Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Von Null auf 5526
Nellingen muss erstmals wieder Schulden machen – Sparen ist aktuell kaum möglich
NELLINGEN - Im vergangenen Jahr hat Nellingens Bürgermeister Christoph Jung den Haushaltsplan mit „Buch der Schmerzen“betitelt. Glücklicherweise war es im Endeffekt für die Gemeinde nur ein heftiger Kniff, den sie ertragen musste. Denn aufgrund der Steuereinnahmen, die deutlich höher ausfielen als erwartet, kam Nellingen mit einem blauen Auge davon. Für 2021 sieht das nun allerdings ganz anders aus und eine erste Kreditaufnahme von rund dreieinhalb Millionen Euro, für die mehr als zehn Jahre schuldenfreie Gemeinde, rechtfertigt wohl Jungs Titel für den aktuellen Haushalt, den er „Das Buch der Tränen“nennt. So soll beispielsweise die Pro-Kopf-Verschuldung bis 2024 auf 5526 Euro für jeden Nellinger steigen.
Sascha Enßlin, verantwortlich für die Finanzen der Gemeinde Nellingen, ging zu Beginn seines Vortrags am Montagabend in der Sitzung des Nellinger Gemeinderats sogar noch einen Schritt weiter und nannte den Haushalt 2021 „fast schon ein Buch der Qualen“. Die Ausgangssituation zum Vorjahr habe sich vor allem durch die Corona-Krise nochmal verschlechtert. Während sich das Zahlenwerk im Jahr 2020 trotz extrem negativer Prognosen deutlich konsolidiert hatte, ist dies für 2021 nicht zu erwarten. Denn zu sinkenden Einnahmen gesellten sich gleichermaßen hohe Investitions- und steigende Personalkosten.
Zudem machen sich, wie bei vielen anderen Gemeinden, steigende Umlagen aufgrund von hohen VorCorona-Steuermesszahlen extrem bemerkbar. „Alleine im Ergebnishaushalt haben wir eine Minus von rund 768 100 Euro. Wenn wir künftig nicht auf der Ausgabenseite in manchen Dingen kürzen, müssen wir an den Stellschrauben auf der Einnahmeseite drehen, damit wir einen genehmigungssfähigen Haushalt haben“, stellte Enßlin nüchtern fest. Damit verbunden sein könnten in den kommenden Jahren Steuer- und Gebührenerhöhungen für die Nellinger.
Allerdings sei es so, dass die Gemeinde auf die größten Posten im Bereich der Einnahmen, wie beispielsweise die FAG-Zuweisungen oder die Gewerbesteuer, keinen Einfluss habe. Deswegen müssten der Gemeinderat und die Verwaltung sich künftig Gedanken auf der Ausgabenseite machen. Allerdings sei auch hier die Situation schwierig, denn es gebe kaum Möglichkeiten, den Rotstift sinnvoll anzusetzen. „Für eine Gemeinde unserer Größe sind wir adäquat ausgestattet. Deshalb ist es eigentlich erfreulich, dass wir jährlich eine gleichbleibende und mäßige Steigerung bei den Personalkosten haben, was den größten Kostenblock in der Verwaltung (28 Prozent) ausmacht“, so Enßlin weiter.
Bleibt für die Gemeinde also nur noch eine Senkung der Investitionstätigkeit. Dies ist jedoch in großen Teilen ebenfalls nicht möglich, da die Hauptprojekte in diesem und in den kommenden Jahren nicht zur Kür, sondern zur Pflicht gehören. Neben den stetigen Ertüchtigungen der Infrastruktur, kommen dringend benötigte neue Baugebiete, ein damit verbundener neuer Kindergarten und nicht zuletzt der Ausbau von neuen strukturell wichtigen Maßnahmen, wie beispielsweise dem Ausbau des schnellen Internets, hinzu.
