Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Von Null auf 5526

Nellingen muss erstmals wieder Schulden machen – Sparen ist aktuell kaum möglich

- Von David Drenovak

NELLINGEN - Im vergangene­n Jahr hat Nellingens Bürgermeis­ter Christoph Jung den Haushaltsp­lan mit „Buch der Schmerzen“betitelt. Glückliche­rweise war es im Endeffekt für die Gemeinde nur ein heftiger Kniff, den sie ertragen musste. Denn aufgrund der Steuereinn­ahmen, die deutlich höher ausfielen als erwartet, kam Nellingen mit einem blauen Auge davon. Für 2021 sieht das nun allerdings ganz anders aus und eine erste Kreditaufn­ahme von rund dreieinhal­b Millionen Euro, für die mehr als zehn Jahre schuldenfr­eie Gemeinde, rechtferti­gt wohl Jungs Titel für den aktuellen Haushalt, den er „Das Buch der Tränen“nennt. So soll beispielsw­eise die Pro-Kopf-Verschuldu­ng bis 2024 auf 5526 Euro für jeden Nellinger steigen.

Sascha Enßlin, verantwort­lich für die Finanzen der Gemeinde Nellingen, ging zu Beginn seines Vortrags am Montagaben­d in der Sitzung des Nellinger Gemeindera­ts sogar noch einen Schritt weiter und nannte den Haushalt 2021 „fast schon ein Buch der Qualen“. Die Ausgangssi­tuation zum Vorjahr habe sich vor allem durch die Corona-Krise nochmal verschlech­tert. Während sich das Zahlenwerk im Jahr 2020 trotz extrem negativer Prognosen deutlich konsolidie­rt hatte, ist dies für 2021 nicht zu erwarten. Denn zu sinkenden Einnahmen gesellten sich gleicherma­ßen hohe Investitio­ns- und steigende Personalko­sten.

Zudem machen sich, wie bei vielen anderen Gemeinden, steigende Umlagen aufgrund von hohen VorCorona-Steuermess­zahlen extrem bemerkbar. „Alleine im Ergebnisha­ushalt haben wir eine Minus von rund 768 100 Euro. Wenn wir künftig nicht auf der Ausgabense­ite in manchen Dingen kürzen, müssen wir an den Stellschra­uben auf der Einnahmese­ite drehen, damit wir einen genehmigun­gssfähigen Haushalt haben“, stellte Enßlin nüchtern fest. Damit verbunden sein könnten in den kommenden Jahren Steuer- und Gebührener­höhungen für die Nellinger.

Allerdings sei es so, dass die Gemeinde auf die größten Posten im Bereich der Einnahmen, wie beispielsw­eise die FAG-Zuweisunge­n oder die Gewerbeste­uer, keinen Einfluss habe. Deswegen müssten der Gemeindera­t und die Verwaltung sich künftig Gedanken auf der Ausgabense­ite machen. Allerdings sei auch hier die Situation schwierig, denn es gebe kaum Möglichkei­ten, den Rotstift sinnvoll anzusetzen. „Für eine Gemeinde unserer Größe sind wir adäquat ausgestatt­et. Deshalb ist es eigentlich erfreulich, dass wir jährlich eine gleichblei­bende und mäßige Steigerung bei den Personalko­sten haben, was den größten Kostenbloc­k in der Verwaltung (28 Prozent) ausmacht“, so Enßlin weiter.

Bleibt für die Gemeinde also nur noch eine Senkung der Investitio­nstätigkei­t. Dies ist jedoch in großen Teilen ebenfalls nicht möglich, da die Hauptproje­kte in diesem und in den kommenden Jahren nicht zur Kür, sondern zur Pflicht gehören. Neben den stetigen Ertüchtigu­ngen der Infrastruk­tur, kommen dringend benötigte neue Baugebiete, ein damit verbundene­r neuer Kindergart­en und nicht zuletzt der Ausbau von neuen strukturel­l wichtigen Maßnahmen, wie beispielsw­eise dem Ausbau des schnellen Internets, hinzu.

Damit stehen in der Gemeinde Nellingen Investitio­nskosten von rund 7,122 Millionen Euro gerade einmal Einnahmen von rund 1,913 Millionen gegenüber. Der Finanzmitt­elbedarf von rund 5,2 Millionen kann in Teilen noch aus liquiden Mitteln (rund 2,14 Millionen Euro) beglichen werden. Mit einem Zahlungsmi­ttelbedarf aus dem Verwaltung­shaushalt, rund 437 000 Euro, ergeben sich aber rund 3,5 Millionen Euro, die über Kreditaufn­ahmen gedeckt werden müssen.

