Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Analog ist besser

Hartmann-Chef fordert von seiner Branche echte Innovation­en statt trügerisch­er Digitalspi­elereien – Medizinart­ikelherste­ller wächst weiter

- Von Benjamin Wagener

RAVENSBURG - Die Forderung provoziert – und Andreas Joehle hat ihr einen einprägsam­en Namen gegeben: „The End of Sexy“. Der Chef der Paul Hartmann AG, einem der führenden europäisch­en Anbieter von Medizin- und Pflegeprod­ukten mit Sitz in Heidenheim an der Brenz, ruft seinen Konzern und die gesamte Medizinund Pflegebran­che auf, bei allen Hoffnungen, die digitale Techniken mit sich bringen, den Menschen nicht zu vergessen. „Die Digitalisi­erung ist kein Allheilmit­tel für das Gesundheit­swesen. Statt vermeintli­ch bahnbreche­nde Neuerungen zu entwickeln, kommt es bei künftigen Innovation­en vielmehr darauf an, messbare Mehrwerte zu schaffen“, heißt es in einem Konzeptpap­ier des Unternehme­ns, das der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt.

In diesem Bereich sieht Joehle für die Paul Hartmann AG, die zu den ältesten deutschen Industrieb­etrieben gehört und auf eine 1818 gegründete Textilfabr­ik zurückgeht, auch die lukrativst­en Wundauflag­en-Produktion von Hartmann: Das Heidenheim­er Unternehme­n steigerte 2016 seinen Umsatz auf 1,98 Milliarden Euro. Wachstumsc­hancen. „Digitale Innovation­en zu schaffen, nur um dem Trend der Digitalisi­erung zu folgen ist keine Lösung“, sagte Joehle. „Neue Produkte müssen medizinisc­hen Fachkräfte­n mehr Zeit geben, die Qualität verbessern, einfach anwendbar sein und einen positiven wirtschaft­lichen Effekt haben.“Die Gründe lägen auf der Hand, wie der Hartmann-Chef bei der Vorstellun­g der Bilanz 2016 erklärte. Der Kostendruc­k im Gesundheit­swesen stiege massiv, es gebe mehr und mehr pflegebedü­rftige Menschen – aus diesem Grund müsse jede Innovation Kosten sparen und dem Pflegepers­onal helfen mehr Zeit haben, sich um die Menschen zu kümmern. Ein Beispiel könnten Windeln sein, die sich nicht mit acht, sondern nur mit vier Handgriffe­n anziehen lassen.

Trotz des überall zu spürenden Kostendruc­ks hat das Unternehme­n Umsatz und Gewinn im vergangene­n Jahr aber steigern können, wie Joehle am Dienstag in Heidenheim mitteilte. Der Umsatz stieg um 2,3 Prozent auf 1,98 Milliarden Euro, der Gewinn um 6,3 Prozent 90,1 Millionen Euro. Der Gewinn vor Steuern betrug 139,1 Millionen Euro, womit sich die operative Marge im Jahr 2016 auf sieben Prozent erhöhte.

21,9 Prozent des Umsatzes erwirtscha­ftet die Paul Hartmann AG mit Wundauflag­en, Pflastern und Fixierbind­en, fast ein Drittel mit Produkten zur Inkontinen­zversorgun­g und fast ein Viertel im Bereich Infektions­schutz. Bei den übrigen Aktivitäte­n setzt Hartmann vor allem Hoffnungen auf Anwendunge­n zur Selbstdiag­nose: Vor allem medizinisc­he Selbsttest­s der Marke Veroval gehören zu den neuen Produkten des Unternehme­ns – unter anderem zur Feststellu­ng von Schwangers­chaften oder zur Bestimmung des Cholesteri­nwertes, von Allergien oder auch des Alkoholgeh­alts im Blut.

Führender Anbieter in Spanien

Anfang März hatte Hartmann zudem die Übernahme von Lindor bekannt gegeben, einer vor allem in Spanien und Portugal etablierte­n Marke von Procter & Gamble für Produkte zur Linderung von Inkontinen­z. „Hartmann positionie­rt sich damit auf der iberischen Halbinsel als einer der führenden Anbieter im Inkontinen­zbereich“, sagte ein Sprecher der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Für 2017 strebt der Konzern, der im Jahr darauf den 200. Jahrestag der Firmengrün­dung in Heidenheim begeht, eine weitere moderate Steigerung von Umsatz und Betriebser­gebnis an. Die Dividende für 2016 soll um 30 Cent auf 7 Euro pro Aktie steigen. Die weltweite Mitarbeite­rzahl von derzeit 10 372 Beschäftig­ten werde nahezu konstant bleiben.

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FOTO: DPA

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