Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Italien vor dem Untergang
Zwei Wissenschaftler entwerfen ein erschreckendes Bild ihres Heimatlandes nach dem Ende der Klimakrise
ROM - Die Italienreise beginnt in Triest. Im Nordosten des Landes. Die einstmals wegen ihrer Kaffeehäuser und alten Buchhandlungen berühmte Hafenstadt liegt heute auf einem Hügel. Die Altstadt ist im Adriawasser versunken. In den neuen Bars von Triest wird Prosecco getrunken, der in den Dolomiten beim ehemaligen Wintersportort Cortina d’Ampezzo angebaut wird.
Weiter geht es nach Venedig. Dort, wo einst Paläste und Kirchen auf Millionen von Baumstämmen in der Lagune errichtet wurden und jedes Jahr Millionen von Touristen anzogen, herrscht heute absolute Stille. Nur noch mit kostspieligen Unterwassertouren, in U-Booten mit großen Glasfenstern, lassen sich die eindrucksvollen Überreste des Markusdoms und des Dogenpalastes und anderer berühmter Monumente besichtigen. Sinnigerweise heißen diese Unterwassertouren „Besuch in einer Welt, die es nicht mehr gibt“.
Diese erschreckende Italienreise, angesiedelt im Jahr 2786, also genau tausend Jahre nach der berühmten Reise von Johann Wolfgang Goethe, ist abgrundtief nostalgisch. Die Idee zu dieser Italientour hatten der Biologe Telmo Pievani und der Geograf Mauro Varotto. Beide unterrichten an der Universität Padua.
Ihr gemeinsam verfasstes Buch, bisher leider nur in italienischer Sprache, mit dem bezeichnenden Titel „Viaggio nell’ Italia dell’ Antroprocene“, zu Deutsch „Reise ins Italien des Anthropozäns“bietet den Besuch in einem Land, das zum Opfer des Klimawandels und seiner Folgen geworden ist. In einer Zeit, dem Jahr 2786, in der die Polkappen nicht mehr existieren. In der der Wasserspiegel der Meere um ganze 65 Meter angestiegen ist.
„Das ist eine hoffentlich nur unrealistische Zukunftsvision“, erklärte Co-Autor Pievani bei der Buchpräsentation, „aber es ist eine Vision, die uns verdeutlichen soll, dass sich das Italien, so wie wir es heute kennen, in nächster Zukunft ziemlich verändern wird.“
Von Venedig aus wird der Leser in die Padanische Ebene geführt. In jene Landschaft, die einst von dem großen Strom Po durchschnitten wurde. In der vor Jahrhunderten Städte wie Bologna, Parma und Ravenna existierten. Orte der Kunst und Kultur,
Co-Autor Telmo Pievani die alle überflutet sind. Die Mailänder brauchen nicht mehr an die Adria oder nach Ligurien ans Meer zu fahren. Meeresstrände gibt es inzwischen 30 Kilometer entfernt.
In den bergigen Regionen Marken, Abruzzen und Molise sind Fjorde entstanden. Neue Ortschaften wurden an den neuen Küstenabschnitten auf schwimmenden Plattformen errichtet. Rom bietet dem Besucher im Jahr 2786 den Anblick einer tropischen Stadt. Die niedrig gelegenen Stadtviertel sind ganz im Wasser versunken. Wie etwa auch das Gebiet des Vatikans. Die Päpste residieren seit einiger Zeit in ihrer einstigen Sommerresidenz in Castel Gandolfo in den Albaner Bergen.
Der Reisende im Buch der beiden Wissenschaftler erreicht am Ende die Insel Sizilien. Dort kann er den Sahara-Effekt voll auskosten. Sizilien erinnert dann an das Tunesien und Libyen des frühen 21. Jahrhunderts. Nackte Felsen wechseln sich mit sandig-dünigen Wüstengegenden ab. Hier wachsen, wenn überhaupt, nur noch klimaresistente Kakteen.
Die Lektüre der beiden Wissenschaftler fasziniert, auch wenn sie sicher übertrieben ist. Doch Italien ist wie kein anderes Land Europas den Folgen des Klimawandels ausgesetzt.
Umgeben auf drei Seiten vom Mittelmeer sind Tausende von Küstenkilometern schon heute vom Anstieg des Wasserspiegels betroffen. Seit Jahren müssen immer mehr Strände künstlich mit Sand aufgefüllt werden. Sizilien und andere süditalienische Regionen leiden unter immer heißeren Sommern. Trinkwasser wird in den Sommermonaten knapp. Waldbrände zerstören in ganz Italien immer mehr Bäume. Den immer höheren Temperaturen folgen immer mehr Insekten, die Palmen, Olivenbäumen und Pinien den Garaus machen.
Der Klimawandel macht der Landschaft im ganzen Land zu schaffen. Es regnet immer öfter und immer stärker. Das führt verstärkt zu Erdrutschen, bei denen Straßen und Wohnhäuser zerstört werden. In jedem Frühjahr und Herbst kommt es infolge von immer drastischeren Wetterphänomenen zu lokalen Katastrophen mit Toten.
Seit Jahren warnen Wissenschaftler vor den Folgen des Klimawandels. Doch ihre Warnungen stießen bisher immer auf taube Ohren. Das soll sich bald schon ändern: Ein guter Teil der rund 220 Milliarden Euro aus dem EU-Recovery-Plan für Italien soll in die Umweltpolitik fließen. Ob es aber damit möglich sein wird, die besonders dramatischen Folgen der globalen Klimaveränderung von Italien abzuwenden, bezweifeln die Autoren dieser Zukunftsreise.
„Das ist eine hoffentlich nur unrealistische Zukunftsvision.“