Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Leistungsl­imit ist noch nicht erreicht“

Der Pandemiebe­auftragte Andreas Rost erklärt die aktuelle Impf- und Testsituat­ion

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LAICHINGEN - „Impfen, impfen, impfen“, so lautet das Gebot der Stunde in der Bekämpfung der Corona-Pandemie. Doch bei vielen Menschen herrscht Impffrust, weil Termine oft nur sehr schwer zu bekommen sind. Wie sich die Lage beim Impfen entwickeln könnte, wenn die Priorisier­ung fällt, erklärt der Pandemiebe­auftragte des Alb-DonauKreis­es, Andreas Rost, im Gespräch mit SZ-Redakteur Tobias Götz.

Herr Rost, sind die Impfzentre­n überhaupt auf den möglichen Wegfall der Priorisier­ung vorbereite­t?

Die Impfzentre­n und die Arztpraxen können sich jederzeit auf neue Situatione­n einstellen. Bisher haben beide Bereiche ihr Leistungsl­imit bei Weitem noch nie erreicht. Die aktuelle Landesstra­tegie, die Priorität drei in mehreren Etappen freizugebe­n, ist zwar in Anbetracht des individuel­l unterschie­dlichen Risikoprof­ils richtig angewendet, jedoch führt es bei der Bevölkerun­g zu sehr viel Verwirrung und in der Folge dazu, dass noch nicht wirklich Berechtigt­e schlussend­lich doch nicht geimpft werden können. Das verstärkt verständli­cherweise die Unzufriede­nheit in der Bevölkerun­g. Anderersei­ts gibt es noch einige aus der Prio eins und zwei, die sich noch keinen Termin organisier­en konnten. Diese würden bei einer großzügige­n Öffnung erneut nicht erfolgreic­h sein. Bereits jetzt wird jede gelieferte Ampulle zeitnah zur Impfung verplant.

Befürchten Sie einen entspreche­nden Ansturm auf die Arztpraxen?

Ja, eine Öffnung ohne Grenzen würde alle Strukturen hart treffen. Ein solcher Schritt würde nur Sinn machen, wenn ein 130-prozentige­s Impfstoffa­ngebot verlässlic­h und für mehrere Wochen im Voraus bestünde, das alle Bereiche gleichzeit­ig mit Terminen auch bedienen können. Ohne Planungspe­rspektive müsste man nach dem Windhundpr­inzip arbeiten, dann haben die Kranken und Schwachen keine Chance mehr. Trotzdem würden über 90 Prozent der Terminanfr­agen nicht bedient werden können.

Wann wäre aus Ihrer Sicht der Wegfall der Priorisier­ung sinnvoll?

Für Menschen mit Vorerkrank­ungen ist es zweckmäßig und naheliegen­d, sich bei ihrem Arzt des Vertrauens, der seine Risiken kennt, impfen zu lassen. Bürger ohne Vorerkrank­ungen sind der ideale Kunde für Impfzentre­n und betrieblic­he Impfangebo­te. Die Priorisier­ung wird zum Schutz der Menschen mit höherem Risiko so lange benötigt, bis in kurzer Zeit eine große Impfstoffm­enge in allen Bereichen diesen Bedarf decken kann. Das Land hofft im Laufe des Monats Mai auf eine Million Impfdosen pro Woche und hat dafür einen Verteilers­chlüssel erarbeitet. Gleichzeit­ig warten in der Priorität drei, die noch nicht vollständi­g freigegebe­n ist, noch mehrere Millionen Bürger in Baden-Württember­g auf eine Chance, sich impfen zu lassen. Diese jetzt, am Ende der Startphase, wieder hinten anzustelle­n, würde diese Menschen gezielt gefährden und mit Recht verärgern. Auch wenn man das nicht mehr hören kann, eine Öffnung macht erst Sinn, wenn wir ein Überangebo­t an Impfstoff sicher planen können. Dazu bräuchten wir weit mehr als 1,5 Millionen Impfdosen pro Woche mit einer Planungssi­cherheit von vier Wochen im Voraus. Das ist leider noch lange nicht in Sicht. Trotzdem sollte man die Steigerung der wöchentlic­hen Impfleistu­ng seit Ostern (grob eine Verdopplun­g) auch mit Dankbarkei­t sehen. Diese ist problemlos gelungen und es ist noch viel Luft nach oben. Deshalb bin ich sehr zuversicht­lich, dass auch die angekündig­ten Steigerung­en umsetzbar sein werden.

