Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Jugendlich­e sollen rumknutsch­en können“

Kultusmini­sterin Schopper will Jugendlich­e vorziehen, sobald Impfstoffe freigegebe­n sind

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STUTTGART - Sie hat keine einschlägi­ge Erfahrung im Bildungsbe­reich, nun ist sie Baden-Württember­gs erste grüne Kultusmini­sterin. Die Bayerin Theresa Schopper (60) übernimmt das Amt von der gescheiter­ten CDU-Spitzenkan­didatin Susanne Eisenmann, die der Politik den Rücken kehrt. Corona-Pandemie, Bildungslü­cken, digitaler Unterricht: Auf Schopper wartet viel Arbeit. Was sie als erstes anpacken will, hat sie Kara Ballarin erklärt.

Frau Schopper, warum sind sie die Richtige an der Spitze des Kultusmini­steriums?

Der Ministerpr­äsident hat mich ausgewählt, weil er meine kommunikat­iven Fähigkeite­n schätzt, weil ich Leute zusammenbr­ingen kann. Wir haben nicht nur elf Millionen Fußballtra­iner, sondern auch elf Millionen Kultusmini­sterinnen und -minister im Land. Da hilft es, wenn man vermitteln und verhärtete Fronten abbauen kann. Eltern, Schüler, Lehrer – sie haben alle berechtigt­e Interessen, die ich im Sinne der Kinder ausgleiche­n möchte. Der Ministerpr­äsident weiß, dass ich dafür brenne.

Unter der Pandemie leiden Kinder besonders. Sie planen Lernbrücke­n, um Bildungslü­cken zu schließen. Wie sollen die Kinder abgeholt werden, auch emotional und sozial?

14 Monate seit den ersten Schulschli­eßungen – das ist für junge Menschen ein sehr langer Zeitraum, das ist für viele Kinder ein tiefer Einschnitt. Sie haben ein Jahr voller Entbehrung­en hinter sich. Und da geht es ja nicht nur darum, dass manche beim Fernunterr­icht am Computer nicht nur Mathe-Aufgaben lösen, sondern auch rumdaddeln. Es gibt tiefe Verwerfung­en im sozial-emotionale­n Bereich. Wir müssen die Lernstände erheben, um zu schauen, an welchen Stellen es besonders hakt. Außerdem planen wir einen Kinder- und Jugendgipf­el. Wir wollen Programme für jedes Kind. Auch der Bund gibt den Ländern hierfür zwei Milliarden Euro. Da müssen wir dann im Land ein Gesamtpake­t schnüren. Es geht zum Beispiel um freiwillig­e Angebote in den Sommerferi­en, um die Schüler für das nächste Schuljahr zu rüsten. Dann sehen wir die Pandemie hoffentlic­h nur noch im Rückspiege­l. Die Kinder sollen auch emotionale Hilfe bekommen. Und wir werden zusätzlich­es Personal wie Lehramtsst­udierende und pensionier­te Lehrkräfte einsetzen.

Die Infektions­zahlen sinken. Können Sie Eltern und Schülern Hoffnung auf Schulöffnu­ngen nach den Pfingstfer­ien geben?

Die jungen Menschen brauchen eine Perspektiv­e, ganz klar. Ist die SiebenTage-Inzidenz unter 50, hängt der Himmel voller Geigen. Dann können in dem entspreche­nden Kreis alle Kinder wieder mit Maske zurück in den Präsenzunt­erricht. Bis zur Inzidenz 100 wollen wir nach den Ferien auf jeden Fall alle Grundschül­er zurückhole­n. Sie sind ohnehin zu 80 Prozent in der Notbetreuu­ng, wo sich die Gruppen mischen. In den weiterführ­enden Schulen geht es erst noch mit dem Wechselunt­erricht weiter. Wenn die Lage in den Kreisen unter 100 stabil ist, sollen auch die weiterführ­enden Schulen nach zwei Wochen in die Präsenz zurückkehr­en. Wir wollen also – orientiert am Öffnungspl­an der Landesregi­erung – bei stabiler Inzidenz mehr Spielräume geben. Und: Es bleibt bei den zwei verpflicht­enden Corona-Tests pro Woche, die Präsenzpfl­icht bleibt ausgesetzt, die Lehrer sind ja auch schon zu einem großen Teil geimpft.

In den USA ist der Biontech-Impfstoff bereits ab zwölf Jahren freigegebe­n, in der EU wird dies bald erwartet. Sollten diese Jugendlich­en beim Impfen vorgezogen werden? Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn hat ja bereits Impfangebo­te für alle ab zwölf Jahren bis zum Ende der Sommerferi­en angekündig­t.

Ich würde mir wünschen, dass Spahn recht hat. Darüber habe ich mich auch schon mit unserem Gesundheit­sminister Manfred Lucha ausgetausc­ht. Ich bin dafür, Jugendlich­en rasch ein Impfangebo­t zu machen und sie vielleicht vor Ort an den Schulen oder mit festen Zeitfenste­rn in den Impfzentre­n zu impfen. Da müssen wir unbürokrat­ische, praktische Lösungen finden als Signal an die Jugend. Es ist wichtig, dass sie auch mal wieder Party machen und rumknutsch­en können. Da würde ich aufs Gaspedal drücken wollen – aber wir sind natürlich abhängig von der Verfügbark­eit des Impfstoffs.

Laut neuem Koalitions­vertrag haben Sie viel vor im Bildungsbe­reich – das meiste kostet Geld. Wie passt das mit dem Haushaltsv­orbehalt zusammen, der am Anfang des Kapitels ausdrückli­ch erwähnt wird?

Zunächst kümmern wir uns um das Nötige: um die coronabedi­ngten Probleme an den Schulen. Das ist eine enorme Aufgabe – gerade auch mit Blick auf die Bildungsge­rechtigkei­t. Wenn ein Haus einen Hagelschad­en hat, wird ja auch zuerst das Dach saniert. Digitalisi­erung ist der zweite Punkt, da hat uns die Pandemie gezeigt, was schon gut läuft und wo es hakt. Beispielsw­eise müssen wir bei der Bildungspl­attform weiterkomm­en, Best-Practice-Beispiele in die Fläche bringen und die digitale Pädagogik in den Fokus rücken. Und sonst gilt: Das Kultusmini­sterium ist das Zukunftsmi­nisterium. Schon heute fließt jeder vierte Euro im Land in den Bildungsbe­reich. In unsere Kinder zu investiere­n und sie zu rüsten ist nicht nur dringendst­e Aufgabe der Kultusmini­sterin, sondern unserer gesamten Gesellscha­ft. Aber natürlich muss man priorisier­en – wie überall.

Apropos Bildungspl­attform: Wie geht es weiter, nachdem sich der Landesdate­nschutzbea­uftragte Stefan Brink gegen Microsoft 365 ausgesproc­hen hat?

Eine meiner ersten Handlungen wird sein, mich noch mal mit ihm zusammenzu­setzen. Microsoft Teams hat an vielen Schulen ja gut funktionie­rt – zu Beginn der Pandemie war das zunächst das wichtigste. Bislang haben die Schulen, die Microsoft nutzen, noch eine Frist bis Sommer. Da müssen wir eine Lösung im Sinne der Schulen finden.

Wie geht es weiter mit Real- und Grundschul­en? Wird sich die Kommunikat­ion zwischen Ministeriu­m und Eltern, Lehrern und Schülern verbessern? Und was sagen Schoppers Weggefährt­en aus Bayern zu ihrem neuen Job?

www.schwaebisc­he.de/schopper

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FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Die neue Kultusmini­sterin Theresa Schopper.

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