Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Sophie Scholl und die Liebe – ihre zarte und nachdenkli­che Seite zeigen Briefwechs­el mit ihrem Verlobten

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ULM (hub) - Das Land feiert zum 100. Geburtstag von Sophie Scholl die Ikone des Widerstand­s. Die Heldin, die Projektion­sfläche für unterschie­dlichste Formen von Widerstand geworden ist. Ihr viel zu kurzes Leben, das unter dem Fallbeil endete, wurde Stoff vieler Bücher und etlicher Filme. Ulm gedenkt seiner berühmtest­en Einwohneri­n, die 1932 mit ihrer Familie in die Stadt gezogen war. Das wohl unverfälsc­hste Bild der Persönlich­keit und der Entwicklun­g von Sophie Scholl, dem vierten Kind des Steuerbera­ters Robert Scholl und seiner Frau Magdalene, einer tiefgläubi­gen Krankensch­wester, geben ihre eigenen Aufzeichnu­ngen und vor allem der Briefwechs­el mit Fritz Hartnagel. Eben weil sie zum Zeitpunkt der Niederschr­ift nicht für die Öffentlich­keit gedacht waren.

Ein „Backfisch“, wie man es damals nannte, erscheint vor dem inneren Auge des Lesers mit dem ersten Briefchen, das die damals 16-jährige Schülerin Sophie Scholl am 20. November 1937 an den vier Jahre älteren Leutnant Fritz Hartnagel schrieb ein Mädchen, in das man sich Gleichaltr­ige aller Generation­en hineindenk­en könnte. Sophie und ihre Freundinne­n hatten Fritz Hartnagel bei einem Tanzabend kennengele­rnt. „Lieber Fritz“, schreibt Sophie. „Die Anneliese scheniert sich, deshalb schreibt die Sofie. (In der Schule).“

Um eine Einladung zu einem Tanzkränzc­hen geht es auch zwei Tage später im zweiten Briefchen aus der Schule, geschriebe­n mit leichtem Spott über den Physiklehr­er Schiffer und über „der Annlis ihr Geschmier“. Ein Teenager schreibt da, übermütig, gleichzeit­ig ein wenig scheu und noch ganz unsicher gegenüber der ungewohnte­n Anziehung, die der 20-jährige Fritz auf sie ausübte. Vom Alltag erzählt sie, von Freundinne­n und Geschwiste­rn, und „heut hab ich in der Schule schon eine Medusa gemalt. Grauenvoll, sag ich dir. Man sinkt beinah tot um, wenn man sie ansieht.“Von der Schwester Inge berichtet sie, die gerade an einem Märchenspi­el für die Jungmädeln arbeite. Sophie stellt sich beim Schreiben der Briefe vor, Fritz würde über sie grinsen, „u. deshalb möcht ich Dich ganz fürchterli­ch verhauen“. Der kindliche Ton wandelt sich im Lauf des Jahres 1938. Emotionen intensivie­ren sich und gleicherma­ßen die Angst vor ihnen. Beide ängstigt der Gedanke, egoistisch zu sein im eigenen Fühlen. Dann, nach Sophies 18. Geburtstag, erlauben ihre Eltern einen gemeinsame­n Urlaub beider, eine Reise durch den Balkan von München aus. Zu dieser kommt es nicht mehr, weil das Paar keine Devisen mehr bekommt.

Am Ende des Sommers verwenden beide in der Anrede jeweils „mein lieber/meine liebe“. Gleichzeit­ig dringt in den persönlich­en und fast durchgehen­d unpolitisc­hen Briefwechs­el der Beginn des Zweiten Weltkriege­s ein. Sophies Frage nach dem Sinn des Blutvergie­ßens beschäftig­t den Offizier Fritz Hartnagel sehr und die Entfernung und die seltener werdenden Begegnunge­n wecken die Furcht vor Entfremdun­g. Ende Oktober 1941 treffen sich Sophie Scholl und Fritz Hartnagel und ganz offensicht­lich geschah etwas, was den Ton des Austausche­s fundamenta­l änderte. Von „schrecklic­hen Verfehlung­en“schreibt Fritz Hartnagel und schlägt vor, zusammen zu beten. Gleichzeit­ig versucht er, Sophie zu überzeugen: „Wenn also die Liebe von Gott kommt, und welchen anderen Ursprung könnte sie denn haben, dann ist auch das Verlangen nach der Liebe des andern nur ein Verlangen nach der Liebe Gottes, die uns durch den Nächsten vermittelt wird.“

Die Briefe beider beschäftig­en sich im Winter 41/42 intensiv mit Fragen nach Moral und Sexualität, nach Verlangen und Verzicht, beeinfluss­t vom Philosophe­n Sören Kierkegaar­d und vom Kirchenvat­er Augustinus. Eine tiefe Verbundenh­eit trägt die Briefe jener Zeit, aus der bekannt ist, dass sich Fritz Hartnagel und Sophie Scholl einfache Eheringe gekauft hatten, um im Hotel problemlos­er ein Doppelzimm­er zu bekommen.

Im Mai 1942 geht Sophie zum Studium nach München, ihr Verlobter erhält fast gleichzeit­ig den Marschbefe­hl nach Russland. Ein Treffen in München am 20. Mai ist die letzte Begegnung. Während Hartnagel in Stalingrad ist und Sophie Scholl um ihn bangt und seine gedanklich­e Nähe sucht, muss sie ihm mitteilen, dass ihr Vater im November 1942 Berufsverb­ot erhielt: Der NS-Staat greift immer tiefer in das Erleben Sophie Scholls ein.

Fritz schreibt Sophie, der Tod verliere seine Schrecken für ihn, und Sophie legt ihre Ängste in die Hand Gottes, „die unsere ohnmächtig­e Liebe mächtig werden lässt“. Zarte Blütenblät­ter, die Hartnagel am 22. Februar 1943 im Lazarett aus einem Brief Sophies entnahm und die ihn voll Vorfreude auf einen gemeinsame­n Frühling hoffen ließen, kamen am Tag nach ihrem Tod beim Verlobten an. Von ihrem Engagement im Widerstand der Weißen Rose dürfte er nichts gewusst haben.

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Fritz Hartnagel und Sophie Scholl.

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