Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Sechs Säulen für Serien-Titel Nummer 9
Bayern München feiert die 31. Meisterschaft – Welche Akteure maßgeblich dafür verantwortlich waren
MÜNCHEN - Fußball im Jahr 2021: Einige Bayern-Profis wie Jérôme Boateng und Jamal Musiala erlebten den Moment der eigenen Krönung am Samstagnachmittag als Augenzeuge der Übertragung auf ihrem Smartphone. Während der Platzbegehung vor dem Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach machte die andere Borussia, der einst so beharrliche Rivale aus Dortmund, Titel Nummer 9 in Serie klar – durch das 3:2 gegen RB Leipzig, Bayerns letztem Verfolgerchen. Uneinholbar ohne zu spielen. Muss witzig sein, wenn man eine PushNachricht aufs Handy bekommt: Der FC Bayern München ist zum 31. Mal Deutscher Meister. Das bin ja ich!
Andere, die um 17.22 Uhr noch in der Kabine waren, sahen das Ende der Partie in Dortmund auf TV-Bildschirmen. Die Stimmung sei „schon etwas gelöst“gewesen, berichtete Thomas Müller, mit nun zehn Schalen der Rekordmeister unter den Rekordmeistern und erzählte: „Es ging ein Raunen durch die Kabine.“Mehr nicht. Bayerischer Pragmatismus. Routine im Gewinnen erzeugt Routine im Feiern.
Sie wollten es trotzdem noch mal wissen. Das 6:0 gegen Gladbach war eine Machtdemonstration, eine von Zwängen und Rechnereien unabhängige Galavorstellung samt des Dreierpacks von Toptorjäger Robert Lewandowski. „Das Spiel war eines Meisters würdig“, befand Trainer Hansi Flick. „Ein toller Tag für uns“, sagte Torhüter Manuel Neuer und unterstrich: „Wir haben noch mal demonstriert, dass wir die wahre Nummer 1 in Deutschland sind.“Die alten und neuen Könige des Landes erhalten das Dokument der Macht, die Meisterschale, am 22. Mai nach dem Heimspiel gegen Augsburg. In nicht-bayerischen, weil in schwarz-gelben Händen war die silberne Schüssel zuletzt 2012.
Vor allem sechs Bayern waren für den neunten Titel hintereinander maßgeblich:
Robert Lewandowski: Dem 32Jährigen fehlt nun nur noch ein Treffer, um Gerd Müllers scheinbar unerreichbaren 40-Tore-Rekord aus der Saison 1971/72 zu egalisieren. „Wir geben alles, er gibt alles“, meinte Vorlagenkönig Müller, „wenn er die Dinger,
Erinnern Sie sich noch an den 19. Mai 2001? Vier Minuten und 38 Sekunden war der FC Schalke 04 deutscher Meister. Dann schlug der FC Bayern München zu – und Königsblau versank im Tal der Tränen. Es war der wohl denkwürdigste letzte Spieltag der Bundesliga-Geschichte – doch bei Weitem nicht der einzige spannende. Was gab es nicht für Meister-Entscheidungen in der Bundesliga-Historie. Als Spieler in den 1980er-Jahren flehend zur Bank blickten, um Spielstände aus anderen Stadien zu erfahren – von denen, die ein Radio dabeihatten. Als ein Raunen durch die Arenen ging, wenn die Kunde von einem Tor wie ein Lauffeuer die Runde machte. Noch früher war oft die Anzeigetafel die einzige Informationsquelle. Wie schön wäre es, solch eine Dramatik wieder einmal zu erleben. Stattdessen Tristesse. Heute weiß man schon vor der Saison, wer am Ende jubelt: Natürlich wieder die Bayern.
Nun also die neunte Meisterschaft in Serie. Klar, in Details unterscheidet sie sich von den acht vorigen Titeln. Es ist zum Beispiel die erste Schale für Leroy Sané, Robert Lewandowski könnte tatsächlich 40 Tore schießen – und durch den Sieg der Dortmunder über Leipzig, von dem die Münchner beim Umziehen für das eigene Spiel gegen Gladbach erfuhren, wurden die Bayern zum ersten KatakombenMeister. Aber unterm Strich ist es eine weitere Schale auf dem Münchner Schalenstapel. Der Mietvertrag des Silberlings in einer der Vitrinen des Bayern-Museums läuft mittlerweile unbefristet.
Die zehnte Meisterschaft in Folge ist dabei schon fest eingeplant. Zwar verliert der Rekordsieger mit den Abgängen von und
David Alaba Jérôme
die wir ihm auflegen so reinmacht, dann klappt’s.“Zweimal 90 Minuten, in Freiburg und gegen Augsburg, für ein Tor zum Ausgleich oder für zwei zum Überholmanöver sollten reichen. Das Führungstor gegen Gladbach erzielte
Boateng
zwei Säulen der Meisterelf – und weil auch gehen muss, drei Autoritäten in der Kabine. Doch hinter den Oldies Manuel Neuer, Thomas Müller und Robert Lewandowski wächst längst die nächste Führungsspieler-Generation um
Javi Martínez
er nach 1:53 Minuten, so schnell wie noch nie in der Bundesliga. „Man hat gesehen, wie die Mannschaft ihn unterstützt“, betonte Flick und verriet: „Gerd Müller war das Idol meiner Jugend, aber wenn Lewy es schafft, hat
Joshua Kimmich, Leon Goretzka, Kingsley Coman, Serge Gnabry Leroy Sané Julian Nagelsmann
und heran. Dazu haben die Bayern mit den wohl vielversprechendsten Trainer Deutschlands verpflichtet – und zugleich einen aufstrebenden Konkurrenten geschwächt. Mit dem Abgang Nagelsmanns kommt auch der Entwicklungsprozess bei RB Leipzig vorerst zum Erliegen.
