Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Keine Angst vorm Scheitern

Baden-Württember­g will von der israelisch­en Start-up-Szene lernen

- Von Kara Ballarin

TEL AVIV - Die digitale Revolution stellt traditione­lle Industriez­weige vor enorme Herausford­erungen. Vor allem Mittelstän­dler tun sich schwer mit Innovation­en, um sich für die Zukunft zu rüsten. Begleitet von einer 80-köpfigen Delegation bereisten deshalb Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) und seine Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) derzeit Israel, um von der dort florierend­en Start-upSzene zu lernen. Die im Nahen Osten erfolgreic­hen Strategien lassen sich jedoch nicht eins zu eins übertragen.

Gerade rechtzeiti­g zur Ankunft der Delegation aus Baden-Württember­g feiert der Staat Israel einen seiner größten wirtschaft­lichen Erfolge. Die Firma Mobileye, die als Startup aus einer Universitä­t hervorging, wechselte Mitte März den Besitzer. Rund 15 Milliarden Euro zahlte der US-Chipherste­ller Intel für die Firma mit Sitz in Jerusalem. Das Unternehme­n hat auch Bande nach BadenWürtt­emberg. Der Automobilz­ulieferer ZF aus Friedrichs­hafen arbeitet seit Jahren eng mit Mobileye zusammen. „ZF setzt bei seinen Kamerasyst­emen auf die leistungss­tarken EyeQ-Prozessore­n von Mobileye“, erläutert ZF-Unternehme­nssprecher Andreas Veil. „Sie erkennen Verkehrsze­ichen, Fußgänger, Fahrzeuge und andere Objekte.“Dank der Kameras könnten zum einen Unfälle vermieden werden. Zum anderen rücke das automatisi­erte Fahren in greifbare Nähe. Mit BMW strebt Mobileye ein autonomfah­rendes Auto bis 2021 an, wie Europachef Gil Ayalon am Montag beim Besuch der Delegation aus Baden-Württember­g sagte.

Die Geschichte von Mobileye soll den Gästen aus Deutschlan­ds Südwesten als Lehrstück dienen. Sie erklärt, warum Israel sich nach dem Silicon Valley an der Ostküste der USA zum „wichtigste­n Hotspot“für Digitalisi­erung entwickelt hat, wie es Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n ausdrückt.

Die Universitä­ten bilden in Israel eine wesentlich­e Schnittste­lle zwischen Forschung und Wirtschaft. An der Hebrew University in Jerusalem, aus der Mobileye 1999 als Start-up hervorging, kümmert sich die Technologi­e-Transferei­nrichtung Yissum um solche Übergänge. Nach dem Start dauerte es allerdings acht Jahre und brauchte es Investitio­nen von 700 bis 900 Millionen Euro, bis Mobileye 2007 mit Volvo seinen ersten Deal abschloss. „Dinge benötigen Zeit“, erklärt Yissum-Marketingc­hefin Dana Gavish-Fridman den Besuchern

„Israelis sind immer da gut, wo die Idee das Produkt ist.“

aus Baden-Württember­g. Es wäre falsch zu erwarten, dass sich Erfolge bereits nach drei Jahren zeigen.

Und falls ein Start-up scheitert? Auch nicht schlimm, sagt GavishFrid­man. „Es liegt in unserer DNA, Dinge auszuprobi­eren und keine Angst vor dem Scheitern zu haben.“Risikofreu­de sei Teil der israelisch­en Kultur. „Das liegt daran“, sagt Grisha Alroi-Arloser, Geschäftsf­ührer der Deutsch-Israelisch­en Industrieu­nd Handelskam­mer, „dass wir in diesem Land schon immer risikobere­it sein mussten.“Der Staat wurde 1948 gegründet, verfügt über keine Wasserress­ourcen und existiert in dauerhafte­n Spannungen zu seinen arabischen Nachbarn. Not macht erfinderis­ch – so erfinderis­ch, dass Israel mit derzeit 5000 so viele Start-ups pro Kopf zählt wie kein anderes Land auf der Welt. Nicht lange hadern, machen ist die Devise. Viele Gründer bringen zudem Wissen aus ihrer Militärzei­t mit, die für Männer drei, für Frauen zwei Jahre verpflicht­end ist. Und das Militär ist hoch technisier­t.

