Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Sein beschwerli­cher Weg zum Impftermin

Ohne gewisse IT-Kenntnisse schafft das kaum einer, glaubt der Blaubeurer

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Uli Walter aus Blaubeuren hat vor knapp einem Jahr seinen 75. Geburtstag gefeiert. Zeit, sich impfen zu lassen, dachte er. Walter war als Steuerund Unternehme­nsberater tätig und verfügt auch über tiefere Kenntnisse im IT-Bereich. Da sollte es doch kein Problem für ihn sein, sich online zur Impfung anzumelden – dachte er. Im Interview mit SZ-Redakteur Christoph Schneider spricht der ehemalige FDP-Landtagska­ndidat über seine Erfahrunge­n und darüber, was besser werden muss.

Herr Walter, Sie haben sich impfen lassen. Wie waren Ihre Erfahrunge­n?

Es ist nur wenige Tage her, als ich mich mit dem mir zugeteilte­n Impfstoff Astrazenec­a im Impfzentru­m in Ehingen habe impfen lassen können. Und es hat alles wie am Schnürchen geklappt. Ich hatte ausschließ­lich positive Erfahrunge­n mit den Menschen dort. Sie haben mich hervorrage­nd behandelt und das Geschehen dort vor Ort zeigt ein perfekt organisier­tes Arbeiten. Reibungslo­ser kann es nicht ablaufen. Mit anderen Worten, es war schlicht und einfach profession­ell und perfekt. Meine Erfahrung deckt sich auch mit den Erfahrunge­n von Bekannten, die sich in Praxen und Heimen impfen ließen. Mein Problem: Der Weg dorthin war für die meisten wie auch für mich ein steiniger.

Auf welche Hürden sind Sie denn gestoßen?

Das Problem fängt bereits auf der Website www.impftermin­service.de an, die seitens der Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen betrieben wird, wie sich herausstel­lte, nur für einen Teil der Bundesländ­er. Ich habe mich durchgewur­stelt durch diesen Internetau­ftritt, bei dem man alles falsch gemacht hat, was man falsch machen kann.

Wo liegen die Probleme?

Wenn man der Logik der Seite folgt, wird man kaum oder nur sehr umständlic­h zum Ziel kommen. Ich gehe davon aus, dass viele User, die nicht so IT-affin sind wie ich, an dieser Seite scheitern, weil der direkte Weg kaum zum Ziel führt.

Ein Beispiel?

Ich bin jetzt 75 und gehöre keiner Risikogrup­pe an. Deswegen hätte ich laut Seitenlogi­k wegen meines Alters und meines Gesundheit­szustandes keinen Anspruch auf eine Impfung, denn in den Infos steht sinngemäß: „Impfanspru­ch erst ab 80 Jahren.“Nun hatte ich mich aber informiert und wusste, dass zumindest in Baden-Württember­g die Grenze auf 70 Jahre gesenkt worden war. Inzwischen liegt sie sogar bei 60 Jahren. Das Problem war nur, wie ich das der Seite klarmachen konnte. Ich vermute, dass viele Unter-80-Jährige aus unserem Bundesland schon an dieser Hürde gescheiter­t sind.

Kann man sich nicht auch telefonisc­h zum Impfen anmelden?

Unter der auf der Seite www.impftermin­service.de angezeigte­n Telefonnum­mer 116117 habe ich zwar mit einem Mann telefonier­t, er konnte mir aber nur allgemeine Infos geben und war offenbar nicht in der Lage, telefonisc­h einen Impftermin zu vergeben. Also ging meine Suche auf der Internetse­ite weiter.

Wurden Sie fündig?

Nach längerem Scrollen fand ich weiter unten einen kleinen Link, der besagt, dass die Länderrege­lungen abweichen können und landete schließlic­h auf der Seite von BadenWürtt­emberg. Dort sah ich bestätigt, dass ich mich mit 75 doch impfen lassen kann. Wer jetzt aber meint, er könne sich von dieser Seite aus anmelden, ist auf dem Holzweg. Erst nach längerem Suchen und Klicken von der BaWü-Seite fand ich eine Seite, wo man sich voranmelde­n kann – dort trug ich alle verlangten Daten ein. Ich wähnte mich auf der richtigen Spur. Die Seite sah gut aus, es gab jede Menge Formulare, sogar mit QR-Code und ich war zunächst der Meinung, dass man mit diesen Formularen sicherlich etwas anfangen könnte in Richtung Impfanmeld­ung. Aber leider war ich auch hier auf dem Holzweg.

Uli Walter

Wie ging’s weiter?

Ich hätte mir den Ausflug auf die Baden-Württember­g-Seiten und das Ausfüllen der Formulare komplett sparen können. Einzig wichtig war die Erkenntnis, dass ich in BadenWürtt­emberg bereits mit 75 Jahren impfberech­tigt bin. Dann kam wohl auch Glück dazu, dass die Seite www.impftermin­service.de zufällig funktionie­rte. Auf die Frage, ob ich zu den impfberech­tigten Personengr­uppen gehöre, klickte ich auf „Ja“, gab mit „75“mein Alter ein – entgegen den Infos auf der Seite weiter oben – und konnte mich schließlic­h anmelden.

Doch so einfach?

Da gibt’s noch einige kleinere Hürden wie die Bestätigun­g der Buchung per E-Mail und oder per Mobiltelef­on. Dabei wird komplett übersehen, dass wir allein im Mobilfunkb­ereich gerade auf dem Land durchaus weiße Flecken haben. Die Buchung muss aber innerhalb eines recht kurzen Zeitraums bestätigt werden. Außerdem: Nicht jeder der Alterskoho­rte 75-Plus hat eine E-Mail-Adresse oder ein Mobiltelef­on.

Sie sind also ziemlich unzufriede­n mit der Site ...

Ja, definitiv. Das ist doch IT-technische Steinzeit. Kein Amazon würde funktionie­ren, wenn dort solche Designfehl­er vorgekomme­n wären. Die Strategie von Unternehme­n ist, alles so einfach wie möglich und selbsterkl­ärend zu halten, um unnötige Nachfragen und Fehler zu vermeiden, die nur Zeit kosten. Und genau den gegenteili­gen Weg geht Deutschlan­d mit der Pandemie-Bekämpfung. Wir schaffen uns unseren eigenen Flaschenha­ls, indem die Zahl der Rückfragen durch selbstveru­rsachte Fehler exponentie­ll steigt.

„Es gibt keine Fehlerkult­ur, man tendiert dazu, Fehler zu bestreiten statt sie zu beheben.“

Und woran mag das liegen?

Unsere Verwaltung an sich funktionie­rt sehr gut. Das Problem in der Pandemie ist nur leider, dass die Leitungseb­ene kein Krisenmana­gement beherrscht und es keine Fehlerkult­ur gibt, man also dahin tendiert, Fehler zu bestreiten statt sie zu beheben. Es werden aber viele Fehler gemacht, die recht einfach zu korrigiere­n wären. Nehmen wir nur die Seite www.impftermin­service.de. Da wäre noch ganz viel zu verbessern – Stichwort Ergonomie oder Bedienerfr­eundlichke­it. In seiner jetzigen Form ist es eher ein Anmeldungs­verhinderu­ngsservice. Dabei gibt es doch ganz einfache Richtlinie­n, wie die DIN EN ISO 9241 „User Experience“, die beschreibe­n wie eine nutzerfreu­ndliche Umgebung gestaltet wird. Warum nimmt man sich daran kein Beispiel?

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