Damit stehen in der Gemeinde Nellingen Investitionskosten von rund 7,122 Millionen Euro gerade einmal Einnahmen von rund 1,913 Millionen gegenüber. Der Finanzmittelbedarf von rund 5,2 Millionen kann in Teilen noch aus liquiden Mitteln (rund 2,14 Millionen Euro) beglichen werden. Mit einem Zahlungsmittelbedarf aus dem Verwaltungshaushalt, rund 437 000 Euro, ergeben sich aber rund 3,5 Millionen Euro, die über Kreditaufnahmen gedeckt werden müssen.
„Die Genehmigungsfähigkeit dieses
Haushalts dürfte noch kein Problem sein. Ich habe das mit der Kommunalaufsicht schon besprochen. Aber in den Folgejahren müssen wir das ändern, sonst verrechnen wir unsere negativen Ergebnisse gegen unser Basiskapital und das geht nicht lange gut“, verdeutlichte der Finanzexperte den Räten eindrücklich. Nellingen sei nicht die erste Gemeinde, die einen Kindergarten oder Infrastrukturmaßnahmen mit Krediten baue. Aber die Gemeinde werde sicher deutliche Worte von der Rechtsaufsicht ins Gebetsbuch geschrieben bekommen.
Mit teilweise unaufschiebbaren Folgeprojekten und damit verbundenen Verpflichtungsermächtigungen wir der Schuldenstand der Gemeinde am Ende dieses Jahres 1704 Euro betragen und laut Prognose bis 2024 kontinuierlich anwachsen. Enßlin rechnet damit, dass die Gemeinde bis dato rund 11 Millionen Euro an Krediten aufgenommen haben wird, was einer Pro-Kopf-Verschuldung von 5526 Euro entspräche. Damit sollten die größten Investitions-Brocken umgesetzt sein. Nach 2024 sollte die Gemeinde sich dann vordringlich auf die Schuldenreduktion konzentrieren.
„Unsere Investitionen sind nötig und kein Wunschkonzert. Wir müssen im laufenden Betrieb schauen, wie wir das alles unter einen Hut bekommen“, kommentierte Bürgermeister Christoph Jung Enßlins Vortrag. Es tröste ihn wenig, dass viele andere Gemeinden in der gleichen Situation seien. „Wir haben 2020 gesagt, wir wollen weiter investieren, aber es kann wohl so nicht weitergehen, obwohl wir in großen Teilen nur unsere Pflichten erfüllen. Wir werden uns frühzeitig zusammensetzen müssen und wir werden 2022 um eine Konsolidierung unserer Pläne nicht herumkommen. Wir müssen auch sehen, wo Gebühren noch haltbar sind und wo nicht. Das letzte Mittel sind Steuererhöhung, die wir vermeiden wollen, aber in dieser Situation nicht endgültig ausschließen können“, so Jung. Die Prognose sei geradezu erschreckend. Er rechne aber in diesem und den kommenden Jahren mit wenig Hilfe von Bund und Land. Diese hätten selbst Probleme, ihre Haushalte auf stabile Beine zu stellen.
Viele Ratsmitglieder hörten den Ausführungen des Bürgermeisters und des Finanzverantwortlichen mit besorgter Miene zu. Am besten formulierte wohl Bruno Wanderer die Stimmung im Rat: „Für die älteren Gemeinderatsmitglieder ist das jetzt mal ein anderer Plan. Wir waren viele Jahre bei einer Nullverschuldung. Wir haben aber auch im neuen Haushalt nichts Unnötiges oder Schnörkel drin. Wir müssen im laufenden Betrieb sehen, wo wir gewisse Dinge regeln können. Ich denke aber, wir werden Lösungen finden. Zu unseren Investitionen können wir stehen.“Ziel müsse es sein, ab 2025 den Batzen wieder deutlich zu verkleinern.
Die Ratsmitglieder sowie der ebenfalls anwesende Ortschaftsrat Oppingen stimmten dem Haushalt einstimmig zu.
„Wir werden sicher deutliche Worte von der Rechtsaufsicht ins Gebetsbuch geschrieben bekommen.“
Sascha Enßlin