Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Freiheiten, von Herzen gegönnt

- Von Claudia Kling c.kling@schwaebisc­he.de

Zugegeben, es fühlt sich ein wenig unfair an, dass diejenigen, die bereits geimpft sind, einfach wieder ausgehen können, wann es ihnen beliebt, zum Friseur dürfen ohne Testtermin und gar in größeren Gruppen feiern können. Doch gegen unterschwe­llige Neidgefühl­e hilft ein Blick in die Impfstatis­tik des RobertKoch-Instituts. Die meisten vollständi­g Geimpften sind älter als 60 Jahre. Viele von ihnen mussten im vergangene­n Jahr befürchten, an Corona zu sterben, falls sie infiziert würden, und lebten dementspre­chend zurückgezo­gen. Kinder und Enkel zu sehen, bedeutete jedes Mal ein Risiko, von Kaffeekrän­zchen unter Freunden ganz zu schweigen. Viele sehr alte Menschen haben abgebaut in dieser Zeit, weil ihnen der Austausch gefehlt hat und die Einsamkeit erdrückend war. Ihnen sei es von Herzen gegönnt, sich wieder angstfrei mit Familie und Freunden treffen zu können.

Aber es gibt noch mehr gute Gründe, weshalb Geimpfte und Genesene wieder mehr Freiheiten haben sollen. Es ist juristisch schlicht nicht zu rechtferti­gen, dass Menschen, von denen, so weit man weiß, kein Infektions­risiko mehr ausgeht, länger in ihren Grundrecht­en eingeschrä­nkt werden. Schließlic­h geht es dabei nicht nur um die Frage, ob es zumutbar ist, weiterhin Maske zu tragen. Es ist das ganz normale Leben, das Geimpfte und Genesene Stück für Stück zurückbeko­mmen müssen – mit allem, was dazugehört: Familienfe­iern, Shoppingto­uren, Biergärten­und Kinobesuch­e, Hotelübern­achtungen und Reisen. Wirtschaft­lich sinnvoll ist es im Übrigen allemal, wenn die Euros, die seit mehr als einem Jahr bevorzugt in den OnlineHand­el geflossen sind, in die Städte zurückkehr­en.

Das schöne Bild wird allerdings getrübt von der Aussicht auf die schwierige Umsetzung des Nebeneinan­ders von Menschen mit Freiheiten und jenen mit Einschränk­ungen. Das erfordert auf beiden Seiten Toleranz und guten Willen. Ganz praktisch braucht es aber auch rasch den digitalen Impfpass. Denn dass die Friseurin im Salon oder der Polizist bei der nächtliche­n Kontrolle überprüft, ob der Kleber im gelben Impfauswei­s auch wirklich echt ist, scheint wenig praktikabe­l.

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