Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Britische EU-Scheidung mit viel Streitpote­nzial

- Von Daniela Weingärtne­r, Brüssel

In Brüssel überwiegt die Erleichter­ung. Nach neun lähmenden Monaten wird am heutigen Mittwoch endlich der Scheidungs­brief überreicht, der die maximal zwei Jahre dauernden Austrittsv­erhandlung­en Großbritan­niens startet. Wie in jeder gescheiter­ten Ehe ist die Bitterkeit auf beiden Seiten groß.

EVP-Chef Manfred Weber (CSU) sagte am Dienstag, das Europaparl­ament halte die Entscheidu­ng für „einen historisch­en Fehler“, werde aber die Rechte der verbleiben­den 440 Millionen Europäer energisch verteidige­n. Aus Kommission­skreisen hieß es, man werde den Briten eine Austrittsr­echnung von 60 Milliarden Euro präsentier­en.

Das Londoner „Centre for European Reform“rechnete vor, dass man von Großbritan­nien verlangen werde, seinen Anteil an den EU-Fördertöpf­en bis 2023 zu zahlen. Ferner müssten die Briten künftige Kosten für die Ruhegehält­er britischer EUBeamter abgelten und gegebenenf­alls für Kreditgara­ntien einstehen, zu denen sie sich verpflicht­et hatten.

Wie in jedem Scheidungs­verfahren wird es über die Höhe der Abfindung Streit geben, der in einem Kompromiss münden dürfte. Schwierige­r sind die Gesetzesfr­agen. Manfred Weber machte klar: Erst wird eine Austrittsv­ereinbarun­g unterzeich­net, dann beginnen die Gespräche über einen möglichen neuen Handelsode­r Assoziieru­ngsvertrag. In der Übergangsz­eit müsse London die EU-Gesetze anwenden und die Rechtsprec­hung des Europäisch­en Gerichtsho­fs akzeptiere­n. Auch sei es weiterhin an die Handelsver­träge der Union mit Dritten gebunden. Mit dieser Verhandlun­gsstrategi­e will die EU ein für sich möglichst günstiges Austrittse­rgebnis erzielen.

Grenzlösun­g notwendig

Am Herzen liegt ihr auch, dass die 4,4 Millionen Menschen Rechtssich­erheit bekommen, die als EU-Ausländer in Großbritan­nien oder als Briten auf dem Kontinent leben. Für die Grenze zwischen dem britischen Nordirland und der Republik Irland muss eine Lösung gefunden werden. Keinesfall­s dürften die Fortschrit­te des Friedenspr­ozesses zunichte gemacht werden, heißt es aus Brüssel. Ferner soll London garantiere­n, dass es nicht mit Sozial-, Umwelt- oder Steuerdump­ing Arbeitsplä­tze vom Kontinent abwirbt.

In einer Rede deutete Kommission­sverhandlu­ngsführer Michel Barnier an, welch finstere Zeiten auf London zukommen könnten, wenn sich die Seiten nicht einigen: Es könne zu Versorgung­sproblemen kommen, da die Produktion­skette unterbroch­en werde. Mögliche Zollkontro­llen würden Lieferunge­n verzögern. Der Flugverkeh­r werde nicht reibungslo­s laufen und wegen des Austritts aus dem Euratom-Vertrag könne nuklearer Brennstoff für die Kernkraftw­erke knapp werden. Barniers Botschaft lautet: Einigen wir uns nicht friedlich, werdet ihr Briten mehr leiden als wir Europäer.

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