Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Reh scheucht alle auf
Die Laichinger Läuferin überrascht in Nürnberg ebenso wie die Baumann-Tochter
NÜRNBERG - Alina Reh, dieser schüchterne Lockenkopf aus der Schwäbischen Alb, blickte ziemlich überrascht auf die Journalistenschar, die sich vor ihr aufbaute. „Oh Gott, oh Gott. So viele Menschen!“, sagte die 18 Jahre junge Laichingerin nach ihrem mühelosen Sieg über 5000 Meter. Von Sabrina Mockenhaupt, der deutschen Langstrecken-Seriensiegerin im letzten Jahrzehnt, nahm kaum einer mehr Notiz. Wie Reh die Dauerbrennerin abgehängt hatte, war eine der dicken Überraschungen der deutschen Leichtathletik-Meisterschaft in Nürnberg. Und ein Zeichen für die Zukunft.
„In Alina Reh haben wir eine Läuferin, die die nächsten zehn, zwanzig Jahre die Szene beherrschen wird“, sagte die 34-jährige Mockenhaupt über ihre halb so alte Rivalin. Tatsächlich rannte Reh, die im Vorjahr bei den Olympischen Jugendspielen Silber geholt hatte, in 15:51,48 Minuten nicht nur deutschen Jugendrekord, sondern von der ersten Runde an allen auf und davon. Auch Mockenhaupt, die in 14 Jahren nur ein Mal auf dieser Distanz den Titel verpasst hatte, hatte keine Chance. Sie hatte nach einer Fußoperation zwar Trainingsrückstand, doch die Wachablösung war unübersehbar.
Reh gilt als Juwel. Am Wochenende zuvor hatte sie bei der U20-EM in Schweden über 3000 und 5000 Meter Gold abgeräumt. In Nürnberg lief sie ihr erstes Freiluft-Meisterschaftsrennen bei den Aktiven, erstmals gegen ihr Vorbild Mockenhaupt („Ich habe immer davon geträumt“) – und führte die dann vor. Die WM im August in Peking stand für Reh nie auf dem Plan, dafür ist sie noch nicht schnell genug – 35 Sekunden fehlen noch zur Norm, nach der Jugend-Meisterschaft wird Auf Vater Dieters Spuren: HürdenMeisterin Jackie Baumann aus Tübingen.
Die Zukunft in der deutschen Laufszene gehört ihr: Alina Reh aus Laichingen feiert ihren Titel. sie die Saison beenden. Dennoch hat sie bereits mehr erreicht als gedacht: „Ich dachte, dass dieses Jahr eines sein würde, wo mal nicht so viele Erfolge eintreten“, sagte Reh. Da irrte sie sich. „Hut ab!“, sagte Mockenhaupt über Rehs Auftritt. „Die ist noch schüchtern. Aber das wird sich ändern.“Reh startet für den TSV Erbach, dass größere Klubs um die Gymnasiastin werben, lässt sie kalt. „Ich bin sehr heimatverbunden. Momentan möchte ich überhaupt nicht weg. Ich wohne noch bei meinen Eltern“, erklärte sie.
Traber verbessert Rekord
„Alina hat eine hohe Bewegungsbegeisterung und eine enorme Belastungsbereitschaft“, sagte ihr Trainer Michael Schwenkedel. In der Woche läuft sie um die 100 Kilometer. Mit zehn hatte sie ihr erstes Frauenrennen gewonnen, irgendwann will sie unbedingt zu Olympia, Rio dürfte wohl noch zu früh kommen. Davor muss sie ohnehin noch lernen, ihre Ellbogen einzusetzen. „Ich mag es überhaupt nicht, im Feld zu laufen“, räumte Reh ein. Bislang lief sie praktisch immer alleine vorneweg.
Das tat auch der Meckenbeurer Gregor Traber, der über die 110 Meter Hürden so schnell lief wie kein Deutscher mehr seit zehn Jahren und nach zwei Hallensiegen seinen ersten Freilufttitel holte. In 13,32 Sekunden verbesserte der 22-Jährige seinen Rekord bei 0,4 m/s Rückenwind um eine Zehntel. „Um den WM-Vorlauf in Peking zu überstehen, muss ich sicher unter 13,50 laufen, für das Halbfinale ähnlich schnell wie heute, und das ist das Ziel. Ein Fehler, und du bist raus. Deswegen bin ich froh, mich so gesteigert zu haben. Das gibt mir ein besseres Gefühl.“, sagte Traber, der „unter meinem Freund“, wie er Trainer Marlon Odom nennt, mehr auf Lauf-Qualität und Regeneration setzt. Einen weiteren Titel für den Bodensee holte Trabers Kumpel Richard Ringer: Der Überlinger EM-Vierte siegte über 5000 Meter in 14:04,15 Minuten.
Und dann war da noch eine Läuferin mit großem Erbe: Jackie Baumann, 19-jährige Tochter des Tübinger Olympiasiegers Dieter Baumann, gewann die 400 Meter Hürden in 57,18 Sekunden – ihr erster Titel, 1,5 Sekunden fehlen zur WM-Norm. Auf der Tribüne jubelten Dieter und Isabelle, ihre Mutter und Trainerin, die drei Jahre vor der Geburt der Tochter bereits den Vater beim Olympiasieg betreut hatte. „Ich bin extrem stolz darauf, was mein Dad geschafft hat. Er ist mein Vorbild und gibt mir auch Ratschläge. Aber ich bin nicht mein Vater. Das ist meine Geschichte, die ich schreibe“, sagte Jackie Baumann. Nachdem sie sich im Basketball, Fußball, Reiten und Turnen ausprobiert hatte, hatte sie sich erst mit elf Jahren für die Leichtathletik entschieden, nicht überraschend: „Irgendwie war das doch die logische Konsequenz bei dieser Familiengeschichte.“
Die Sport- und Mathematik-Studentin hofft auf die EM 2016 und Olympia 2020. Der Name Baumann dürfte künftig also wieder öfter in den Leichtathletik-Stadien auftauchen. Zumal Jackies jüngerer Bruder Robert ein großes 800-Meter-Talent ist.