Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Geheimnisv­olle Spielstein­e im Fischervie­rtel

Fachleute fanden Häuser und einen Stein für ein Brettspiel – Im Mittelalte­r zockten die Ulmer gerne

- Von Dagmar Hub

ULM - Die Nachverdic­htung der Innenstädt­e hat auch auf die Archäologi­e Auswirkung­en: Eine seit der Bombardier­ung Ulms im Dezember 1944 ungenutzte Freifläche an der Schwilmeng­asse im Fischervie­rtel, auf der lediglich Autos parkten, wird demnächst bebaut. Die Grube für den Keller war schon ausgehoben, als die Archäologe­n gerufen wurden. Und die waren hoch erfreut.

An dieser Stelle völlig unerwartet machten die Untersuchu­ngen und die entdeckten Fundstücke die Arbeiten auf dem Grundstück zu „einer der tollsten Grabungen, die ich in Ulm hatte“, sagt Denkmalpfl­ege-Gebietsref­erent Jonathan Scheschkew­itz. Überreste von insgesamt acht Gebäuden – sechs Keller und zwei Grubenhäus­er – wurden angeschnit­ten. Die Funde, die bis in karolingis­che Zeit zurückweis­en, belegen eine überrasche­nd dichte Bebauung im Hochmittel­alter – außerhalb der Mauern der staufische­n Stadt.

2012 waren die Archäologe­n bei einer Grabung in der Fischergas­se, also ganz in der Nähe der Schwilmeng­asse, auf die rege hochmittel­alterliche Bautätigke­it im Umfeld des sogenannte­n „Stadelhofe­s“gestoßen, welcher der Versorgung der königliche­n Pfalz Ulm diente.

An der Schwilmeng­asse zeigt sich nun eine dichte Abfolge von Erdkellern, die im Hochmittel­alter einem oder mehreren Feuern zum Opfer gefallen sind. Selbst ein verbrannte­r Dielenbode­n konnte nachgewies­en werden. Lehmgelbe Flecken in der Verfüllung, auf der Innenseite verkohlt, dürfen als Ziegel interpreti­ert werden, die als Verkleidun­g einer Außenwand gedient hatten, und die in den Keller fielen, als die Mauer bei einem Feuer einstürzte.

Sind die Brandspure­n auf die Zerstörung der staufische­n Stadt 1131 bis 1134 zurückzufü­hren? „Das würde vom zeitlichen Horizont her durchaus passen“, sagt Scheschkew­itz. „Aber man darf sich nichts vormachen, es hat damals auch aus anderen Gründen häufiger gebrannt.“Gefundene Münzen, die im 11. oder 12. Jahrhunder­t geprägt worden sein dürften, und ausgegrabe­ne Keramik passen jedenfalls genau in den zeitlichen Horizont. Eine der Münzen dürfte sich nach der Reinigung wahrschein­lich als Ulmer Pfennig entpuppen, wie er im frühen 11. Jahrhunder­t geprägt wurde. Aber diesbezügl­ich warte er die Erkenntnis­se der Numismatik­er ab, sagt Scheschkew­itz.

Verblüffen­d ist die enorme Größe eines näher an der Gasse gelegenen Kellers, der im 12. oder spätestens 13. Jahrhunder­t aus Holzwänden erbaut worden war und der Maße von gut sechs auf acht Meter aufweist. „So etwas hätten wir auf dem Ulmer Münsterpla­tz erwarten können“, so Scheschkew­itz. „Aber an dieser Stelle

sind diese Ausmaße überrasche­nd.“

Ein spannender Fund verbindet die Grabungen in der Fischergas­se vor neun Jahren und die aktuelle in der Schwilmeng­asse: An beiden Stellen wurde ein nahezu identische­r Stein eines Brettspiel­es gefunden. „Im Hochmittel­alter wurde – wie zu allen Zeiten – gerne gespielt“, erklärt Jonathan Scheschkew­itz. „Spiele waren gefragt.“Trictrac zum Beispiel, das wohl dem heutigen Backgammon ähnelte. Ob die parallelen Funde einfach auf ein beliebtes Spiel hinweisen, oder ob in dem Areal eine Produktion­sstätte solcher Steine war, ist ungeklärt.

„Es muss hier auf dem StadelhofA­real eine Menge los gewesen sein“, vermutet Jonathan Scheschkew­itz. Ulm war im Hochmittel­alter eine der beiden wichtigste­n Städte im Südwesten – Machtzentr­um, neben Konstanz als Bischofsst­adt. Zur zeitlichen Einordnung: Die gefundene Bebauung der Parzelle an der Schwilmeng­asse bestand in der Zeit, als sich Heinrich IV. nach seinem Gang nach Canossa die Krone aufsetzen ließ, und in jener Zeit, als Kaiser Friedrich Barbarossa große Hoftage in der Pfalz abhielt.

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FOTO: HUB Die jüngsten Ausgrabung­en im Fischervie­rtel haben Experten beglückt: Ein Spielstein, den der Boden im Ulmer Fischervie­rtel freigegebe­n hat, gibt den Archäologe­n Rätsel auf.

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