Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Neuer Anlauf
Indien und EU wollen riesige Freihandelszone schaffen
PORTO (dpa) - Die EU und Indien nehmen einen neuen Anlauf, eine der größten Freihandelszonen der Welt zu schaffen. Man habe vereinbart, die 2013 gestoppten Verhandlungen über ein Handelsabkommen wieder aufzunehmen, hieß es in einer am Samstag nach Spitzengesprächen veröffentlichten Erklärung. Zudem sollten auch Verhandlungen über ein Investitionsschutzabkommen und den Schutz geografischer Herkunftsangaben beginnen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von neuem Schwung und äußerte die Erwartung, dass die Arbeiten jetzt mit „sehr viel mehr Tempo fortgesetzt werden“. EUKommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kommentierte, die Videokonferenz der Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten mit Indiens Premierminister Narendra Modi sei ein Meilenstein gewesen.
Der gemeinsamen Erklärung zufolge sollen verbesserte Handelsund Investitionsbeziehungen auch zur Erholung von den Folgen der Corona-Pandemie beitragen. In Indien war die Lage zuletzt weiter dramatisch. In absoluten Zahlen ist das Land hinter den USA am stärksten von der Pandemie betroffen.
Indien ist mit mehr als 1,3 Milliarden Einwohnern das zweitbevölkerungsreichste Land der Welt nach China, aber für die EU zuletzt nur der zehntgrößte Handelspartner gewesen. 2007 begannen beide Seiten mit Diskussionen über ein Handelsund Investitionsabkommen, bei dem es auch um mehr Marktzugang und weniger Zölle ging. Doch mehrere Unstimmigkeiten wie indische Zölle auf Autos und Wein sowie Arbeitsmarktbeschränkungen für Inder durch die EU brachten die Verhandlungen 2013 zu einem Ende.
Vor allem die deutsche Wirtschaft würde nach Studien von einem Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien kräftig profitieren. Laut den im vergangenen Jahr vom Europaparlament veröffentlichten Zahlen könnte allein die Bundesrepublik einen Wohlfahrtsgewinn von etwa 2,2 Milliarden Euro erwarten. Deutschland sei der EU-Mitgliedstaat, in dem der größte Anstieg sowohl der Importe als auch der Exporte zu erwarten sei, wobei die Exporte stärker steigen dürften als die Importe.
Eine von der Bertelsmann-Stiftung im Jahr 2017 veröffentlichte Studie kam sogar zu dem Ergebnis, dass Deutschland mit einem um jährlich 4,98 Milliarden US-Dollar (4,1 milliarden Euro) höherem Bruttoinlandsprodukt kalkulieren könnte. Große Gewinner dürften demnach Hersteller von Kraftfahrzeugen sowie von Maschinen und Ausrüstung sein, die ihre Wertschöpfung um je mehr als 1,5 Milliarden US-Dollar im Jahr steigern könnten. Als Verlierer werden hingegen Dienstleister sowie die Textilund Bekleidungsindustrie mit einem erwarteten Minus von jeweils mehreren Hundert Millionen Dollar im Jahr gesehen. Indien hat in diesen Bereichen – vor allem wegen niedrigerer Löhne – einen Wettbewerbsvorteil.