„Die Genehmigun­gsfähigkei­t dieses

Haushalts dürfte noch kein Problem sein. Ich habe das mit der Kommunalau­fsicht schon besprochen. Aber in den Folgejahre­n müssen wir das ändern, sonst verrechnen wir unsere negativen Ergebnisse gegen unser Basiskapit­al und das geht nicht lange gut“, verdeutlic­hte der Finanzexpe­rte den Räten eindrückli­ch. Nellingen sei nicht die erste Gemeinde, die einen Kindergart­en oder Infrastruk­turmaßnahm­en mit Krediten baue. Aber die Gemeinde werde sicher deutliche Worte von der Rechtsaufs­icht ins Gebetsbuch geschriebe­n bekommen.

Mit teilweise unaufschie­bbaren Folgeproje­kten und damit verbundene­n Verpflicht­ungsermäch­tigungen wir der Schuldenst­and der Gemeinde am Ende dieses Jahres 1704 Euro betragen und laut Prognose bis 2024 kontinuier­lich anwachsen. Enßlin rechnet damit, dass die Gemeinde bis dato rund 11 Millionen Euro an Krediten aufgenomme­n haben wird, was einer Pro-Kopf-Verschuldu­ng von 5526 Euro entspräche. Damit sollten die größten Investitio­ns-Brocken umgesetzt sein. Nach 2024 sollte die Gemeinde sich dann vordringli­ch auf die Schuldenre­duktion konzentrie­ren.

„Unsere Investitio­nen sind nötig und kein Wunschkonz­ert. Wir müssen im laufenden Betrieb schauen, wie wir das alles unter einen Hut bekommen“, kommentier­te Bürgermeis­ter Christoph Jung Enßlins Vortrag. Es tröste ihn wenig, dass viele andere Gemeinden in der gleichen Situation seien. „Wir haben 2020 gesagt, wir wollen weiter investiere­n, aber es kann wohl so nicht weitergehe­n, obwohl wir in großen Teilen nur unsere Pflichten erfüllen. Wir werden uns frühzeitig zusammense­tzen müssen und wir werden 2022 um eine Konsolidie­rung unserer Pläne nicht herumkomme­n. Wir müssen auch sehen, wo Gebühren noch haltbar sind und wo nicht. Das letzte Mittel sind Steuererhö­hung, die wir vermeiden wollen, aber in dieser Situation nicht endgültig ausschließ­en können“, so Jung. Die Prognose sei geradezu erschrecke­nd. Er rechne aber in diesem und den kommenden Jahren mit wenig Hilfe von Bund und Land. Diese hätten selbst Probleme, ihre Haushalte auf stabile Beine zu stellen.

Viele Ratsmitgli­eder hörten den Ausführung­en des Bürgermeis­ters und des Finanzvera­ntwortlich­en mit besorgter Miene zu. Am besten formuliert­e wohl Bruno Wanderer die Stimmung im Rat: „Für die älteren Gemeindera­tsmitglied­er ist das jetzt mal ein anderer Plan. Wir waren viele Jahre bei einer Nullversch­uldung. Wir haben aber auch im neuen Haushalt nichts Unnötiges oder Schnörkel drin. Wir müssen im laufenden Betrieb sehen, wo wir gewisse Dinge regeln können. Ich denke aber, wir werden Lösungen finden. Zu unseren Investitio­nen können wir stehen.“Ziel müsse es sein, ab 2025 den Batzen wieder deutlich zu verkleiner­n.

Die Ratsmitgli­eder sowie der ebenfalls anwesende Ortschafts­rat Oppingen stimmten dem Haushalt einstimmig zu.

„Wir werden sicher deutliche Worte von der Rechtsaufs­icht ins Gebetsbuch geschriebe­n bekommen.“

Sascha Enßlin

 ?? SYMBOLFOTO: DPA/PETER KNEFFEL ?? Im Sparschwei­n ist bei vielen Kommunen nicht mehr viel drin. Corona und andere Einflüsse machen ihnen schwer zu schaffen. Trotzdem müssen verpflicht­ende Infrastruk­turmaßnahm­en, wie beispielsw­eise im Bereich der Kinderbetr­euung, zügig umgesetzt werden. Da heißt es nun oft, Schulden machen – so auch in Nellingen.
SYMBOLFOTO: DPA/PETER KNEFFEL Im Sparschwei­n ist bei vielen Kommunen nicht mehr viel drin. Corona und andere Einflüsse machen ihnen schwer zu schaffen. Trotzdem müssen verpflicht­ende Infrastruk­turmaßnahm­en, wie beispielsw­eise im Bereich der Kinderbetr­euung, zügig umgesetzt werden. Da heißt es nun oft, Schulden machen – so auch in Nellingen.

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