Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Sechs Säulen für Serien-Titel Nummer 9

Bayern München feiert die 31. Meistersch­aft – Welche Akteure maßgeblich dafür verantwort­lich waren

- Von Patrick Strasser

MÜNCHEN - Fußball im Jahr 2021: Einige Bayern-Profis wie Jérôme Boateng und Jamal Musiala erlebten den Moment der eigenen Krönung am Samstagnac­hmittag als Augenzeuge der Übertragun­g auf ihrem Smartphone. Während der Platzbegeh­ung vor dem Heimspiel gegen Borussia Mönchengla­dbach machte die andere Borussia, der einst so beharrlich­e Rivale aus Dortmund, Titel Nummer 9 in Serie klar – durch das 3:2 gegen RB Leipzig, Bayerns letztem Verfolgerc­hen. Uneinholba­r ohne zu spielen. Muss witzig sein, wenn man eine PushNachri­cht aufs Handy bekommt: Der FC Bayern München ist zum 31. Mal Deutscher Meister. Das bin ja ich!

Andere, die um 17.22 Uhr noch in der Kabine waren, sahen das Ende der Partie in Dortmund auf TV-Bildschirm­en. Die Stimmung sei „schon etwas gelöst“gewesen, berichtete Thomas Müller, mit nun zehn Schalen der Rekordmeis­ter unter den Rekordmeis­tern und erzählte: „Es ging ein Raunen durch die Kabine.“Mehr nicht. Bayerische­r Pragmatism­us. Routine im Gewinnen erzeugt Routine im Feiern.

Sie wollten es trotzdem noch mal wissen. Das 6:0 gegen Gladbach war eine Machtdemon­stration, eine von Zwängen und Rechnereie­n unabhängig­e Galavorste­llung samt des Dreierpack­s von Toptorjäge­r Robert Lewandowsk­i. „Das Spiel war eines Meisters würdig“, befand Trainer Hansi Flick. „Ein toller Tag für uns“, sagte Torhüter Manuel Neuer und unterstric­h: „Wir haben noch mal demonstrie­rt, dass wir die wahre Nummer 1 in Deutschlan­d sind.“Die alten und neuen Könige des Landes erhalten das Dokument der Macht, die Meistersch­ale, am 22. Mai nach dem Heimspiel gegen Augsburg. In nicht-bayerische­n, weil in schwarz-gelben Händen war die silberne Schüssel zuletzt 2012.

Vor allem sechs Bayern waren für den neunten Titel hintereina­nder maßgeblich:

Robert Lewandowsk­i: Dem 32Jährigen fehlt nun nur noch ein Treffer, um Gerd Müllers scheinbar unerreichb­aren 40-Tore-Rekord aus der Saison 1971/72 zu egalisiere­n. „Wir geben alles, er gibt alles“, meinte Vorlagenkö­nig Müller, „wenn er die Dinger,

Erinnern Sie sich noch an den 19. Mai 2001? Vier Minuten und 38 Sekunden war der FC Schalke 04 deutscher Meister. Dann schlug der FC Bayern München zu – und Königsblau versank im Tal der Tränen. Es war der wohl denkwürdig­ste letzte Spieltag der Bundesliga-Geschichte – doch bei Weitem nicht der einzige spannende. Was gab es nicht für Meister-Entscheidu­ngen in der Bundesliga-Historie. Als Spieler in den 1980er-Jahren flehend zur Bank blickten, um Spielständ­e aus anderen Stadien zu erfahren – von denen, die ein Radio dabeihatte­n. Als ein Raunen durch die Arenen ging, wenn die Kunde von einem Tor wie ein Lauffeuer die Runde machte. Noch früher war oft die Anzeigetaf­el die einzige Informatio­nsquelle. Wie schön wäre es, solch eine Dramatik wieder einmal zu erleben. Stattdesse­n Tristesse. Heute weiß man schon vor der Saison, wer am Ende jubelt: Natürlich wieder die Bayern.

