte bereits Friedrich Merz, der Laschet im Januar knapp bei der Wahl zum Parteivorsitz unterlegen war, von einer Abstimmung in der Fraktion abgeraten. Es sei die „schlechteste aller denkbaren Möglichkeiten“, wenn es dazu komme, sagte Merz. Dass der frühere Fraktionschef selbst in den nächsten Bundestag einzieht, ist wahrscheinlich. Denn am Wochenende wurde Merz in einer Kampfabstimmung gegen den bisherigen Abgeordneten Patrick Sensburg zum Direktkandidaten des Hochsauerlandkreises, einer CDU-Hochburg, gewählt.
Doch welche Alternativen gibt es überhaupt noch, um den Machtkampf um die K-Frage möglichst schmerzfrei zu beenden? Danach, dass der eine oder andere aufgeben wird, sah es am Wochenende nicht aus. Das lange Warten nutzten derweil einige CDU-Landes- und Kreisverbände, um in die Basis „hineinzuhorchen“, wie Söder es am Montag nach der CSU-Präsidiumssitzung gefordert hatte. Auch die Junge Union (JU) will es jetzt genau wissen, welchen Kandidaten ihre Mitglieder bevorzugen. Deshalb schaltete sie sich am Sonntagabend in einer Videokonferenz zusammen. „Wenn sie uns zwingen, sind wir im Zweifel bereit, als gemeinsame Jugendorganisation von CDU und CSU Verantwortung zu übernehmen und uns zu positionieren“, kündigte JU-Chef Tilman Kuban in der „Bild“-Zeitung an. Erwartet wurde ein klares Votum für Söder.
Was bleiben wird von dieser Woche der vermeintlichen Entscheidung, steht bereits fest: Die Gräben in der Union sind tief, sehr tief.