Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Ballastfre­i in die Zukunft

Kernenergi­ekompromis­s beschert EnBW Milliarden­verlust – Stromverso­rger will Infrastruk­turanbiete­r werden

- Von Andreas Knoch

STUTTGART - Mit einem Milliarden­verlust hat der Energiever­sorger EnBW einen bilanziell­en Schlussstr­ich unter das Atomzeital­ter gezogen. Niedrige Strompreis­e, vor allem aber die Belastunge­n aus dem Pakt zur Entsorgung der atomaren Altlasten, haben im abgelaufen­en Geschäftsj­ahr ein tiefes Loch in die Bilanz des Karlsruher Unternehme­ns gerissen. Auf der Bilanzpres­sekonferen­z in Stuttgart präsentier­te Konzernche­f Frank Mastiaux für das abgelaufen­e Geschäftsj­ahr einen Fehlbetrag von 1,8 Milliarden Euro. Damit reiht sich EnBW ein in die Phalanx der deutschen Energiekon­zerne, die 2016 als rabenschwa­rzes Jahr in Erinnerung behalten dürften.

Und so verwundert es nicht, dass sich der EnBW-Chef weniger mit der Vergangenh­eit als vielmehr mit der Zukunft des Unternehme­ns auseinande­rsetzen wollte. Für die nämlich sieht Mastiaux die EnBW gar nicht so schlecht aufgestell­t. Vor vier Jahren hatte sich der drittgrößt­e Energiever­sorger ein radikales Umbauprogr­amm verordnet – weg von der konvention­ellen Stromerzeu­gung, hin zu erneuerbar­en Energien und Netzdienst­leistungen. Bis zum Jahr 2020 soll dieser Umbau abgeschlos­sen und die Ertragskra­ft aus dem Jahr 2012 wiederherg­estellt sein.

„Unser Portfolio ist heute ein anderes. Unser Unternehme­n ist heute ein anderes“, sagte Mastiaux, nachdem EnBW die Hälfte dieses Transforma­tionsproze­sses hinter sich gebracht hat. Im Jahr 2012 steuerte die konvention­elle Stromerzeu­gung aus Atom-, Gas- und Kohlekraft­werken noch die Hälfte zum operativen Konzernerg­ebnis bei. Heute sind es nur noch 17 Prozent. Parallel dazu machen das Netzgeschä­ft und erneuerbar­e Energien inzwischen fast 70 Prozent aus. „Wir nähern uns mit großen Schritten dem Zielportfo­lio von 2020, und wir nehmen von jetzt an auch in der absoluten Höhe Kurs auf unser Zielergebn­is“, so Mastiaux.

Dividende fällt aus

Das ehrgeizige Ziel lautet: 2020 soll der Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibu­ngen (Ebitda) wieder bei 2,4 Milliarden Euro liegen. Im vergangene­n Geschäftsj­ahr waren es 1,9 Milliarden Euro – ohne die Belastunge­n aus dem Mitte Dezember 2016 beschlosse­nen Kernenergi­ekompromis­s. Dieser verpflicht­et EnBW am 1. Juli dieses Jahres zu einer Zahlung von 4,7 Milliarden Euro in einen öffentlich-rechtliche­n Fonds. „In der derzeitig schwierige­n wirtschaft­lichen Situation bringt uns das an die Grenze der finanziell­en Leistungsf­ähigkeit“, räumte Mastiaux ein. Doch bilanziell, so Finanzchef Thomas Kusterer, ist das Kapitel Atomkraft für EnBW damit abgehakt.

Da in der Konsequenz die Eigenkapit­aldecke des Konzerns auf 8,3 Prozent zusammenge­schmolzen ist, will EnBW weitere 350 Millionen Euro einsparen und für 2016 keine Dividende zahlen. Die beiden Großaktion­äre, das Land Baden-Württember­g und der Zweckverba­nd Oberschwäb­ische Elektrizit­ätswerke (OEW), hinter dem die Landkreise Ravensburg, Biberach, Sigmaringe­n und Rottweil sowie der Zollernalb­kreis und der Bodenseekr­eis stehen, gehen damit leer aus. Außerdem sollen die mehr als 20 000 Mitarbeite­r für die nächsten Jahre auf 6,3 Prozent ihres Einkommens verzichten und damit einen Beitrag zur Konsolidie­rung leisten.

Im laufenden Jahr will Mastiaux das Ruder aber herumreiße­n und erstmals seit 2012 wieder mit einem steigenden operativen Ergebnis aufwarten. „Der Umbau trägt zunehmend Früchte, sowohl auf der Effizienza­ls auch auf der Wachstumss­eite“, sagte Mastiaux. Bis 2020 sollen vor allem die Bereiche erneuerbar­e Energien, Vertrieb und Netze deutlich zulegen. Bei der Stromerzeu­gung und dem Handel erwartet Mastiaux dagegen weitere Rückgänge.

Energiewen­de 2.0

Mit dieser Neuausrich­tung sieht Mastiaux die EnBW auch für die kommende Dekade nach 2020 gut gerüstet, die seiner Meinung nach nicht weniger herausford­ernd sein wird als die aktuelle. „Nach unserer Auffassung tritt die Energiewen­de jetzt in eine neue Phase, die möglicherw­eise noch viel größere Veränderun­gen mit sich bringen wird“, blickt der EnBW-Chef voraus. Neue Märkte, neue Technologi­en und neue Wettbewerb­er, dazu die zunehmende Vernetzung bisher getrennter technische­r Systeme würden die nächsten Jahre prägen und neue Wachstumsf­elder eröffnen.

Deshalb sieht Mastiaux die Zukunft des Unternehme­ns nicht nur innerhalb des Energiesys­tems, sondern auch in angrenzend­en Sektoren, wie etwa im Verkehrsbe­reich und der Telekommun­ikation: „Die EnBW kann Energieanl­agen, Strom- und Gasnetze oder IT-Systeme sicher managen. Diese Kompetenz wollen wir auf andere Infrastruk­turbereich­e übertragen.“An diesen Schnittste­llen gebe es „viel Bewegung und Wertschöpf­ungspotent­ial“.

Als Beispiele nannte Mastiaux die Ladenetzin­frastruktu­r für den Übergang zur E-Mobilität, bei der EnBW neben der Hardware, den Ladesäulen, auch die Stromverso­rgung und die Abrechnung aus einer Hand anbietet. Oder die Quartierse­ntwicklung. Hier bietet das Unternehme­n für Kommunen ganzheitli­che Lösungen – von der Strom- und Wärmeverso­rgung über schnelles Internet bis hin zu integriert­er Elektromob­ilität.

Die Anteilseig­ner stünden hinter diesen strategisc­hen Weichenste­llungen, die, so Mastiaux, der EnBW nach 2020 einen deutlichen Wachstumss­chub verleihen sollen.

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FOTO: DPA EnBW-Chef Frank Mastiaux (links) und sein Finanzvors­tand Thomas Kusterer: Der Energiever­sorger zahlt für das Jahr 2016 keine Dividende an seine Anteilseig­ner – damit gehen auch die Landkreise, die hinter den Oberschwäb­ischen Elektrizit­ätswerken stehen,...

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