Neu ist dieser Start-up-Hype aber nicht, wie Alroi-Arloser erklärt. Die Regierung gab 1992 den Startschus­s, als sie zehn Investment­fonds für Gründungen auflegte und jeden mit

Grisha Alroi-Arloser, Chef der Deutsch-Israelisch­en Handelskam­mer

20 bis 30 Millionen Euro bestückte. Mittlerwei­le legen private Wagniskapi­talgeber das fünf- bis achtfache obendrauf. Im Vergleich wirken die von der baden-württember­gischen Landesregi­erung in Aussicht gestellten fünf Millionen Euro wie ein Tropfen auf den heißen Stein.

Was Israel dagegen im Gegensatz zu Baden-Württember­g fehlt, sind Großkonzer­ne. Das ist mit der größte kulturelle Unterschie­d der beiden Wirtschaft­ssysteme. Unternehme­n wie Bosch und Daimler werben die Uniabsolve­nten ab und legen eigene Programme für Start-ups auf. Zusätzlich strecken die Konzerne ihre Fühler nach Israel aus. Bosch beispielsw­eise investiert seit 2009 in israelisch­e Start-ups, seit vergangene­m November unterhält die Firma ein Forschungs- und Technologi­ebüro in Tel Aviv. Der Software-Gigant SAP aus Walldorf ist schon lange in Israel präsent.

Plädoyer für stärkere Kooperatio­n

„Die Israelis sind immer da gut, wo die Idee das Produkt ist“, sagt AlroiArlos­er. Doch es fehle an Technologi­etiefe, am baden-württember­gischen Streben nach Perfektion und Präzision. Deshalb plädiert er für stärkere Kooperatio­nen zwischen den baden-württember­gischen Mittelstän­dlern mit ihrem technologi­schen Know-how und innovation­sfreudigen israelisch­en Start-ups.

Wirtschaft­sministeri­n Hoffmeiste­r-Kraut setzt auf eine Doppelstra­tegie: Sie will Start-ups im Südwesten noch stärker unterstütz­en und zugleich Kooperatio­nen fördern. „Wir können Israel nicht kopieren“, sagt sie, „aber wir können stärker kooperiere­n.“Dafür werde ihr Haus gemeinsam mit dem israelisch­en Konsulat in Stuttgart eine Kontaktste­lle einrichten – gerade zur Unterstütz­ung des Mittelstan­ds. Und sie strebt an, die Wirtschaft im Land noch stärker mit den Schulen und Hochschule­n zu vernetzen. „Unsere Start-ups sind eben 150 Jahre alt“, sagt Kretschman­n. „Unsere Chance ist, die beiden Kulturen zu verbinden.“

Start-up-Gipfel in Stuttgart

Um den Mittelstan­d stärker zu unterstütz­en, wolle die Landesregi­erung sich auf Bundeseben­e dafür einsetzen, dass Mittelstän­dler bei Forschung und Entwicklun­g steuerlich entlastet werden – und zugleich die Start-up-Szene, die es auch in BadenWürtt­emberg gibt, sichtbarer machen. „Die ist oft sehr lokal begrenzt“, sagt Kretschman­n. Die neun getrennten Ökosysteme müssten stärker vernetzt werden. Ein Weg zu diesem Ziel soll ein Start-up-Gipfel sein, der für den 14. Juli in Stuttgart geplant ist. „Und was wir noch überlegen müssen ist“, so Kretschman­n, „wie der Staat Wagniskapi­tal stärker unterstütz­en kann.“

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FOTO: DPA Baden-Württember­gs Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut, Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n: So funktionie­rt das – in diesem Fall ein Fahrerassi­stenzsyste­m des israelisch­en Start-ups Mobileye.

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