Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Vor den Krematorien stapeln sich die Leichen
Indien kämpft verzweifelt mit der zweiten Welle der Corona-Pandemie und kann sie nicht brechen
Sauerstoff suchen. Nach Sauerstoff suchten zuletzt auch ausländische Botschaften auf den sozialen Netzwerken.
Regelmäßig melden auch Krankenhäuser, dass sie nur noch für wenige Stunden medizinischen Sauerstoff vorrätig haben. Viele sind am Limit, können keine neuen Kranken mehr aufnehmen – und so sterben Leute auf Parkplätzen vor den Krankenhäusern. Dieser Zustand dauert nun schon seit zwei Wochen. Und Experten sagen, dass der Peak der zweiten verheerenden Pandemiewelle in Indien noch nicht erreicht ist.
Nicht wenige sind wütend auf Premierminister Narendra Modi und dessen Regierung, die Anfang 2021 mehr oder weniger den Sieg über die Pandemie erklärt hatte. Zu Jahresbeginn gab es teils um 10 000 erfasste
Fälle am Tag – mehr als 30-mal weniger als diese Tage – und die Regierung erlaubte große religiöse Feste und Wahlkampfveranstaltungen ohne Masken und Abstand. Auch Modi selbst trat noch vor einigen Wochen ohne Maske vor einem großen Publikum auf. Zuletzt wurde auf Twitter vielfach Modis Rücktritt gefordert. Er hält sich aktuell auffallend im Hintergrund.
Hilfe von außen kommt. Mehr als 40 Länder sollen Indien in der Sauerstoffkrise Unterstützung zugesagt haben, heißt es von Behördenseite. Deutschland hat bislang 120 Beatmungsgeräte geschickt, die Krankenhäusern in Delhi helfen sollen. Auch 13 deutsche Sanitätssoldatinnen und Sanitätssoldaten sind in der Hauptstadt, um eine Sauerstoffgewinnungsanlage aufzubauen. Zudem weisen sie Personal des örtlichen Roten Kreuzes ein. Die USA wollen Hilfsgüter im Wert von mehr als 100 Millionen Dollar schicken. Auch Indien selbst will nach Angaben der Regierung daran arbeiten, Sauerstoff von den Herstellungsorten schneller zu den Orten zu bringen, wo er gebraucht wird. Aber die Not ist groß.
In Teilen des Landes, darunter auch in der Hauptstadt Neu Delhi, gibt es Lockdowns. Aber die Regierung Modis will zunächst auf einen landesweiten Lockdown verzichten – auch wenn die Rufe danach größer werden. Aber Modi dürfte auch deshalb zögern, weil im vergangenen Jahr ein harter landesweiter Lockdown Millionen von Wanderarbeitern in Bewegung versetzt hatte. Zudem brach die Wirtschaft stark ein.
Impfstoffe könnten helfen – und seit dem vergangenen Wochenende dürften sich eigentlich alle Erwachsenen in Indien impfen lassen. Aber in dem Land, das als „Apotheke der Welt“bekannt ist, gibt es angesichts seiner großen Bevölkerung von mehr als 1,3 Milliarden Menschen zu wenige Dosen. Während reiche Länder früh Impfstoffdosen gekauft haben, hat dies die indische Regierung viel später getan – und auch erst, nachdem es Impfstoffe zugelassen hat. Lange hatte die Regierung auch mehr als 60 Millionen Dosen ins Ausland exportiert. Bislang haben in Indien rund zehn Prozent der Menschen mindestens eine Impfdose erhalten. Knapp zwei Prozent sind vollständig geimpft.