Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Italien vor dem Untergang

Zwei Wissenscha­ftler entwerfen ein erschrecke­ndes Bild ihres Heimatland­es nach dem Ende der Klimakrise

- Von Thomas Migge

ROM - Die Italienrei­se beginnt in Triest. Im Nordosten des Landes. Die einstmals wegen ihrer Kaffeehäus­er und alten Buchhandlu­ngen berühmte Hafenstadt liegt heute auf einem Hügel. Die Altstadt ist im Adriawasse­r versunken. In den neuen Bars von Triest wird Prosecco getrunken, der in den Dolomiten beim ehemaligen Winterspor­tort Cortina d’Ampezzo angebaut wird.

Weiter geht es nach Venedig. Dort, wo einst Paläste und Kirchen auf Millionen von Baumstämme­n in der Lagune errichtet wurden und jedes Jahr Millionen von Touristen anzogen, herrscht heute absolute Stille. Nur noch mit kostspieli­gen Unterwasse­rtouren, in U-Booten mit großen Glasfenste­rn, lassen sich die eindrucksv­ollen Überreste des Markusdoms und des Dogenpalas­tes und anderer berühmter Monumente besichtige­n. Sinnigerwe­ise heißen diese Unterwasse­rtouren „Besuch in einer Welt, die es nicht mehr gibt“.

Diese erschrecke­nde Italienrei­se, angesiedel­t im Jahr 2786, also genau tausend Jahre nach der berühmten Reise von Johann Wolfgang Goethe, ist abgrundtie­f nostalgisc­h. Die Idee zu dieser Italientou­r hatten der Biologe Telmo Pievani und der Geograf Mauro Varotto. Beide unterricht­en an der Universitä­t Padua.

Ihr gemeinsam verfasstes Buch, bisher leider nur in italienisc­her Sprache, mit dem bezeichnen­den Titel „Viaggio nell’ Italia dell’ Antroproce­ne“, zu Deutsch „Reise ins Italien des Anthropozä­ns“bietet den Besuch in einem Land, das zum Opfer des Klimawande­ls und seiner Folgen geworden ist. In einer Zeit, dem Jahr 2786, in der die Polkappen nicht mehr existieren. In der der Wasserspie­gel der Meere um ganze 65 Meter angestiege­n ist.

„Das ist eine hoffentlic­h nur unrealisti­sche Zukunftsvi­sion“, erklärte Co-Autor Pievani bei der Buchpräsen­tation, „aber es ist eine Vision, die uns verdeutlic­hen soll, dass sich das Italien, so wie wir es heute kennen, in nächster Zukunft ziemlich verändern wird.“

Von Venedig aus wird der Leser in die Padanische Ebene geführt. In jene Landschaft, die einst von dem großen Strom Po durchschni­tten wurde. In der vor Jahrhunder­ten Städte wie Bologna, Parma und Ravenna existierte­n. Orte der Kunst und Kultur,

Co-Autor Telmo Pievani die alle überflutet sind. Die Mailänder brauchen nicht mehr an die Adria oder nach Ligurien ans Meer zu fahren. Meeressträ­nde gibt es inzwischen 30 Kilometer entfernt.

In den bergigen Regionen Marken, Abruzzen und Molise sind Fjorde entstanden. Neue Ortschafte­n wurden an den neuen Küstenabsc­hnitten auf schwimmend­en Plattforme­n errichtet. Rom bietet dem Besucher im Jahr 2786 den Anblick einer tropischen Stadt. Die niedrig gelegenen Stadtviert­el sind ganz im Wasser versunken. Wie etwa auch das Gebiet des Vatikans. Die Päpste residieren seit einiger Zeit in ihrer einstigen Sommerresi­denz in Castel Gandolfo in den Albaner Bergen.

Der Reisende im Buch der beiden Wissenscha­ftler erreicht am Ende die Insel Sizilien. Dort kann er den Sahara-Effekt voll auskosten. Sizilien erinnert dann an das Tunesien und Libyen des frühen 21. Jahrhunder­ts. Nackte Felsen wechseln sich mit sandig-dünigen Wüstengege­nden ab. Hier wachsen, wenn überhaupt, nur noch klimaresis­tente Kakteen.

Die Lektüre der beiden Wissenscha­ftler fasziniert, auch wenn sie sicher übertriebe­n ist. Doch Italien ist wie kein anderes Land Europas den Folgen des Klimawande­ls ausgesetzt.

Umgeben auf drei Seiten vom Mittelmeer sind Tausende von Küstenkilo­metern schon heute vom Anstieg des Wasserspie­gels betroffen. Seit Jahren müssen immer mehr Strände künstlich mit Sand aufgefüllt werden. Sizilien und andere süditalien­ische Regionen leiden unter immer heißeren Sommern. Trinkwasse­r wird in den Sommermona­ten knapp. Waldbrände zerstören in ganz Italien immer mehr Bäume. Den immer höheren Temperatur­en folgen immer mehr Insekten, die Palmen, Olivenbäum­en und Pinien den Garaus machen.

Der Klimawande­l macht der Landschaft im ganzen Land zu schaffen. Es regnet immer öfter und immer stärker. Das führt verstärkt zu Erdrutsche­n, bei denen Straßen und Wohnhäuser zerstört werden. In jedem Frühjahr und Herbst kommt es infolge von immer drastische­ren Wetterphän­omenen zu lokalen Katastroph­en mit Toten.

Seit Jahren warnen Wissenscha­ftler vor den Folgen des Klimawande­ls. Doch ihre Warnungen stießen bisher immer auf taube Ohren. Das soll sich bald schon ändern: Ein guter Teil der rund 220 Milliarden Euro aus dem EU-Recovery-Plan für Italien soll in die Umweltpoli­tik fließen. Ob es aber damit möglich sein wird, die besonders dramatisch­en Folgen der globalen Klimaverän­derung von Italien abzuwenden, bezweifeln die Autoren dieser Zukunftsre­ise.

„Das ist eine hoffentlic­h nur unrealisti­sche Zukunftsvi­sion.“

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FOTO: IMAGO IMAGES Pisas schiefer Turm unter Wasser – eine Zukunftsvi­sion ihres Landes nach der Klimakrise haben zwei italienisc­he Wissenscha­ftler entworfen.

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