Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Joseph Beuys und seine Holzkiste

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Im Herbst 1975 hatte ich das Multiple „Intuition“von Joseph Beuys gekauft, eine schlichte kleine Holzkiste mit zwei kaum sichtbaren waagerecht­en Bleistifts­trichen, vom Künstler signiert und datiert. Zwölf Mark hat es gekostet, was etwas ärgerlich war, denn als dieses Objekt 1968 in hoher Auflage auf den Kunstmarkt gekommen war, hatte es lediglich acht Mark gekostet. Die originelle Arbeit wurde in der Wohnung aufgehängt. Nahezu alle Besucher sprachen mich auf dieses Objekt an, fast immer mit Unverständ­nis, oft auch mit spöttische­m Unterton („Was, das soll Kunst sein?“).

Einige zeigten aber auch Interesse und fragten, was der Künstler mit diesem Kistchen wohl zum Ausdruck bringen wollte. Die Antwort musste ich regelmäßig schuldig bleiben, was zunehmend peinlich wurde. Deshalb schrieb ich im Januar 1976 einen Brief an Joseph Beuys mit der Bitte, mir doch kurz zu erklären, was es mit seinem Objekt „Intuition“tatsächlic­h auf sich habe. Wenige Tage später bekam ich Post vom Künstler. Zwar äußerte er sich nicht direkt zu meiner Frage, aber seine handschrif­tlichen Zeilen brachten mir doch sein besonderes Kunstverst­ändnis deutlich näher.

Die Holzkiste „Intuition“ist inzwischen zu einem Klassiker unter den Multiples von Joseph Beuys geworden. Exemplare davon befinden sich in den Sammlungen vieler großer Museen, auch der Münchner Pinakothek der Moderne und sogar des Museums of Modern Art in New York. Der Ärger über die damals gezahlten zwölf Mark ist längst der Freude über eine höchst rentable Investitio­n gewichen. Das unscheinba­re Kistchen wird heute im Internet zu Preisen zwischen 500 und 1000 Euro angeboten. (Rolf Dieterich)

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FOTO: PRIVAT „Intuition“von Beuys.

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