Nun also die neunte Meistersch­aft in Serie. Klar, in Details unterschei­det sie sich von den acht vorigen Titeln. Es ist zum Beispiel die erste Schale für Leroy Sané, Robert Lewandowsk­i könnte tatsächlic­h 40 Tore schießen – und durch den Sieg der Dortmunder über Leipzig, von dem die Münchner beim Umziehen für das eigene Spiel gegen Gladbach erfuhren, wurden die Bayern zum ersten Katakomben­Meister. Aber unterm Strich ist es eine weitere Schale auf dem Münchner Schalensta­pel. Der Mietvertra­g des Silberling­s in einer der Vitrinen des Bayern-Museums läuft mittlerwei­le unbefriste­t.

Die zehnte Meistersch­aft in Folge ist dabei schon fest eingeplant. Zwar verliert der Rekordsieg­er mit den Abgängen von und

David Alaba Jérôme

die wir ihm auflegen so reinmacht, dann klappt’s.“Zweimal 90 Minuten, in Freiburg und gegen Augsburg, für ein Tor zum Ausgleich oder für zwei zum Überholman­över sollten reichen. Das Führungsto­r gegen Gladbach erzielte

Boateng

zwei Säulen der Meisterelf – und weil auch gehen muss, drei Autoritäte­n in der Kabine. Doch hinter den Oldies Manuel Neuer, Thomas Müller und Robert Lewandowsk­i wächst längst die nächste Führungssp­ieler-Generation um

Javi Martínez

er nach 1:53 Minuten, so schnell wie noch nie in der Bundesliga. „Man hat gesehen, wie die Mannschaft ihn unterstütz­t“, betonte Flick und verriet: „Gerd Müller war das Idol meiner Jugend, aber wenn Lewy es schafft, hat

Joshua Kimmich, Leon Goretzka, Kingsley Coman, Serge Gnabry Leroy Sané Julian Nagelsmann

und heran. Dazu haben die Bayern mit den wohl vielverspr­echendsten Trainer Deutschlan­ds verpflicht­et – und zugleich einen aufstreben­den Konkurrent­en geschwächt. Mit dem Abgang Nagelsmann­s kommt auch der Entwicklun­gsprozess bei RB Leipzig vorerst zum Erliegen.

Es gibt in dieser Problemati­k verschiede­ne Sichtweise­n, eine ist die der sportliche­n Akteure. Dass die Bayern sich diesen Titel verdient haben, daran gibt es keinen Zweifel. Sie waren unumstritt­en die beste Mannschaft der Saison, nachhaltig bezwingen konnte sie in Deutschlan­d genau eine Mannschaft: Holstein Kiel im DFB-Pokal. Dass sich die Spieler dennoch kritische Fragen gefallen lassen müssen, welche Bedeutung x-te

er es mehr als verdient.“Wie es funktionie­ren soll, weiß Lewandowsk­i genau: „Es hilft nicht, wenn du es zu sehr willst. Du musst ruhig bleiben.“

Thomas Müller: Elf Tore, 20 Torvorlage­n, der Mann sollte mit zur

Meistersch­aft überhaupt noch hat, ist nicht fair.

Dann gibt es die Position des Publikums, das den Titel der Münchner mittlerwei­le als grauen Alltag annimmt. Dabei kann man kaum noch zwischen Bayern-Fans und Nicht-Bayern-Fans unterschei­den, beiden Gruppen geht es ähnlich. Neun Tage Kuchen nacheinand­er ist auch bei einem tollen Kuchen ermüdend. Eine Bundesliga­saison bezieht ihre Spannung nicht mehr daraus, wer Meister wird, sondern nur noch daraus, ob die Münchner nicht Meister werden – und wenn man ganz ehrlich ist, sogar nur noch daraus, ob es bis zum letzten Spieltag spannend bleibt.

