Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Ballastfrei in die Zukunft
Kernenergiekompromiss beschert EnBW Milliardenverlust – Stromversorger will Infrastrukturanbieter werden
STUTTGART - Mit einem Milliardenverlust hat der Energieversorger EnBW einen bilanziellen Schlussstrich unter das Atomzeitalter gezogen. Niedrige Strompreise, vor allem aber die Belastungen aus dem Pakt zur Entsorgung der atomaren Altlasten, haben im abgelaufenen Geschäftsjahr ein tiefes Loch in die Bilanz des Karlsruher Unternehmens gerissen. Auf der Bilanzpressekonferenz in Stuttgart präsentierte Konzernchef Frank Mastiaux für das abgelaufene Geschäftsjahr einen Fehlbetrag von 1,8 Milliarden Euro. Damit reiht sich EnBW ein in die Phalanx der deutschen Energiekonzerne, die 2016 als rabenschwarzes Jahr in Erinnerung behalten dürften.
Und so verwundert es nicht, dass sich der EnBW-Chef weniger mit der Vergangenheit als vielmehr mit der Zukunft des Unternehmens auseinandersetzen wollte. Für die nämlich sieht Mastiaux die EnBW gar nicht so schlecht aufgestellt. Vor vier Jahren hatte sich der drittgrößte Energieversorger ein radikales Umbauprogramm verordnet – weg von der konventionellen Stromerzeugung, hin zu erneuerbaren Energien und Netzdienstleistungen. Bis zum Jahr 2020 soll dieser Umbau abgeschlossen und die Ertragskraft aus dem Jahr 2012 wiederhergestellt sein.
„Unser Portfolio ist heute ein anderes. Unser Unternehmen ist heute ein anderes“, sagte Mastiaux, nachdem EnBW die Hälfte dieses Transformationsprozesses hinter sich gebracht hat. Im Jahr 2012 steuerte die konventionelle Stromerzeugung aus Atom-, Gas- und Kohlekraftwerken noch die Hälfte zum operativen Konzernergebnis bei. Heute sind es nur noch 17 Prozent. Parallel dazu machen das Netzgeschäft und erneuerbare Energien inzwischen fast 70 Prozent aus. „Wir nähern uns mit großen Schritten dem Zielportfolio von 2020, und wir nehmen von jetzt an auch in der absoluten Höhe Kurs auf unser Zielergebnis“, so Mastiaux.
Dividende fällt aus
Das ehrgeizige Ziel lautet: 2020 soll der Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) wieder bei 2,4 Milliarden Euro liegen. Im vergangenen Geschäftsjahr waren es 1,9 Milliarden Euro – ohne die Belastungen aus dem Mitte Dezember 2016 beschlossenen Kernenergiekompromiss. Dieser verpflichtet EnBW am 1. Juli dieses Jahres zu einer Zahlung von 4,7 Milliarden Euro in einen öffentlich-rechtlichen Fonds. „In der derzeitig schwierigen wirtschaftlichen Situation bringt uns das an die Grenze der finanziellen Leistungsfähigkeit“, räumte Mastiaux ein. Doch bilanziell, so Finanzchef Thomas Kusterer, ist das Kapitel Atomkraft für EnBW damit abgehakt.
Da in der Konsequenz die Eigenkapitaldecke des Konzerns auf 8,3 Prozent zusammengeschmolzen ist, will EnBW weitere 350 Millionen Euro einsparen und für 2016 keine Dividende zahlen. Die beiden Großaktionäre, das Land Baden-Württemberg und der Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke (OEW), hinter dem die Landkreise Ravensburg, Biberach, Sigmaringen und Rottweil sowie der Zollernalbkreis und der Bodenseekreis stehen, gehen damit leer aus. Außerdem sollen die mehr als 20 000 Mitarbeiter für die nächsten Jahre auf 6,3 Prozent ihres Einkommens verzichten und damit einen Beitrag zur Konsolidierung leisten.
Im laufenden Jahr will Mastiaux das Ruder aber herumreißen und erstmals seit 2012 wieder mit einem steigenden operativen Ergebnis aufwarten. „Der Umbau trägt zunehmend Früchte, sowohl auf der Effizienzals auch auf der Wachstumsseite“, sagte Mastiaux. Bis 2020 sollen vor allem die Bereiche erneuerbare Energien, Vertrieb und Netze deutlich zulegen. Bei der Stromerzeugung und dem Handel erwartet Mastiaux dagegen weitere Rückgänge.
Energiewende 2.0
Mit dieser Neuausrichtung sieht Mastiaux die EnBW auch für die kommende Dekade nach 2020 gut gerüstet, die seiner Meinung nach nicht weniger herausfordernd sein wird als die aktuelle. „Nach unserer Auffassung tritt die Energiewende jetzt in eine neue Phase, die möglicherweise noch viel größere Veränderungen mit sich bringen wird“, blickt der EnBW-Chef voraus. Neue Märkte, neue Technologien und neue Wettbewerber, dazu die zunehmende Vernetzung bisher getrennter technischer Systeme würden die nächsten Jahre prägen und neue Wachstumsfelder eröffnen.
Deshalb sieht Mastiaux die Zukunft des Unternehmens nicht nur innerhalb des Energiesystems, sondern auch in angrenzenden Sektoren, wie etwa im Verkehrsbereich und der Telekommunikation: „Die EnBW kann Energieanlagen, Strom- und Gasnetze oder IT-Systeme sicher managen. Diese Kompetenz wollen wir auf andere Infrastrukturbereiche übertragen.“An diesen Schnittstellen gebe es „viel Bewegung und Wertschöpfungspotential“.
Als Beispiele nannte Mastiaux die Ladenetzinfrastruktur für den Übergang zur E-Mobilität, bei der EnBW neben der Hardware, den Ladesäulen, auch die Stromversorgung und die Abrechnung aus einer Hand anbietet. Oder die Quartiersentwicklung. Hier bietet das Unternehmen für Kommunen ganzheitliche Lösungen – von der Strom- und Wärmeversorgung über schnelles Internet bis hin zu integrierter Elektromobilität.
Die Anteilseigner stünden hinter diesen strategischen Weichenstellungen, die, so Mastiaux, der EnBW nach 2020 einen deutlichen Wachstumsschub verleihen sollen.