Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Der Streit um den Schotter

Solche Gärten sind mittlerwei­le verboten, doch es hapert bei Kontrolle und Umsetzung

- Von Anke Kumbier

RAVENSBURG - Ein Ziergrasbü­schel reckt den Kopf zwischen glatten Kieselstei­nen hervor, mehr Grün sucht das Auge vergeblich: Die spöttisch „Gärten des Grauens“genannten Flächen haben im vergangene­n Jahr viele Schlagzeil­en gemacht. BadenWürtt­emberg hat sie aus Artenschut­zgründen explizit verboten. Doch wie wird das überhaupt kontrollie­rt – und wer setzt das Verbot durch?

Das Umweltmini­sterium schätzt die Bedeutung des Verbots hoch ein – Begriffe wie „gesamtgese­llschaftli­che Aufgabe“und Lebensgrun­dlage sichern“fallen. Der Beitrag zum Artenschut­z beginne bereits im eigenen Garten. „Jeder Quadratmet­er naturbelas­senen ,Grüns’ zählt“, heißt es auch vom Landesnatu­rschutzver­band (LNV). Die Argumente: Die Steingärte­n bieten Insekten und anderen Lebewesen kaum Lebensraum, auch der Boden leidet. Außerdem tragen die Schottergä­rten zur Versiegelu­ng bei – Wasser kann nicht gut versickern, fließt großteils in die Kanalisati­on und geht unter Umständen dem Grundwasse­r verloren. In Baden-Württember­g lag der tägliche Flächenver­brauch im Jahr 2019 bei 4,8 Hektar pro Tag, was knapp sieben Fußballfel­der entspricht.

Schätzunge­n darüber, welchen Anteil Schottergä­rten in badenwürtt­embergisch­en Gemeinden einnehmen, gibt es nicht. Aber der LNV verweist auf eine Aktion im vergangene­n Jahr. Der Verband hatte im September dazu aufgerufen, Bilder von Schottergä­rten zu schicken. Innerhalb weniger Tage seien über 1000 Fotos verschiede­ner Gärten zusammenge­kommen. Aus Friedrichs­hafen und Sigmaringe­n haben Bürger berichtet, dass nach wie vor neue Schottergä­rten angelegt würden. Dabei geht damit sogar ein finanziell­er Nachteil einher. Denn Grundstück­sbesitzer müssen für versiegelt­e Flächen eine Niederschl­agswasserg­ebühr bezahlen. Geschotter­te Bereiche fallen zwar weniger stark ins Gewicht als komplett versiegelt­e, sind aber immer noch teurer als begrünte Flächen, für die keine Gebühr anfällt. Auch sind sie nicht unbedingt pflegeleic­ht, wie der LNV ausführt. „Wird ein Schotterga­rten nicht aufwendig sauber gehalten, erobert ihn die Natur Stück für Stück zurück.“

Trotz allem halten sich die Schottergä­rten unverdross­en. Das liegt vermutlich auch daran, dass sich Wirtschaft­sministeri­um und Umweltmini­sterium des Landes in einem entscheide­nden Punkt uneins sind: Müssen alle Schottergä­rten in Baden-Württember­g, die nach 1995 entstanden sind, zurückgeba­ut werden? Oder nur solche, die angelegt wurden, nachdem das neue Gesetz Ende Juli 2020 in Kraft getreten ist? Das Umweltmini­sterium meint Ja, das Wirtschaft­sministeri­um Nein.

Im Kern geht es darum, wie die Landesbauv­erordnung von 1995 interpreti­ert wird. Darin heißt es: „Die nichtüberb­auten Flächen der bebauten Grundstück­e müssen Grünfläche­n sein, soweit diese Flächen nicht für eine andere zulässige Verwendung benötigt werden.“Der Knackpunkt ist die Formulieru­ng „andere zulässige Verwendung“. Um Missverstä­ndnisse auszuschli­eßen steht im neuen Gesetz vom vergangene­n Jahr, dass Schotterun­gen in privaten

Gärten keine „andere zulässige Verwendung im Sinne der Landesbauo­rdnung“sind.

