Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Der neue Ökotrend im Ladenregal

Discounter Lidl und Drogerieke­tte dm testen Labels zur Kennzeichn­ung der Klimafreun­dlichkeit ihrer Produkte

- Von Hanna Gersmann

BERLIN - Jetzt wollen alle den Planeten retten, auch Unternehme­n versuchen, die Debatte um den Klimawande­l und mögliche Maßnahmen dagegen für sich zu nutzen. Ein Trend, der nun auch in den Regalen von Handelsket­ten angekommen ist. So prüft der Discounter Lidl derzeit eine Art Ökoampel, die aufgedruck­t auf Joghurt, Tee und vielen anderen Produkten zeigen soll, wie nachhaltig die Lebensmitt­el sind. Eco-Score nennt sich das – fünf Buchstaben, ein dunkelgrün­es A steht für die besten Werte, am Ende der Skala das rote E für die schlechtes­ten. Oder: die Drogerieke­tte dm. Sie stellt eine neue Eigenmarke in ihre Regale: „Pro Climate“heißt sie, darunter steht: „umweltneut­rales Produkt“. Ist das mehr als nur ungewohnte­s Marketing?

„Ja, wir gucken uns die Entwicklun­g in den nächsten Monaten weiter an, aber es erscheint beides glaubwürdi­g und sinnvoll“, sagt Jana Fischer von der Verbrauche­rzentrale Hamburg. Sie hat sich mit den neuartigen Labeln wie bisher sonst kaum jemand beschäftig­t. „Klimaneutr­ale oder CO2neutral­e Produkte gibt es schon überall, Knäckebrot, Kosmetik, Konserven“, sagt sie. Unternehme­n glichen dann die bei der Herstellun­g der Produkte anfallende­n CO 2-Emissionen mehr oder weniger aus, indem sie beispielsw­eise Bäume pflanzen oder Klimaschut­zprojekte unterstütz­en. „Das ist nun der nächste Schritt“, meint Fischer. Die Handelsket­ten nähmen sich auch andere Umweltwirk­ungen vor – im Sinne ihrer Kunden.

Der Trend ist eindeutig. Nicht nur verhandeln Union und SPD in der Berliner Regierungs­koalition derzeit eine Verschärfu­ng des Klimaschut­zgesetzes, weil das Verfassung­sgericht mehr Verbindlic­hkeit im Kampf gegen die Erderwärmu­ng angemahnt hat. Auch die Fridays-forFuture-Klimabeweg­ung macht Druck. Überhaupt liegt den Deutschen die Umwelt so stark am Herzen wie seit den 1980er-Jahren nicht mehr. Das erklärte erst vor wenigen Tagen der Präsident des Umweltbund­esamtes Dirk Messner.

Denn regelmäßig wird die Einstellun­g der Deutschen zu Umweltfrag­en in einer repräsenta­tiven Studie erfragt. Messner stellte die neuen

Daten für 2020 zusammen mit Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD) vor. Damals, so meinte er, habe die Menschen der saure Regen und das Waldsterbe­n, später dann die Reaktorkat­astrophe von Tschernoby­l besorgt. Heute seien es Dürren, Bienenster­ben, Plastikmül­l. So hielten derzeit 65 Prozent der Bevölkerun­g Umwelt- und Klimaschut­z für ein sehr wichtiges Thema. Trotz Corona-Krise. Das war in der weltweiten Finanzkris­e vor gut zehn Jahren noch anders.

Nur: Wäre es nicht besser, Ökoprodukt­e zu kaufen, anstatt sich auf ein „umweltneut­ral“-Verspreche­n oder einen „Eco-Score“zu verlassen? „Sicher“, sagt Verbrauche­rschützeri­n Fischer, „aber immerhin ist das kein Greenwashi­ng, andere bilden Oliven auf einer Cremetube ab, werben mit natürliche­m Wasser, kommen umweltfreu­ndlich daher, sind es aber nicht.“Der entscheide­nde Unterschie­d für sie: Lidl und dm haben sich ihre Label nicht einfach selbst ausgedacht.

Den Eco-Score gibt es schon seit Anfang des Jahres in französisc­hen Supermärkt­en, er wurde dort von zehn französisc­hen Unternehme­n zusammen entwickelt. Berücksich­tigt werden insgesamt 16 Kriterien, wie CO2-Fußabdruck, Wasser- und Landverbra­uch. Hinzu kommen beispielsw­eise die Art der Verpackung, auch der Transport. Kriterien wie der Einsatz von Antibiotik­a und Pflanzensc­hutzmittel­n oder das Tierwohl spielen allerdings keine Rolle.

In Frankreich kritisiert­en darum Umweltschü­tzer, dass das Label Produkte aus intensiver Landwirtsc­haft womöglich zu gut bewerte. Befürworte­r entgegnete­n, dass sie sich der Grenzen des Scores bewusst seien, Verbrauche­r aber profitiert­en. So werde ein Weiderind aus Frankreich einen besseren Score haben als Fleisch von einem Rind aus Brasilien, das nie auf der Weide war. Fischer sagt: „Wenn ein Produkt ein grünes A oder B trägt, ist das eine gute Wahl.“

Die dm-Drogerieke­tte hat ihr ProClimate-Sortiment – dazu gehören etwa Duschgel, Sonnencrem­e, Waschmitte­l – von Wissenscha­ftlern der Technische­n Universitä­t Berlin mit entwickeln lassen, um die Folgen für Klima, Überdüngun­g, Versauerun­g, Sommersmog und Ozonabbau möglichst klein zu halten. Sie haben die Verpackung­en optimiert, auch die Inhaltssto­ffe. Trotzdem bleiben Ökoschäden. Um diese auszugleic­hen, haben Experten nach Standards des Umweltbund­esamtes die Umweltkost­en pro hergestell­tem Produkt errechnet. Den Betrag will dm investiere­n – und Flächen in Deutschlan­d kaufen, die durch Industrieu­nd Bergbauwir­tschaft beeinträch­tigt wurden. Das Essener Kompensati­onsunterne­hmen Heimaterbe soll diese bewirtscha­ften und renaturier­en.

Noch ist offen, ob sich die Nachhaltig­keitslabel durchsetze­n. Lidl wird den Eco-Score jetzt erst einmal in seinen Berliner Filialen testen. Verbrauche­rschützeri­n Fischer ist längst entschiede­n. Sie will keinen schwer zu durchblick­enden Label-Dschungel. Sie wünscht sich „ein staatliche­s, gut kontrollie­rtes Nachhaltig­keitssiege­l mit strengen Kriterien.“

 ?? FOTO: LIDL ?? Lidl-Produkte mit der jeweiligen Bewertung im sogenannte­n Eco-Score: Der Discounter, der zur baden-württember­gischen Schwarz-Gruppe gehört, testet als der deutscher Händler die in Frankreich entwickelt­e Bewertungs­skala, auf der Verbrauche­r den Grad der Klimaneutr­alität des Produkts erkennen sollen.
FOTO: LIDL Lidl-Produkte mit der jeweiligen Bewertung im sogenannte­n Eco-Score: Der Discounter, der zur baden-württember­gischen Schwarz-Gruppe gehört, testet als der deutscher Händler die in Frankreich entwickelt­e Bewertungs­skala, auf der Verbrauche­r den Grad der Klimaneutr­alität des Produkts erkennen sollen.

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