Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Schottland soll erneut über Unabhängig­keit abstimmen

Ministerpr­äsidentin Sturgeon sichert sich Wahlsieg und kündigt Referendum bis Herbst 2023 an

- Von Sebastian Borger

LONDON - Die Ergebnisse haben die Demoskopen bestätigt: Allerorten sind bei den britischen Regionalun­d Kommunalwa­hlen am vergangene­n „Super-Donnerstag“die jeweils regierende­n Parteien und Personen gestärkt worden. Weil davon in England vor allem die konservati­ve Regierungs­partei von Boris Johnson profitiert­e, verstärkt sich der innerparte­iliche Druck auf Labour-Opposition­sführer Keir Starmer. Problemati­sch für den Premiermin­ister bleibt der Umgang mit Schottland: Dort verbuchte die Nationalpa­rtei SNP den vierten Wahlsieg in Folge. Ministerpr­äsidentin Nicola Sturgeon kündigte umgehend ein zweites Unabhängig­keitsrefer­endum bis spätestens Herbst 2023 an; dies hat Johnson stets ausgeschlo­ssen.

In einem Telefonat gratuliert­e der Premiermin­ister Sturgeon zur Wiederwahl und lud sie zu einem Gespräch über die Covid-Folgen für das Gesundheit­ssystem und die Wirtschaft ein. Er wolle über „gemeinsame Herausford­erungen“sprechen und darüber, wie „wir sie in den kommenden Monaten und Jahren bewältigen können“, schrieb der Londoner Regierungs­chef in gleichlaut­enden Briefen an die Schottin, den ebenfalls klar im Amt bestätigte­n walisische­n Labour-Premier Mark Drakeford sowie die gleichbere­chtigten Regierungs­chefinnen Nordirland­s, Arlene Foster und Michelle O’Neill.

„Selbstvers­tändlich“werde sie der Einladung Folge leisten, teilte Sturgeon umgehend mit. Die Konzentrat­ion auf den Kampf gegen

Sars-CoV-2 und auf die wirtschaft­liche Erholung hatte die 50-Jährige im Wahlkampf als klare Priorität ihrer Regierung bezeichnet. In der BBC wies die Ministerpr­äsidentin aber auch auf ihr Mandat für eine neuerliche Volksabsti­mmung über die Auflösung der Union mit England hin. Diese soll in der ersten Hälfte der fünfjährig­en Legislatur­periode über die Bühne gehen, bedarf jedoch der Zustimmung des Unterhause­s. Sollte Johnson wie angekündig­t das Vorhaben verhindern, „wäre endgültig bewiesen, dass das Vereinigte Königreich keine freiwillig­e Union unterschie­dlicher Nationen ist“, argumentie­rte Sturgeon.

Die SNP verpaßte am Donnerstag zwar die absolute Mehrheit der Sitze im Edinburghe­r Parlament um ein einziges Mandat, kann sich aber auf die Unterstütz­ung der schottisch­en Grünen verlassen. Alle Unabhängig­keits-Parteien gemeinsam erzielten 50,1 Prozent der Stimmen und verfügen über eine satte Mandatsmeh­rheit.

Offenbar setzt Johnson auf Verzögerun­gstaktik. Jedenfalls vermied er in Interviews die Wiederholu­ng einer Aussage vom vergangene­n Jahr. Damals hatte er die 2040er-Jahre als frühestmög­lichen Termin für eine neuerliche Abstimmung genannt.

Deutlich kurzfristi­ger wird derzeit in der Labour-Party gedacht. Der seit gut einem Jahr amtierende Opposition­sführer Starmer hatte am Freitag „die volle Verantwort­ung“für empfindlic­he Wahlschlap­pen bei den englischen Kommunalwa­hlen sowie der Nachwahl zum Unterhaus im nordenglis­chen Hartlepool übernommen. Tags darauf enthob er Angela Rayner ihres Amtes als Kampagnenm­anagerin, machte indirekt also die vom Parteivolk gewählte Vizevorsit­zende für die schlechten Ergebnisse verantwort­lich.

Das rief einen Sturm der Entrüstung hervor. Die im nordenglis­chen Manchester beheimatet­e Rayner gilt als eloquent und beliebt. Sie gehört zur Handvoll von Labour-Abgeordnet­en, die sich aus kleinen Verhältnis­sen hochgeboxt haben – eine Symbolfigu­r für jene Schichten, die der alten Arbeiterpa­rtei zunehmend abhandenko­mmen.

Der in Manchester mit zwei Dritteln der Stimmen wiedergewä­hlte Labour-Bürgermeis­ter Andrew Burnham machte seinen Protest öffentlich: „Ich unterstütz­e das nicht“, schrieb der 51-Jährige Ex-Minister auf Twitter.

Wie Burnham wurden auch die Labour-Bürgermeis­ter von London und Liverpool, Sadiq Khan und Steve Rotheram, im Amt bestätigt. Die Konservati­ven gewannen mehrere Rathäuser hinzu, darunter Harlow bei London sowie Redditch, Dudley und Nuneaton in den Midlands. Die entspreche­nden Unterhaus-Wahlkreise müsste die Opposition­spartei gewinnen, um 2024 eine Chance auf den Sieg zu wahren.

Freilich bräuchte die einst dominante Partei dann auch eine Erholung in Schottland, wo Labour deutliche Mandats- und Stimmverlu­ste erlitt. Nicola Sturgeons Prognose wirkt prophetisc­h: Der Ministerpr­äsidentin zufolge stehen Großbritan­nien nun „viele Jahre einer rechtsgeri­chteten Tory-Regierung“ins Haus.

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FOTO: SCOTT HEPPELL/DPA Nicola Sturgeon, Regierungs­chefin von Schottland

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