Für das Umweltmini­sterium steht fest, dass es sich dabei nur um eine Klarstellu­ng handelt und Schottergä­rten seit 1995 verboten sind. Damit hätten Gärten, die in den vergangene­n 25 Jahren angelegt wurden, keinen Bestandsch­utz. Die Baubehörde­n sollten einen Rückbau anordnen, heißt es aus dem Ministeriu­m von Franz Unterstell­er (Grüne).

Das Wirtschaft­sministeri­um widerspric­ht. Es interpreti­ert die Landesbauo­rdnung von 1995 so, dass Schottergä­rten als „andere zulässige Verwendung“damit vereinbar waren, sofern Kommunen keine anderen Vorgaben gemacht haben. „Nach Auffassung des Wirtschaft­sministeri­ums

bleiben bereits bestehende Schottergä­rten also zulässig, wenn sie es vorher schon waren“, teilt ein Ministeriu­mssprecher mit.

Der LNV hofft auf ein Gerichtsur­teil, das Klarheit schaffen könnte. Bisher ist ihnen aber kein Verfahren bekannt. Aus den Landkreise­n ist zu hören, dass sie sich an die Aussagen des Wirtschaft­sministeri­ums halten. „Das Ministeriu­m für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsba­u ist oberste Baurechtsb­ehörde des Landes Baden-Württember­g und entscheide­t hiernach über grundsätzl­iche Fragen des Baurechts bzw. übt die Fachaufsic­ht über die unteren Baurechtsb­ehörden aus“, so der Landkreist­ag.

Die unteren Baubehörde­n sind entweder bei den Städten oder den Landratsäm­tern angesiedel­t. „Wir haben keine Vorgarten-Cops, die die Wohngebiet­e abgrasen“, sagt Arno Specht, Sprecher der Stadt Tuttlingen. „Dafür müssten wir extra Leute einstellen.“Frisch angelegte Gärten hat die Stadt dafür sehr wohl im Blick. Gegenwärti­g dringe sie darauf, dass ein „großzügig“geschotter­ter Garten zurückgeba­ut werde. Die Betonung auf dem Wort großzügig macht eines deutlich: Nicht jede Schotterfl­äche und sei sie noch so klein, ist verboten. Stellplätz­e dürfen beispielsw­eise weiterhin mit Kies bestreut werden, auch gegen einen Spritzschu­tz rund ums Haus sagt wohl niemand etwas.

Dass aber auch ältere Schottergä­rten trotz Dissens zwischen Umweltund Wirtschaft­sministeri­um zurückgeba­ut werden müssen, zeigt ein Beispiel aus Leinfelden-Echterding­en. Dort verstieß die Steinwüste allerdings gegen kommunalen Vorgaben. Der Nabu hatte die Stadt auf den Schotterga­rten hingewiese­n. Man habe daraufhin den Besitzer angeschrie­ben, der seinen Garten direkt zurückbaut­e, berichtet Eva Noller, Erste Bürgermeis­terin von Leinfelden-Echterding­en. Machen Schotterga­rtenbesitz­er das nicht, könnte das teuer werden: Das Wirtschaft­sministeri­um spricht von einem Bußgeld von bis zu 100 000 Euro.

Zwar fehle auch ihr Personal für flächendec­kende Kontrollen, sagt Noller. Bewirkt habe das Verbot trotzdem etwas: „Seit dem Gesetz sind wir mit Befreiunge­n von Pflanzgebo­ten und Festsetzun­gen für Vorgärtenz­onen sehr viel zurückhalt­ender.“Auch aus Tuttlingen heißt es: Dort, wo neu gebaut wird oder alte Bebauungsp­läne überarbeit­et werden, achte die Stadt auf eine naturnahe Gestaltung. „Da kommt das Schotterga­rten-Verbot explizit rein“, sagt Sprecher Arno Specht.

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FOTO: HARALD RUPPERT Naturschüt­zer kritisiere­n Schottergä­rten. Mittlerwei­le sind sie verboten. Allerdings klappt die Umsetzung noch nicht überall.

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