Zuletzt gibt es die systematis­che Sichtweise auf den Profifußba­ll im Jahr 2021. Durch die Verteilung der Fernsehgel­der ist eine Spirale des Gewinnens entstanden, die für die Liga zum Fluch wird. Mit jedem Erfolg und den damit verbundene­n Einnahmen vergrößert der FC Bayern den Abstand zur Konkurrenz. Ein Ausweg aus dieser Spirale ist nicht in Sicht – man kann vom FC Bayern ja nicht verlangen, schlechter zu arbeiten. Zumal die Gegner auf europäisch­er Ebene einen vergleichb­aren Geldspeich­er haben

Und deshalb wird sich so schnell nichts an der Dominanz der Bayern ändern – auch weil die gar nicht daran denken, nachzulass­en. Der künftige Vorstandsc­hef fachte am Samstag direkt den Hunger auf Serientite­l Nummer 10 an. So eine Serie sei „noch keiner Mannschaft auf diesem Planeten gelungen“, schwelgte der ExTitan – jedenfalls nicht in einer der großen europäisch­en Ligen. Na dann: Nach dem Titel ist vor dem Titel.

Oliver Kahn

EM – wird Bundestrai­ner Joachim Löw schon machen, jede Wette. Vor seinem demnächst anstehende­n Nationalel­f-Comeback verriet Müller das Geheimnis der Serienmeis­ter, denen es längst nicht mehr um Titel gehe, sondern ums pure Dominieren. „Denn dieses Gefühl des Gewinnens, des Bessersein­s als der Gegner, das gibt dir den Kick. Der dauert nicht lange, deswegen versucht man, ihn sich immer wieder zu holen.“

Joshua Kimmich: Der Anführer und daher Kapitän der Zukunft hat sich auf der Sechser-Position unentbehrl­ich gemacht und ist neben Müller der zweite Lautsprech­er des Teams. Ein Ehrgeizlin­g, der die anderen mitreißt.

Jérôme Boateng: Um seinen Abschied nach der Saison (sein auslaufend­er Vertrag wird nicht verlängert) gab es Zoff zwischen Flick und Sportvorst­and Hasan Salihamidz­ic. Dass der 32-Jährige davon unbeeindru­ckt noch so eine konstante Saison spielt und den designiert­en DFB-Abwehrchef Niklas Süle verdrängte, hätten ihm die wenigsten zugetraut.

Jamal Musiala: Bayerns Entdeckung der Saison, zarte 18 Jahre alt und bereits mit sechs Ligatreffe­rn, ist zu einem ernsthafte­n Stammplatz-Konkurrent­en geworden für die Flügelspie­ler Serge Gnabry, Kingsley Coman und Leroy Sané, der für rund 50 Millionen Euro letzten Sommer von Manchester City kam.

Hansi Flick: Trotz aller Widrigkeit­en und hausintern­en Widerständ­e macht er seinen siebten Titel als FCBCoach perfekt, sein Anteil „ist natürlich gewaltig“, betonte der designiert­e Clubchef Oliver Kahn. Nach 18 Monaten aber geht Flick auf eigenen Wunsch, der Vertrag wurde aufgelöst. Die Nationalel­f darf sich freuen – sofern sich der DFB endlich bei Flick meldet (siehe Kasten).

Auch Leon Goretzka machte in dieser Saison einen Sprung nach vorne, war sowohl bei den Bayern als auch in der Nationalel­f im Mittelfeld gesetzt. Umso bitterer, dass er sich bei seinem Kurzeinsat­z am Samstag nach Informatio­nen des „Kicker“einen Muskelfase­rriss im Oberschenk­el zugezogen. Die Saison ist für den 26-Jährigen beendet. Ob er bis zum ersten EM-Spiel (15. Juni) fit werde, sei offen.

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FOTO: MORITZ MUELLER/ IMAGO IMAGES Drei Leistungst­räger im Jubel vereint: Robert Lewandowsk­i, Thomas Müller und Jamal Musiala (v. li.).
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FOTO: IMAGO IMAGES Im Bayern-Museum reihen sich die Meistersch­alen aneinander.

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