Es gibt in dieser Problematik verschiedene Sichtweisen, eine ist die der sportlichen Akteure. Dass die Bayern sich diesen Titel verdient haben, daran gibt es keinen Zweifel. Sie waren unumstritten die beste Mannschaft der Saison, nachhaltig bezwingen konnte sie in Deutschland genau eine Mannschaft: Holstein Kiel im DFB-Pokal. Dass sich die Spieler dennoch kritische Fragen gefallen lassen müssen, welche Bedeutung x-te
er es mehr als verdient.“Wie es funktionieren soll, weiß Lewandowski genau: „Es hilft nicht, wenn du es zu sehr willst. Du musst ruhig bleiben.“
Thomas Müller: Elf Tore, 20 Torvorlagen, der Mann sollte mit zur
Meisterschaft überhaupt noch hat, ist nicht fair.
Dann gibt es die Position des Publikums, das den Titel der Münchner mittlerweile als grauen Alltag annimmt. Dabei kann man kaum noch zwischen Bayern-Fans und Nicht-Bayern-Fans unterscheiden, beiden Gruppen geht es ähnlich. Neun Tage Kuchen nacheinander ist auch bei einem tollen Kuchen ermüdend. Eine Bundesligasaison bezieht ihre Spannung nicht mehr daraus, wer Meister wird, sondern nur noch daraus, ob die Münchner nicht Meister werden – und wenn man ganz ehrlich ist, sogar nur noch daraus, ob es bis zum letzten Spieltag spannend bleibt.
Zuletzt gibt es die systematische Sichtweise auf den Profifußball im Jahr 2021. Durch die Verteilung der Fernsehgelder ist eine Spirale des Gewinnens entstanden, die für die Liga zum Fluch wird. Mit jedem Erfolg und den damit verbundenen Einnahmen vergrößert der FC Bayern den Abstand zur Konkurrenz. Ein Ausweg aus dieser Spirale ist nicht in Sicht – man kann vom FC Bayern ja nicht verlangen, schlechter zu arbeiten. Zumal die Gegner auf europäischer Ebene einen vergleichbaren Geldspeicher haben
Und deshalb wird sich so schnell nichts an der Dominanz der Bayern ändern – auch weil die gar nicht daran denken, nachzulassen. Der künftige Vorstandschef fachte am Samstag direkt den Hunger auf Serientitel Nummer 10 an. So eine Serie sei „noch keiner Mannschaft auf diesem Planeten gelungen“, schwelgte der ExTitan – jedenfalls nicht in einer der großen europäischen Ligen. Na dann: Nach dem Titel ist vor dem Titel.
Oliver Kahn
EM – wird Bundestrainer Joachim Löw schon machen, jede Wette. Vor seinem demnächst anstehenden Nationalelf-Comeback verriet Müller das Geheimnis der Serienmeister, denen es längst nicht mehr um Titel gehe, sondern ums pure Dominieren. „Denn dieses Gefühl des Gewinnens, des Besserseins als der Gegner, das gibt dir den Kick. Der dauert nicht lange, deswegen versucht man, ihn sich immer wieder zu holen.“
Joshua Kimmich: Der Anführer und daher Kapitän der Zukunft hat sich auf der Sechser-Position unentbehrlich gemacht und ist neben Müller der zweite Lautsprecher des Teams. Ein Ehrgeizling, der die anderen mitreißt.
Jérôme Boateng: Um seinen Abschied nach der Saison (sein auslaufender Vertrag wird nicht verlängert) gab es Zoff zwischen Flick und Sportvorstand Hasan Salihamidzic. Dass der 32-Jährige davon unbeeindruckt noch so eine konstante Saison spielt und den designierten DFB-Abwehrchef Niklas Süle verdrängte, hätten ihm die wenigsten zugetraut.
Jamal Musiala: Bayerns Entdeckung der Saison, zarte 18 Jahre alt und bereits mit sechs Ligatreffern, ist zu einem ernsthaften Stammplatz-Konkurrenten geworden für die Flügelspieler Serge Gnabry, Kingsley Coman und Leroy Sané, der für rund 50 Millionen Euro letzten Sommer von Manchester City kam.
Hansi Flick: Trotz aller Widrigkeiten und hausinternen Widerstände macht er seinen siebten Titel als FCBCoach perfekt, sein Anteil „ist natürlich gewaltig“, betonte der designierte Clubchef Oliver Kahn. Nach 18 Monaten aber geht Flick auf eigenen Wunsch, der Vertrag wurde aufgelöst. Die Nationalelf darf sich freuen – sofern sich der DFB endlich bei Flick meldet (siehe Kasten).
Auch Leon Goretzka machte in dieser Saison einen Sprung nach vorne, war sowohl bei den Bayern als auch in der Nationalelf im Mittelfeld gesetzt. Umso bitterer, dass er sich bei seinem Kurzeinsatz am Samstag nach Informationen des „Kicker“einen Muskelfaserriss im Oberschenkel zugezogen. Die Saison ist für den 26-Jährigen beendet. Ob er bis zum ersten EM-Spiel (15. Juni) fit werde, sei offen.