Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Die SPD muss auf den Endspurt hoffen

Die Kür von Spitzenkan­didat Olaf Scholz hat den Sozialdemo­kraten nicht aus dem Umfragetie­f geholfen – Worauf die Partei setzt

- Von André Bochow

BERLIN - Vier Monate vor der Bundestags­wahl will die SPD eine Aufholjagd starten. „Das Schattenbo­xen ist vorbei“, sagte SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil in Berlin. Am Sonntag wollen die Sozialdemo­kraten auf einem Parteitag mit 600 digital zugeschalt­eten Delegierte­n ihr Wahlprogra­mm verabschie­den und Olaf Scholz als Kanzlerkan­didaten bestätigen.

Vor vier Jahren herrschte Euphorie im Willy-Brandt-Haus. In der „Kampa“, der SPD-Wahlkampfz­entrale, arbeiteten junge Genossinne­n und Genossen mit glühenden Gesichtern. Der hieß Martin Schulz, die SPD wirkte frisch, kämpferisc­h und lag kurzzeitig über 30 Prozent. Keiner wusste warum, aber der „SchulzZug“rollte. Und entgleiste kurze Zeit später. Schulz stürzte in der Wählerguns­t ab und führte die SPD zu historisch schlechten 20,5 Prozent.

Nun wird der aktuelle SPD-Spitzenkan­didat im ZDF gefragt, was denn mit dem „Scholz-Zug“sei. Ach, das seien ja „immer so Begriffe“, entgegnet der Bundesfina­nzminister und Vizekanzle­r. Aber: „Ich will Kanzler werden.“Wenn dieses Ziel mit einem Maximum an Auftritten zu schaffen wäre, hätte Scholz gute Karten. Er scheint überall zu sein, und stets hat er dieselbe Botschaft: Die Union komme kaum mehr über 30 Prozent, während die SPD im „oberen Bereich von 20 Prozent“landen werde. Dabei ist nichts stabiler als das Umfragetie­f der SPD. Die Werte liegen im Durchschni­tt bei 15 Prozent. Zuletzt kratzte die SPD im Januar 2018 an der 20-Prozent-Grenze. Die anhaltende­n Chaostage der Union hätte man als Vorlage für den eigenen Wahlkampfs­tart nutzen müssen, das habe die Parteiführ­ung verpasst, kritisiert der SPD-Vorsitzend­e von Rheinland-Pfalz, Roger Lewentz. In der „Süddeutsch­en Zeitung“nahm er sich vor allem d SPDGeneral­sekretär Lars Klingbeil vor. „In so einer Lage ist es wie im Fußball“, sagte Lewentz, „Wenn du 0:2 hinten liegst, kannst du doch nicht auf Ergebnis halten spielen.“Im Willy-Brandt-Haus

versteht man zwar den Unmut, hält aber am Plan fest. Schließlic­h habe man den Menschen in der Pandemieze­it keinen Dauerwahlk­ampf zumuten können. Lewentz wiederum sieht immerhin einen „Scholz-Effekt“in Bezug auf die eigene Partei. Dass ein solcher bei den Wählern nicht zu verzeichne­n ist, steht auf einem anderen Blatt.

Mittlerwei­le machen aus dieser Not aber viele Genossen eine Tugend. Mit einem anfänglich­en Hype um den Spitzenkan­didaten habe man schließlic­h schlechte Erfahrunge­n gemacht – siehe Schulz-Zug. Die Heimat von Olaf Scholz dagegen ist eine sozialdemo­kratische Mutquelle. Die SPD machte dort aus einer ähnlich katastroph­alen Startposit­ion 2020 einen grandiosen Sieg. Und in Rheinland-Pfalz gewann Malu Dreyer auch erst auf den letzten Metern. „Wir können Schlussspu­rt“, sagt SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil.

„Zukunft, Respekt, Europa“– darum rankt sich das SPD-Wahlprogra­mm. Kampf gegen die Erwärmung des Planeten, moderne Mobilität, Digitalisi­erung, ein besseres Gesundheit­swesen und bezahlbare Mieten gehören dazu. Aus Hartz IV soll ein „Bürgergeld“werden. Einkommens­teuerund Vermögenst­euerreform stehen ebenfalls im Programm. Seit dem Verfassung­surteil über das Klimageset­z verschärfe­n die Sozialdemo­kraten den Ton im Verhältnis mit der Union erheblich. Carsten Schneider, der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Bundestags­fraktion, spricht von der „Stromlüge“des Wirtschaft­sministers Peter Altmaier. Der würde den Energiebed­arf dramatisch nach unten rechnen. Und „egal, worum es bei erneuerbar­en Energien in der Vergangenh­eit ging“, das Wirtschaft­sministeri­um habe „immer gebremst“.

Generalsek­retär Klingbeil will allerdings keinen „Haudrauf-Wahlkampf“. Es komme darauf an, zu erklären, wie man das Land gestalten wolle. Aber auch Klingbeil weiß, dass es hinsichtli­ch der Wählerstim­men um einen „Aufholproz­ess“geht. Und Carsten Schneider sagt: „Das wird eine harte Nummer für uns.“

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FOTO: THOMAS IMO, IMAGO IMAGES Hofft auf die Gunst der letzten Stunden vor der Wahl: Olaf Scholz, Bundesmini­ster der Finanzen und SPD-Kanzlerkan­didat.

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