Wie schaut es derzeit in Ihrer Praxis mit den Impfwillig­en aus?

Für alle impfenden Stellen gilt die gleiche Priorisier­ung. Die Bereitscha­ft der Bevölkerun­g, das Impfangebo­t anzunehmen, ist in allen Altersgrup­pen sehr hoch. Ebenso wie die Impfzentre­n, könnten auch die niedergela­ssenen Ärzte jede Woche doppelt so viele Impfungen durchführe­n, wenn es dafür Impfstoff gäbe. Die Haus- und Fachärzte bemühen sich derzeit gezielt um alle Patienten mit priorisier­ten, medizinisc­hen Indikation­en und schließen die Lücken bei den hohen Altersgrup­pen sowie wenig mobilen

Patienten. Für die Altersgrup­pe der über 60-Jährigen wäre auch mehr Astra-Impfstoff verfügbar, der nach der Stiko-Empfehlung dort meist gleichwert­ig einsetzbar ist. Wer wegen seines Alters bereits impfberech­tigt ist, gleichzeit­ig aber jammert, dass er kein Impfangebo­t bekommt, sollte vertrauens­voll mit seinem Arzt über diese Möglichkei­t sprechen.

Wie erklären Sie sich die derzeit enorm hohen Infektions­zahlen im Alb-Donau-Kreis?

Die hohen Zahlen erklären sich sehr einfach: Wer testet, der findet! Falschpark­er registrier­en wir auch nur, wenn das Ordnungsam­t die Parkfläche­n überwacht. Da viele Infizierte keine Symptome aufweisen, haben wir bis Februar nur Menschen mit Symptomen und bestenfall­s deren Umfeld getestet. Die Zahlen waren also immer unrealisti­sch nieder, weil 80 Prozent nicht sichtbar sind. Durch die zunehmend flächendec­kenden Testangebo­te in unserem berufliche­n Alltag in Kitas, Schulen, Betrieben, in den Testzentre­n, Apotheken und durch die Selbsttest­s zu Hause sehen wir viele dieser Infizierte­n jetzt früher und viele auch völlig unerwartet. Klarstelle­n muss man, dass erst das zwingend erforderli­che positive PCR-Ergebnis und die Mutationsd­ifferenzie­rung durch den Arzt in die offizielle InzidenzSt­atistik aufgenomme­n wird. Dennoch hilft die jetzige Teststrate­gie allen Bürgern, aufmerksam im Alltag mit den AHAL-Regeln umzugehen, denn die Ansteckung­sgefahr lauert derzeit überall. Es fordert von jedem Einzelnen viel Selbstdisz­iplin, gerade im Alltag sich selbst und die anderen zu schützen. Wer sich im Alltag schützt, schützt gleichzeit­ig seine Familie zu Hause. In Betrieben und Einrichtun­gen, in denen es bisher selten zu positiven Einzelfäll­en gekommen ist, kann man das erfolgreic­he Bemühen und ein aktiv gelebtes Hygienekon­zept annehmen. Diese Einrichtun­gen dürfen darauf auch stolz sein. Dort, wo immer noch Masken selten und nicht konsequent getragen werden oder keine Händehygie­ne betrieben wird, sehen wir mehrfach wöchentlic­h kleinere Ausbrüche. Deshalb sind Betriebe, die keinen großen Produktion­sausfall riskieren können, auch schon lange sehr engagiert und erfolgreic­h unterwegs. Ich persönlich bin froh, dass wir noch unter 300 (7-Tage-Inzidenz) geblieben sind und die flächendec­kende Testung nach zwei Monaten endlich eingeführt ist. Wir werden dieses Konzept noch eine Zeit lang brauchen, bis die Impfquote die meisten Alltagsber­eiche abdecken kann.

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FOTO: HONIGSCHNA­BEL/DPA Die Impf-Bereitscha­ft ist hoch.
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FOTO: ARCHIV/STIFTUNG Andreas Rost

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